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Anrechnung von Sachbezügen auf das KV-Mindestentgelt?

Bearbeiter: Bettina Sabara

KV-Handelsangestellte: Gehaltsordnung A. Pkt 1.a.

GewO 1859: § 78

Enthält ein Kollektivvertrag (hier: KV-Handelsangestellte) keine Hinweise zum Verhältnis von Mindestentgelt und Naturalleistungen, insbesondere auch keine ausdrückliche Anordnung, dass Naturalentgelte bzw Sachbezüge auf die vorgesehenen Mindestentgelte anzurechnen sind, so sind die in Euro festgelegten kollektivvertraglichen Mindestentgelte als Geldzahlungsgebot zu verstehen.

OGH 27. 8. 2015, 9 ObA 92/15t

Entscheidung

Bisherige Rsp

Zur Frage, ob die Anrechnung eines Sachbezugs (hier: Privatnutzung eines Firmenfahrzeug) auf das kollektivvertragliche Mindestentgelt Gegenstand einer wirksamen Vereinbarung sein kann, werden in der Literatur unterschiedliche Ansichten vertreten, die der OGH in seinen Entscheidungsgründen ausführlich referiert.

Weiters erinnert der OGH an die stRsp des VwGH, wonach die Mindestentgelte in Kollektivverträgen idR in Geldbeträgen festgelegt und insoweit daher auch zwingend in Geld zu entrichten sind. Das Geldzahlungsgebot im Bereich kollektivvertraglicher Mindestentgelte schließe - ungeachtet aller Günstigkeitsüberlegungen - in diesem Bereich abweichende Sondervereinbarungen (§ 3 Abs 1 zweiter Satz ArbVG) aus (vgl VwGH 17. 11. 2004, 2002/08/0089, ARD 5566/12/2005).

Der OGH selbst hat bereits geklärt, dass für die Bemessung einer Überstundenabgeltung oder Überstundenpauschale Naturalleistungen Berücksichtigung finden könnten (OGH 6. 12. 1989, 9 ObA 301/89 und OGH 11. 7. 2001, 9 ObA 161/01v, ARD 5263/9/2001). Dies steht aber der Prüfung der vorliegenden Frage nicht entgegen, weil die Abgeltung von Überstunden nicht derselben Zwecksetzung wie das kollektivvertragliche Mindestentgelt dient, nämlich der Absicherung der Existenz.

Für den Bereich des KV-Gastgewerbe hat der OGH (betr Anrechnung von Kost und Logis) ausgesprochen, dass eine Durchbrechung des Anrechnungsverbots für (individuell) vereinbarte Naturalleistungen auf den existenzsichernden Mindestlohn nur dann zulässig ist, wenn sie der KV selbst vorsieht und wenn zudem die sozialpolitische Zweckbestimmung der Existenzsicherung eingehalten ist (OGH 28. 10. 2013, 8 ObA 61/13y, ARD 6387/7/2014).

KV-Handelsangestellte

Anders als der KV-Gastgewerbe enthält der KV für Handelsangestellte keine Hinweise zum Verhältnis von Mindestentgelt und Naturalleistungen, insbesondere auch keine ausdrückliche Anordnung, dass Naturalentgelte auf die vorgesehenen Mindestentgelte anzurechnen sind. Die Gehaltsordnung des KV für Handelsangestellte sieht in ihrem Allgemeinen Teil Pkt. 1.a. erster Satz vielmehr vor, dass Angestellten ein „monatliches Mindestentgelt“ nach den in den Gehaltstafeln nach Beschäftigungsgruppen, Berufsjahren und Gehaltsgebieten gestaffelten Sätzen „zu bezahlen“ ist.

Dies wirft für den OGH nun die Frage auf, ob die Festlegung des monatlichen Mindestentgelts in Euro-Beträgen in den Gehaltstafeln die Anordnung eines Geldzahlungsgebots bedeutet, weil der Entgeltbegriff grundsätzlich weit verstanden wird und jede Leistung umfasst, die der Arbeitnehmer für das Zur-Verfügung-Stellen seiner Arbeitskraft erhält.

Geldzahlungsgebot

Bei der daher gebotenen Auslegung des KV hält der OGH zunächst fest, dass die Festlegung des Mindestentgelts in Euro im KV zunächst dafürspricht, dass es in (Bar- oder Giral-)Geld geschuldet ist. Anhaltspunkte für eine andere Absicht der KV-Parteien bestünden nicht.

Zweck des kollektivvertraglichen Mindestentgelts sei es, die Deckung des Arbeitnehmergrundbedarfs unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Dispositionshoheit des Arbeitnehmers zu sichern, und es sei nach diesem Zweck auch unter objektiv-teleologischen Aspekten nicht anzunehmen, dass mit den Euro-Beträgen nur der bloße Wert des Mindestentgelts bei freier Vereinbarkeit des Leistungsgegenstands festgelegt werden sollte.

Für überzeugend hält der OGH in diesem Zusammenhang va den Hinweis von Löschnigg (in DRdA 2003, 338 ff), dass eine praktisch durchführbare Regelung iZm Naturalentgelten jedenfalls voraussetzen würde, dass auch die Bewertungskriterien bekannt sind. Es würde dem Wesen von Mindestentgelten diametral entgegenstehen, wenn für die Abweichungen von den fixen kollektivvertraglichen Sätzen keine Maßstäblichkeit festgelegt werde, weil die Bestimmtheit der Norm zweifelhaft wäre und die Gefahr der Übervorteilung des Arbeitnehmers bestünde. Dass im Zweifel auf steuer- und/oder sozialversicherungsrechtliche Kriterien zurückzugreifen sei, sei dem KV schon aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen - Beitragsorientiertheit des Steuer- und Sozialversicherungsrechts vs. Individualarbeitnehmerschutz von Mindestentgelten - nicht zu unterstellen.

Der erkennende Senat teilt diese Bedenken: Nicht zuletzt wäre unklar, in welchem Ausmaß Natural- statt Geldlohn ausbezahlt werden dürfte.

Diese Erwägungen führen den OGH daher zu dem Ergebnis, dass die kollektivvertragliche Festlegung von Mindestentgelten in Euro dann, wenn der KV wie im vorliegenden Fall keine Durchbrechung vorsieht, als Geldzahlungsgebot zu verstehen ist.

Kein Günstigkeitsvergleich

Abschließend hält der OGH fest, dass das kollektivvertragliche Geldzahlungsgebot natürlich der Vereinbarung eines höheren als des kollektivvertraglichen Mindestlohns im Arbeitsvertrag nicht im Wege steht (§ 3 Abs 1 ArbVG). Das Geldzahlungsgebot könne aber - „vor dem Hintergrund der ihm innewohnenden Dispositionsfreiheit des Arbeitnehmers über den Mindestlohn“ - nicht durch Sachbezüge umgangen werden, auch wenn sie in den Augen des Arbeitgebers (oder Arbeitnehmers) noch so günstig sind. Der kollektivvetragliche Mindestlohn ist - so der OGH - dem Günstigkeitsvergleich mit Sachbezügen entzogen (vgl Müller, ASoK 2002, 320, der überzeugend darauf hinweist, dass man sich von einem Dienstwagen weder ernähren noch darin wohnen kann).

Auf die Reichweite des in § 78 GewO 1859 normierten Barzahlungsgebots kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter an.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 20340 vom 06.10.2015