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Diskriminierende DV-Lösung in der Probezeit - Verdienstentgang?

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

GlBG: § 3, § 12 Abs 14

Wurde ein Dienstverhältnis (bzw hier Lehrverhältnis) in diskriminierender Weise während der Probezeit vom Arbeitgeber aufgelöst, kann sich der Arbeitgeber nicht darauf berufen, dass dem Arbeitnehmer dadurch kein Vermögensschaden entstanden sein könne, weil ein Dienstverhältnis während der Probezeit ohnedies jederzeit lösbar ist. Die naheliegende Handlungsalternative des Arbeitgebers ist nämlich zunächst nicht die diskriminierungsfreie Beendigung, sondern die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers. Kann der Arbeitgeber daher nicht unter Beweis stellen, dass er das Arbeitsverhältnis ohnedies aus anderen Gründen innerhalb der Probezeit beendet hätte, scheidet eine Reduktion der Ersatzpflicht auf Null oder eine Begrenzung mit dem Verdienstentgang bis zum „nächstmöglichen Beendigungstermin“ - hier also in der Probezeit - aus.

OGH 27. 8. 2015, 9 ObA 87/15g

Sachverhalt

Die Klägerin war beim beklagten Arbeitgeber als Lehrling beschäftigt und befand sich noch in der dreimonatigen Probezeit. Obwohl ihre Arbeitsmotivation nach den ersten Wochen nachgelassen hatte, erklärte der Geschäftsführer der Beklagten über Nachfrage des Vaters der Klägerin, dass „alles passe“. Nachdem die Klägerin von ihrer Schwangerschaft erfahren und sie dem Arbeitgeber bekannt gegeben hatte, meinte der Geschäftsführer: „Jetzt haben wir zwei Schwangere und zwei Behinderte“, löste das Lehrverhältnis noch in der Probezeit auf und erklärte, bei Fortführung der Lehre würde für die Klägerin „eine Eiszeit anbrechen“ und niemand mehr mit ihr reden dürfen.

Die Klägerin machte mit Klage geltend, dass die Auflösung geschlechtsdiskriminierend gewesen sei und begehrte vom Arbeitgeber als Ersatz ihres Vermögensschadens die entgangene Lehrlingsentschädigung für insg 5 Monate ab Auflösung des Lehrverhältnisses sowie € 3.000,- als Entschädigung für die persönliche Beeinträchtigung durch die Diskriminierung.

Die Vorinstanzen sprachen ihr den begehrten Verdienstentgang sowie € 1.000,- als immateriellen Schaden zu. Der OGH behielt den Zuspruch des Verdienstentgangs bei (Lehrlingsentschädigung für 5 Monate), erhöhte den Ersatz für den immateriellen Schaden jedoch auf € 1.700,-.

Entscheidung

1. Ersatz des Vermögensschadens

Der beklagte Arbeitgeber ist der Ansicht, dass der Ersatz des Vermögensschadens nur in Höhe des Entgeltentgangs bis zur nächstmöglichen rechtmäßigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen könne. Da er berechtigt gewesen sei, die Auflösung des Lehrverhältnisses in der Probezeit jederzeit ohne Einhaltung von Fristen oder Terminen vorzunehmen, sei der Klägerin selbst bei Annahme einer diskriminierenden Beendigung überhaupt kein Vermögensschaden entstanden.

Diese Ansicht wird vom OGH im Wesentlichen mit folgender Begründung abgelehnt:

1.1. Keine Begrenzung mit nächstem Kündigungstermin

In der Literatur wird zum Teil eine zeitliche Begrenzung der Ersatzpflicht mit dem nächsten regulären Kündigungstermin mit der Begründung vorgeschlagen, dass der Arbeitnehmer bei rechtmäßigem Alternativverhalten des Arbeitgebers - das offenbar in einer diskriminierungsfreien Kündigung gesehen wird - den darüber hinausgehenden Gehaltsverlust ebenfalls erlitten hätte (Kletecka in Rebhahn, GlBG [2005] § 12 Rz 50). Dieser Standpunkt würde bedeuten, dass nur eine diskriminierende vorzeitige Beendigung einen Anspruch auf einen Vermögensschaden begründen könnte, weil bei einer fristgerechten Kündigung oder bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit selbst bei diskriminierender Beendigung eine solche zum „regulären“ Termin vorläge. Das stünde jedoch im Widerspruch zu den Intentionen von Art 18 der GleichbehandlungsRL 2006/54/EG und § 12 Abs 7 GlBG.

Es wird dabei aber auch nicht berücksichtigt, dass die Beendigung des Dienstverhältnisses tatsächlich aus einem diskriminierenden Grund erfolgt ist und ein Arbeitgeber ohne diesen Grund uU keinen (ausreichenden) Anlass zu einer Beendigung des Dienstverhältnisses gehabt hätte. Die naheliegende Handlungsalternative des Arbeitgebers ist danach zunächst nicht in einer diskriminierungsfreien Beendigung, sondern in der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu sehen. Dementsprechend wird in der Literatur in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen, ob bei einer bereits diskriminierungsbelasteten Fallkonstellation realistischerweise so bald mit einer diskriminierungsfreien Arbeitgeberkündigung gerechnet werden könne. Die Behauptung und der entkräftende Beweis bleiben dem Arbeitgeber freilich unbenommen (Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 12 Rz 87 mwN).

Zu bedenken ist schließlich, dass eine Schadenersatzlösung, bei der die diskriminierte Person lediglich eine geringe Kündigungsentschädigung zu gewärtigen hätte, als Alternative zur Anfechtung der Beendigung für einen Arbeitnehmer auch kaum von Interesse wäre und insofern keine effektive Maßnahme iSd Art 18 RL 2006/54/EG darstellte. Diese Gefahr bestünde insbesondere, wenn man den Vermögensschaden nur danach bemessen würde, dass der Arbeitgeber das Dienstverhältnis in der Probezeit ohnedies jederzeit beenden könnte.

1.2. Beweislast beim Arbeitgeber

Für die Frage, ob einem Arbeitnehmer diskriminierungsbedingt ein zu ersetzender Vermögensschaden entstanden ist, ist danach auf das allgemeine schadenersatzrechtliche Prinzip zurückzugreifen, wonach der Schädiger die Behauptungs- und Beweislast dafür zu tragen hat, dass der Schaden auch im Fall des vorschriftsmäßigen Verhaltens, dh ohne Verletzung der Schutznorm, eingetreten wäre.

Im vorliegenden Fall hätte demnach der Arbeitgeber unter Beweis zu stellen gehabt, dass er das Arbeitsverhältnis der Klägerin auch ohne Berücksichtigung der Schwangerschaft innerhalb der Probezeit beendet hätte. Dies ist dem festgestellten Sachverhalt jedoch nicht zu entnehmen: Danach war das Verhalten der Klägerin (Trödeln, mürrisches Antworten auf Anweisungen, Differenzen bezüglich Rauchpausen ua) den Geschäftsführern des beklagten Unternehmens schon vor ihrem Urlaub bekannt, der Geschäftsführer erklärte aber kurz davor über Nachfrage, dass „alles passe“. Es ist hier folglich gerade nicht erwiesen, dass der Arbeitgeber schon das Verhalten der Klägerin als solches zum Anlass der Beendigung ihres Lehrverhältnisses innerhalb der Probezeit genommen hätte.

Nach all dem scheidet im vorliegenden Fall eine dem Arbeitgeber vorschwebende Reduktion der Ersatzpflicht auf Null oder eine Begrenzung mit dem Verdienstentgang bis zum „nächstmöglichen Beendigungstermin“ - hier also in der Probezeit - aus. Die Höhe des zugesprochenen Ersatzes des Vermögensschadens (Lehrlingsentschädigung für insg 5 Monate ab Auflösung des Lehrverhältnisses) wurde vom Arbeitgeber hier sonst nicht in Frage gestellt.

2. Ersatz der persönlichen Beeinträchtigung

Die Revisionen beider Streitteile richten sich auch gegen die Bemessung des immateriellen Schadenersatzes mit € 1.000,-, der von der Klägerin als zu niedrig, vom Arbeitgeber als zu hoch erachtet wird.

Anders als bei anderen Diskriminierungsarten hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, bei der Beendigungsdiskriminierung nach § 12 Abs 7 GlBG keine Mindest-, Fix- oder Höchstbeträge für den Ausgleich des immateriellen Schadens festzulegen (zu den maßgeblichen Kriterien siehe § 12 Abs 14 GlBG). Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls setzt der OGH die Entschädigung letztlich mit € 1.700,- fest:

Schon aus der Entscheidung EuGH 14. 7. 1994, C-32/93, Webb, geht hervor, dass einer Diskriminierung wegen Schwangerschaft einer Dienstnehmerin besonderes Gewicht zukommt (Rücksichtnahme des Gemeinschaftsgesetzgebers auf die Gefahr für die physische und psychische Verfassung von schwangeren Arbeitnehmerinnen sowie auf das „besonders schwerwiegende Risiko, dass eine schwangere Arbeitnehmerin zum freiwilligen Abbruch ihrer Schwangerschaft veranlasst wird).

Im vorliegenden Fall berücksichtigt der OGH va, dass die erst 17-jährige Klägerin mit der diskriminierenden Auflösung des Lehrverhältnisses ihre Lehrstelle verlor, die Diskriminierung für sie plötzlich und unvorhersehbar kam, sie im Gespräch mit dem Geschäftsführer zu weinen begann, mehrfach den Raum verlassen musste und beteuerte, die Lehre nicht beenden zu wollen, während der Geschäftsführer sie mit der Bemerkung, dass für sie eine „Eiszeit“ anbrechen werde und niemand mehr mit ihr reden dürfe, weiter in unzumutbarer Weise unter Druck setzte, auch bei einem zweiten Gespräch die Schwangerschaft thematisierte und dadurch insgesamt den Eindruck bestärkte, die gesetzlich geschützte Position einer Schwangeren nicht zu akzeptieren und die Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin als „Unglücksfall“ des Arbeitgebers wahrzunehmen. Damit trug er aber erheblich zur erlittenen persönlichen Beeinträchtigung der Klägerin bei.

Der Entschädigung hat nach dem expliziten gesetzlichen Auftrag des § 12 Abs 14 GlBG auch präventive Funktion zuzukommen. Ausgehend davon, dass die Klägerin für die erlittene persönliche Beeinträchtigung ursprünglich € 3.000,- für mehrere Diskriminierungen im Rahmen ihres Lehrverhältnisses geltend machte (geschlechtsbezogene Belästigung „bzw“ Diskriminierung bei den sonstigen Arbeitsbedingungen; Beendigungsdiskriminierung), nach den Feststellungen dagegen „nur“ von einer als Einheit zu beurteilenden Beendigungsdiskriminierung auszugehen ist, erscheint im vorliegenden Fall bei einer Gesamtbetrachtung die Festlegung eines Entschädigungsbetrags in Höhe von € 1.700,- angemessen. Mit dieser Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung der Klägerin wird die Beeinträchtigung iSd § 12 Abs 14 GlBG einerseits tatsächlich und wirksam ausgeglichen; andererseits erscheint der Betrag geeignet, vergleichbare Diskriminierungen zu verhindern.

Abschließend betont der OGH, dass die Festlegung des Entschädigungsbetrags stets nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen kann, sodass der hier festgelegte Betrag nicht als Pauschale für andere Konstellationen einer Beendigungsdiskriminierung zu verstehen ist. In jedem Einzelfall bleibt es einer diskriminierten Person natürlich unbenommen, konkret darzulegen, worin gerade in ihrem Fall - über das für jeden Offensichtliche hinaus - die besonderen Umstände liegen, die die Schwere und Dauer ihrer erlittenen persönlichen Beeinträchtigung ausmachen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 20473 vom 29.10.2015