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In der Praxis taucht immer wieder die Frage auf, ob bzw inwieweit der Arbeitgeber bei Beendigung des Dienstverhältnisses Minusstunden von offenen Beendigungsansprüchen bzw vom offenen Gehalt abziehen kann. Da die Rechtsprechung nicht einheitlich ist, muss zwischen mehreren Fallkonstellationen unterschieden werden.
Frage: Kann der Arbeitgeber bei Beendigung des Dienstverhältnisses einen Gehaltsabzug für „Minusstunden“ vornehmen?
Antwort: Das hängt von mehreren Kriterien ab, vor allem von
- | den Vereinbarungen über Dauer und Lage der Arbeitszeit (Arbeitszeitmodell, Dienstplaneinteilung) sowie |
- | der Arbeitsauslastung, |
- | den Weisungen und Anordnungen des Arbeitgebers, |
- | dem Verhalten des Arbeitnehmers und |
- | der Beendigungsart des Dienstverhältnisses. |
Die Entscheidung über einen Abzug von Minusstunden hängt immer von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
Sachverhalt: Ein Arbeitgeber erstellt laufend Dienstpläne. Der Arbeitnehmer hält die ihm angeordneten Dienstzeiten ein und kommt seiner Arbeitspflicht zur Gänze nach. Er ist allerdings nicht in der Lage, die im Dienstvertrag vereinbarte Wochenstundenanzahl zu erbringen, weil der Arbeitgeber mit seinen Dienstplänen nicht für eine optimale Ausschöpfung der vereinbarten Arbeitszeit sorgt.
Lösung: Gemäß § 1155 Abs 1 ABGB gebührt dem Arbeitnehmer für Dienstleistungen, die nicht zustande gekommen sind, das Entgelt, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die aufseiten des Arbeitgebers liegen, daran gehindert worden ist.
Erstellt der Arbeitgeber nun Dienstpläne, die es dem Arbeitnehmer laufend unmöglich machen, die im Vertrag vereinbarte Wochenstundenanzahl zu erbringen, liegt ein nicht dem Arbeitnehmer zurechenbarer Umstand vor, der nicht zu einer Verminderung des Entgeltanspruchs führen kann. Der Arbeitgeber darf daher im Zuge der Endabrechnung keinen Abzug des Entgelts für die im Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses aushaftenden Minusstunden vornehmen (vgl OLG Wien 28. 10. 2008, 7 Ra 100/08i, ARD 5939/9/2009).
Sachverhalt: In einem stark auftragsabhängigen Unternehmen wird dem Arbeitnehmer stets freigestellt, nach Fertigstellung der aufgetragenen Arbeiten vor Ablauf der Dienstzeit nach Hause zu gehen. Er wird nicht auf einen möglichen Lohnabzug als Konsequenz offener Fehlstunden hingewiesen. Der Arbeitnehmer wird regelmäßig über die Zahl der Minusstunden informiert. Es gibt keine Gleitzeit- oder Durchrechnungsvereinbarung.
Lösung: Der Arbeitgeber kann die Minusstunden mit den Beendigungsansprüchen des Arbeitnehmers nicht gegenrechnen. Der Umstand, dass für den Arbeitnehmer im Rahmen seiner vertraglich vereinbarten Tätigkeit nicht genug Arbeit vorhanden ist, um ihn regelmäßig während der gesamten Normalarbeitszeit zu beschäftigen, ist zweifellos gemäß § 1155 ABGB der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen, sodass diesen die Entgeltzahlungspflicht auch für die nicht geleisteten Stunden der Normalarbeitszeit trifft.
Auch wenn der Arbeitnehmer über die Zahl der Minusstunden informiert gewesen ist und sie zB durch Unterzeichnung der Zeitprotokolle auch zur Kenntnis genommen hat, ändert dies nichts daran, dass eine Rückzahlungspflicht des Arbeitnehmers für Minusstunden nicht vereinbart wurde (vgl OLG Wien 22. 6. 2005, 9 Ra 175/04b, ARD 5629/2/2005).
Eine Rückzahlungspflicht kann theoretisch vereinbart werden, weil § 1155 ABGB nicht zwingend ist und im Allgemeinen abbedungen werden kann; es darf allerdings nicht zu einer sittenwidrigen Überwälzung des Beschäftigungsrisikos auf den Arbeitnehmer kommen.
Sachverhalt: Im Unternehmen besteht eine Gleitzeitvereinbarung, wonach der Arbeitnehmer Beginn und Ende seiner täglichen Arbeitszeit während des Gleitzeitrahmens selbst bestimmen kann. Der Arbeitnehmer häuft Minusstunden an.
Lösung: Ein Gehaltsabzug für Minusstunden ist bei Beendigung des Dienstverhältnisses grundsätzlich zulässig. Man kann nicht von einer stillschweigenden Zustimmung des Arbeitgebers zu Arbeitsversäumnissen des Arbeitnehmers ausgehen. Der Arbeitgeber muss nur diejenigen Arbeitszeiten bezahlen, die der Arbeitnehmer auch tatsächlich geleistet hat (vgl OLG Wien 21. 4. 1993, 31 Ra 12/93, ARD 4474/46/93).
Bei Gleitzeit ist es dem Arbeitnehmer selbst überlassen, wann exakt er zur Arbeit kommt und wieder geht. Der Arbeitnehmer hat aufgrund der flexiblen Arbeitszeit auch mehr Möglichkeiten, allfällige Minusstunden wieder auszugleichen als bei fix vorgegebener Arbeitszeit. Daher ist ein Abzug von Minusstunden bei Gleitzeit in der Regel leichter zu begründen. Eine Ausnahme wird in jenen Fällen bestehen, in denen die Unmöglichkeit des Natural-Ausgleichs dem Arbeitgeber zuzurechnen ist, zB bei berechtigtem vorzeitigen Austritt, unberechtigter Entlassung oder Arbeitgeberkündigung, sofern das Einarbeiten der Fehlstunden während der Kündigungsfrist unmöglich oder unzumutbar ist (siehe dazu Mazal/Risak, Das Arbeitsrecht – System und Praxiskommentar, Kap XX, Rz 26).
Sachverhalt: In einem Unternehmen gibt es aufgrund einer kollektivvertraglichen Regelung ein Modell flexibler Arbeitszeit iSd § 4 Abs 4 bis Abs 6 AZG (Durchrechnungsmodell). Ein Arbeitnehmer hat zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Zeitschulden.
Lösung: Da ein Durchrechnungsmodell iSd § 4 Abs 4 bis Abs 6 AZG nur auf Grundlage kollektivvertraglicher Regelung zulässig ist, muss zuerst der anzuwendende Kollektivvertrag dahin gehend überprüft werden, ob es eine Rückzahlungsregel für Zeitschulden gibt.
So enthält zB der KV-Metallgewerbe/Arbeiter (VI Pkt 19) eine Bestimmung, wonach bei der erweiterten Bandbreite die Rückzahlung einer Zeitschuld nur bei Arbeitnehmerkündigung, verschuldeter Entlassung und unbegründetem vorzeitigen Austritt zulässig ist.
Für den Fall, dass der KV keine Rückzahlungsbestimmung enthält, gibt es keine Rechtsprechung.
Das AZG sieht für Zeitschulden keine besondere Regelung vor. Daher kann es für die Einarbeitungspflicht bzw Rückverrechenbarkeit oder Nichtrückverrechenbarkeit des zu viel erhaltenen Entgelts nur darauf ankommen, wessen Sphäre die Zeitschuld entstammt (vgl Schrank, Arbeitszeitgesetze3, Rz 123 ff zu § 4 AZG).