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Berechtigter Austritt eines Lehrlings bei mangelhafter Ausbildung

Bearbeiter: Manfred Lindmayr

BAG § 15

Ein Lehrling ist gemäß § 15 Abs 4 lit b BAG zur vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses ua berechtigt, wenn der Lehrberechtigte die ihm obliegenden Pflichten gröblich vernachlässigt. Vermittelt der Lehrberechtigte dem Lehrling die für das betreffende Berufsbild (hier: Mechatroniker) vorgesehenen Kenntnisse und Fähigkeiten nur unzureichend, obwohl ihm das möglich ist und vom Lehrling auch mehrmals eingefordert wurde, hat er gröblich gegen seine Verpflichtung verstoßen, für die Ausbildung des Lehrlings zu sorgen, und der Lehrling ist zur vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses berechtigt.

OGH 28. 5. 2015. 9 ObA 50/15s

Sachverhalt

Der Kläger war bei der Beklagten als Lehrling im Lehrberuf Mechatroniker beschäftigt. Er wurde vom Lehrberechtigten für den Schaltschrankbau und für Kabelzieharbeiten eingesetzt. Trotz im Betrieb vorhandener Maschinen wurde er aber nicht an Dreh-, Fräs- oder Schweißarbeiten herangeführt, erwarb nur unzureichende Kenntnisse in der Pneumatik und durfte weder die CNC-Programmiermaschine bedienen noch SPS-Steuerungsprogramme erstellen.

Nach dem Besuch der Berufsschule im 3. Lehrjahr war er nach den Tätigkeitsberichten seiner Berufsschulkollegen überzeugt, dass ihm wesentliche Ausbildungsinhalte fehlen würden. Da weder Gespräche seines Vaters mit dem Geschäftsführer noch Interventionen und Vorschläge der Arbeiterkammer und der Wirtschaftskammer zu einer Ausbildungsänderung führten, der Kläger aber auch nicht für externe Kurse in einem technischen Ausbildungszentrum freigestellt wurde, löste er das Lehrverhältnis gemäß § 15 Abs 4 lit b BAG vorzeitig auf und besuchte aus eigenem die externen Kurse.

Die Vorinstanzen erachteten die vorzeitige Auflösung als berechtigt und sprachen dem Lehrling die eingeklagte Kündigungsentschädigung bis zum 1. 5. 2014 (Antritt zum Zivildienst) zu.

Entscheidung

In seinen Entscheidungsgründen erinnert der OGH ua daran, dass der Lehrling einen gesetzlichen Anspruch (auch) auf Ausbildung hat; welche Kenntnisse und Fähigkeiten der Lehrberechtigte während der Ausbildungszeit zu vermitteln hat, ist va nach dem Inhalt des Berufsbildes zu beurteilen, das in den jeweiligen Ausbildungsvorschriften enthalten ist (§ 8 Abs 2 BAG). Im vorliegenden Fall ist dies die Mechatronik-Ausbildungsordnung BGBl II 2003/374, die in § 3 Abs 1 für das Berufsbild des Mechatronikers 37 Ausbildungspositionen festlegt, von denen der bekl Arbeitgeber dem Lehrling unstrittig in einigen Punkten keine Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt hat.

Während der Arbeitgeber aus § 3 Abs 2 der Verordnung ableiten will, dass bei der Ausbildung im Betrieb auf die betrieblichen Erfordernisse und Vorgaben Rücksicht zu nehmen sei und „Ausbildungslücken“ von der Berufsschule zu schließen seien, verweist der OGH darauf, dass eine derartige Einschränkung des Ausbildungsinhalts (Ausbildung auch nach Auftragslage) aus § 3 Abs 2 der Verordnung nicht hervorgeht. Betriebsbedingte Gründe dafür, dass es dem Arbeitgeber nicht möglich gewesen wäre, dem Lehrling die fehlenden Ausbildungsinhalte zu vermitteln, standen hier auch nicht fest.

Im Übrigen verwirft der OGH auch die übrigen Argumente des Arbeitgebers (kein Mitverschulden des Lehrlings durch „fehlende Eigeninitiative“; kein Verzicht auf das Auflösungsrecht und auch keine verspätete Geltendmachung des Austrittsgrundes, weil der Lehrling die Gespräche und Bemühungen seiner Vertreter zur Problemlösung abwarten durfte).

Da der Kläger zur Sicherstellung des Ausbildungserfolgs von November 2013 bis Februar 2014 Kurse des Technischen Ausbildungszentrums besuchte und am 1. 5. 2014 den Zivildienst anzutreten hatte, beanstandete der OGH es auch nicht weiter, dass die Vorinstanzen keine Schädigungsabsicht des Klägers darin erkannten, dass er in diesem Zeitraum keine Ersatzstelle angestrebt hatte, zumal deshalb auch vom AMS keine Vermittlungsbemühungen gesetzt wurden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19969 vom 31.07.2015