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Antragsfrist für Aufhebung „abgeleiteter“ Abgabenbescheide?

Bearbeiter: Martin Metlicka / Bearbeiter: Barbara Tuma

BAO: § 295 Abs 4

Der VfGH hat beschlossen, § 295 Abs 4 letzter Satz BAO (idgF BGBl I 2013/70) auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, da die Einschränkung der Antragsstellung vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 BAO maßgeblichen Frist bei Anträgen zur Aufhebung von Änderungsbescheiden, die sich auf „Nichtbescheide“ beziehen, gegen den Gleichheitssatz verstoßen könnten.

VfGH 13. 6. 2019, E 4256/2018

Sachverhalt

Der Bf war in 2005 als atypisch stiller Gesellschafter an einer Mitunternehmerschaft beteiligt. Der Zeitablauf der Geschehnisse sah wie folgt aus:

09. 11. 2006: Feststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) für 2005

14. 12. 2006: Einkommensteuerbescheid für 2005

11. 10. 2011: abgeänderter Grundlagenbescheid 2005 aufgrund einer BP – Rechtsmittel wurde eingebracht

17. 10. 2011: berichtigter Einkommensteuerbescheid 2005 – KEIN RECHTSMITTEL

23. 04. 2014: Zurückweisung des Rechtsmittels gegen den abgeänderten Grundlagenbescheid durch das BFG; Begründung: „Nichtbescheid“ (Enunziation)

27. 10. 2014: Finanzamt erlässt betragsmäßig gleichlautenden abgeänderten Grundlagenbescheid

14. 11. 2014: § 295 Abs 4 BAO – Antrag auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2005 vom 17.10.2011; Begründung: Festsetzung basiert auf „Nichtbescheid“

11. 06. 2018: Abweisung des Aufhebungsantrags durch das Finanzamt; Begründung: nicht fristgerechte Einbringung – Rechtsmittel wurde eingebracht

06. 09. 2018: Abweisung des Rechtsmittels durch den BFG; Begründung: Verjährungfrist

Erwägungen des VfGH:

Im vorliegenden Fall wurde im Zuge einer Betriebsprüfung ein (abgeänderter) Grundlagenbescheid 2005 erlassen, gegen den Berufung erhoben wurde. Das BFG qualifizierte diesen Grundlagenbescheid 2005 mangels Adressat als „Nichtbescheid“ und wies die Berufung zurück.

Werden – wie hier – Berufungen bzw Bescheidbeschwerden gegen so genannte „Nichtbescheide“ zurückgewiesen, räumt § 295 Abs 4 BAO die Möglichkeit ein, Änderungsbescheide, die sich auf diese „Nichtbescheide“ stützen, auf Antrag der Partei aufzuheben, sofern der Antrag „vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist“ gestellt wurde.

Bei langer Verfahrensdauer kann jedoch – wie im vorliegen Fall – die Verjährungsfrist eintreten. Die 5-jährige Verjährungsfrist gem § 207 Abs 2 iZm § 208 Abs 1 BAO begann hier für den Einkommensteuerbescheid 2005 am 31. 12. 2005 zu laufen. Da in der Verjährungsfrist eine Amtshandlung gesetzt wurde (Bescheid vom 14. 12. 2006), verlängerte sich die Frist um ein Jahr. Im Verlängerungsjahr wurde eine weitere Amtshandlung (berichtigter Einkommensteuerbescheid 2005 vom 17. 10. 2011) gesetzt, die die Verjährungsfrist somit auf den 31. 12. 2012 erstreckte. Weitere Amtshandlungen im Verlängerungsjahr unterblieben. Da der Antrag gem § 295 Abs 4 BAO erst am 14. 11. 2014 gestellt wurde bzw gestellt werden konnte, nachdem das Finanzamt einen dem Nichtbescheid gleichlautenden neuen Feststellungsbescheid am 27. 10. 2014 erlassen hatte, ist somit bereits Verjährung iSd § 295 Abs 4 BAO letzter Satz eingetreten.

Im vorliegenden Beschluss geht der VfGH davon aus, dass § 295 Abs 4 BAO letzter Satz in mehrfacher Hinsicht gegen den Gleichheitssatz zu verstoßen scheint – analog zu den Bedenken, die zur Aufhebung des § 304 BAO idF BGBl I 2013/14 durch den VfGH führten (VfGH 30. 11. 2017, G 131/2017 ua, Rechtsnews 24779).

Der VfGH hat daher beschlossen, den Satz „Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen.“ (§ 295 Abs 4 BAO idgF BGBl I 2013/70) von Amts wegen auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

Ob die Prozessvoraussetzungen vorliegen und die dargelegten Bedenken zutreffen, wird im Gesetzprüfungsverfahren zu klären sein.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 27621 vom 17.07.2019