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Betriebsübergang: Kündigungsfrist bei Verschlechterung der Arbeitsbedingungen

Bearbeiter: Manfred Lindmayr

AVRAG § 3 Abs 5

Ist ein Betriebsübergang für einen Arbeitnehmer mit einer wesentlichen Verschlechterung seiner Arbeitsbedingungen verbunden, kann er das Dienstverhältnis kündigen und stehen ihm die Beendigungsansprüche wie bei einer Arbeitgeberkündigung zu. Dies schließt auch die für den Arbeitgeber geltenden längeren bzw späteren Kündigungsfristen und -termine ein.

Hat der Arbeitnehmer das Dienstverhältnis aber nicht unter Einhaltung der für den Arbeitgeber geltenden längeren Frist gekündigt, sondern nur die für ihn selbst geltende Kündigungsfrist eingehalten, gebührt ihm das Entgelt auch nur bis zu diesem Zeitpunkt (rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses).

OGH 28. 4. 2015, 8 ObA 28/15y

Sachverhalt

Die Klägerin war bei einem Luftfahrtunternehmen als Flugbegleiterin beschäftigt. Aufgrund der Ankündigung eines Betriebsübergangs zum 1. 7. 2012, der für die Klägerin mit einer wesentlichen Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen verbunden gewesen wäre, kündigte sie ihr Dienstverhältnis am 28. 5. 2012 gemäß § 3 Abs 5 AVRAG zum 30. 6. 2012. Die Beendigungsansprüche der Klägerin, einschließlich Urlaubsentschädigung und Abfertigung, wurden bis zum Stichtag 30. 6. 2012 bezahlt.

In der Klage begehrte die Klägerin die Zahlung einer Entschädigung in Höhe des entgangenen Entgelts vom 1. 7. bis 30. 9. 2012. Auf diesen Betrag habe sie Anspruch, weil die beklagte Arbeitgeberin sie bei Einhaltung der geltenden Fristen und Termine erst zum 30. 9. 2012 kündigen hätte können.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt; nach der Rechtsprechung des EuGH zur Betriebsübergangsrichtlinie müsse sichergestellt werden, dass Dienstnehmern, die im Zuge eines Betriebsübergangs wegen wesentlicher Verschlechterung der Arbeitsbedingungen kündigen, der Anspruch auf Entgelt auch für die Dauer der Kündigungsfrist gewahrt werde, die vom Arbeitgeber einzuhalten ist.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Arbeitgebers Folge und wies die Klage ab. Der geltend gemachte Erfüllungsanspruch sei zu verneinen, weil mit Ablauf des 30. 6. 2012 sowohl die Arbeitspflicht der Klägerin als auch der Entgeltanspruch geendet habe.

Die Revision wurde vom OGH zugelassen, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliegt, ob § 3 Abs 5 AVRAG eine Grundlage für einen Anspruch auf Lohnzahlung für die fiktive Dauer einer vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfrist bietet.

Kündigungsrecht beim Betriebsübergang

Nach § 3 Abs 5 AVRAG, durch den Art 4 Pkt 2 der RL 2001/23/EG (Betriebsübergangsrichtlinie) in das österreichische Recht umgesetzt wurde, kann der Arbeitnehmer „innerhalb eines Monats ab dem Zeitpunkt, ab dem er die qualifizierte Verschlechterung der Arbeitsbedingungen erkannte oder erkennen musste, das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen oder der kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und -termine lösen. Dem Arbeitnehmer stehen die zum Zeitpunkt einer solchen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebührenden Ansprüche wie bei einer Arbeitgeberkündigung zu“.

Der Anwendung dieser Bestimmung steht es nicht entgegen, dass das Dienstverhältnis der Klägerin bereits zum 30. 6. 2012, also vor dem Betriebsübergang, beendet war. Eine privilegierte Kündigung nach § 3 Abs 5 AVRAG kann, wenn die objektiven und subjektiven Voraussetzungen vorliegen, auch schon vor dem Betriebsübergang gegenüber dem Veräußerer ausgesprochen werden (vgl OGH 22. 2. 2011, 8 ObA 41/10b, ARD 6171/3/2011). Der Schutzzweck der Betriebsübergangsrichtlinie gebietet hier (so wie in den Fällen der verpönten Arbeitgeberkündigung wegen Betriebsübergangs) eine Erstreckung ihrer Wirkungen auf die Vorbereitungsphase.

Rechtliches DV-Ende bestimmend

Indem § 3 Abs 5 AVRAG fordert, dass die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und -termine einzuhalten sind, stellt er klar, dass ein verschlechternder Betriebsübergang kein wichtiger Grund für einen berechtigten vorzeitigen Austritt ist.

Arbeitsrechtliche Kündigungsfristen sind Mindestfristen und werden auch dann „eingehalten“, wenn die Kündigung nicht zum frühesten aller möglichen Beendigungstermine ausgesprochen wird. Wollte man daher der Beurteilung die Entscheidung EuGH 27. 11. 2008, C-396/07, Juuri, ARD 5952/4/2009, im Sinne ihrer Auslegung durch die Klägerin zugrunde legen, könnte dies nach dem Wortlaut des Gesetzes und im Lichte der Richtlinie nur zur Folge haben, dass der nach § 3 Abs 5 AVRAG kündigende Arbeitnehmer nicht auf die für ihn selbst geltenden gesetzlichen bzw kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und -termine beschränkt, sondern berechtigt ist, auch die für den Arbeitgeber geltenden längeren Fristen bzw späteren Termine in Anspruch zu nehmen.

Der Arbeitnehmer, der von einer privilegierten Kündigung nach § 3 Abs 5 AVRAG Gebrauch machen will, muss diese Erklärung zur Wahrung des Privilegs rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist abgeben und die für ihn geltenden Fristen und Termine als Mindesterfordernis einhalten, darüber hinaus kann er aber den tatsächlichen Beendigungstermin selbst wählen.

Die Entgelt- und Beendigungsansprüche des privilegiert kündigenden Arbeitnehmers sind aber nach dem klaren Wortlaut § 3 Abs 5 AVRAG zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung zu beurteilen. Löst ein Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis rechtmäßig vorzeitig auf, entfällt mit der Beendigung der Arbeitspflicht auch der synallagmatische Entgeltanspruch. Der von der Klägerin begehrte abstrakte „Erfüllungsanspruch“ (für einen Zeitraum nach dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses) findet in § 3 Abs 5 AVRAG keine Grundlage. Dieses Ergebnis könnte auch auf dem Weg einer Analogie zu § 29 Abs 1 AngG nicht erreicht werden. Es ist zwar der Kündigungsanlass der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen, aber nicht die Verkürzung der Kündigungsfrist.

Die Betriebsübergangsrichtlinie stellt es den Mitgliedstaaten frei, die Rechtsfolgen der begünstigten Kündigung nicht wie jene einer rechtswidrigen Arbeitgeberkündigung zu regeln (Rs C-396/07, Juuri Rz 22). Der Mindestschutz der Richtlinie, nämlich der Anspruch auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu den Bedingungen einer Arbeitgeberkündigung, ist dem Arbeitnehmer durch die Regelung des § 3 Abs 5 AVRAG auch in Ansehung der Kündigungsfrist gewahrt. Die Rechtsfolgen der privilegierten Kündigung sind jeweils diejenigen einer rechtmäßigen Arbeitgeberkündigung zum Stichtag der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Revision war daher keine Folge zu geben.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19841 vom 09.07.2015