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Betriebsunterbrechungsversicherung – Seuche (COVID-19)

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: § 879, §§ 914 f

VersVG: § 1

Die kl Versicherungsnehmerin führt einen Gastgewerbebetrieb mit über 75 Betten und eine Bar; dem Versicherungsvertrag mit der Bekl liegen die Allgemeinen Bedingungen All-Risk Sach- und Betriebsunterbrechungs-Bedingungen (AVB; Fassung 2011) und die Besondere Bedingung Nr 9939 („Seuchen – Betriebsunterbrechung“) zugrunde. Den eingeklagten Betriebsunterbrechungsschaden errechnet die Kl aus dem entgangenen Deckungsbeitrag für einen Schließungszeitraum von 16 Tagen im März 2020 (behördlich angeordnete Betriebsschließung und Untersagung ihrer Tätigkeit und der Tätigkeit ihrer Mitarbeiter durch Absonderungsbescheide). Die Beschränkungen iZm COVID-19 (insb Reiseverbote, Aufenthaltsverbote, Schließungen der Bergbahnen, Beschränkungen für Hotellerie und Gastronomie) betrafen in diesem Zeitraum allerdings die Marktlage generell (das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, Möglichkeiten des Kaufs und Verkaufs in einem bestimmten Bereich), und nicht (nur) den konkreten versicherten Betrieb der Kl; im fraglichen Zeitraum hätte daher kein Umsatz lukriert werden können, auch wenn der versicherte Betrieb offen gewesen wäre.

Im Fall einer Betriebsunterbrechung iZm einer Seuche besteht gem Art 3.4. der Besonderen Bedingung Nr 9939 Versicherungsschutz in drei konkret genannten Fällen (ua behördlich angeordnete Betriebsschließung oder untersagte Beschäftigung erkrankter Personen). Auch für den durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer ergibt sich bereits aus der Formulierung der Bedingung eindeutig, dass nicht das allgemeine Risiko des Auftretens einer Seuche schlechthin und die zu ihrer Eindämmung ergriffenen (behördlichen) Maßnahmen versichert wird – und damit auch nicht eine daraus resultierende Veränderung der wirtschaftlichen Lage samt eines allenfalls damit verbundenen Ertragsrückgangs, sondern ausschließlich die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des versicherten Betriebs aufgrund eines konkret genannten Verhinderungsgrundes. Stellen die Folgen einer Seuche (Veränderung der wirtschaftlichen Lage samt allfälligem Ertragsrückgang) das versicherte Risiko aber nicht dar, muss dem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer auch klar sein, dass die veränderte Marktsituation durch das Auftreten der Seuche bei Beurteilung der Schadenshöhe zu berücksichtigen ist.

Die vorliegende Betriebsunterbrechungsversicherung ist als Schadensversicherung konzipiert (§ 1 VersVG); sie hat es nach den Versicherungsbedingungen (vgl Art Teil B.11.1 AVB) übernommen, den Schaden zu decken, der beim Versicherungsnehmer durch die versicherte Unterbrechung (tatsächlich) eingetreten ist. Daraus folgt, dass bei der Berechnung des Unterbrechungsschadens (Ertragsausfall) der hypothetische Kausalverlauf ohne (gedeckten) Unterbrechungsgrund heranzuziehen ist. Dabei kann etwa zu berücksichtigen sein, dass der Ertrag aufgrund wirtschaftlich schlechter Lage auch ohne Betriebsunterbrechung zurückgegangen wäre. Dem Versicherungsnehmer wird nicht ein gewisser Ertrag garantiert, sondern nur ersetzt, was ihm ohne Unterbrechung nicht entgangen wäre. Die inkriminierte Klausel Art Teil B.11.1.1 und 11.1.2 AVB ist nicht gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB. Wie in der Schadensversicherung gerade üblich, wird nur der Entgang jenes Ertrags gedeckt, der dem Versicherungsnehmer ohne Betriebsunterbrechung entgangen wäre. Die Klausel enthält damit keine Einschränkung gegenüber dem Standard, den der Versicherungsnehmer von einer Versicherung dieser Art erwarten kann. In der Berufung auf diese Klausel kann daher auch kein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben erblickt werden.

OGH 24. 5. 2023, 7 Ob 62/23b

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34321 vom 28.07.2023