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D&O-Versicherung: „Serienschadenklausel“

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

ABGB: §§ 914 f

OLA 2008: Art 8

Die vorliegenden Versicherungsbedingungen für „Directors & Officers-Versicherungsverträge“ (OLA 2008) sehen zwei Versicherungsfälle vor, und zwar den „Haftpflicht-Versicherungsfall“ (Art 1.1.1 OLA 2008) und den „Verfahrensrechtsschutz-Versicherungsfall“ (Art 1.1.2. OLA 2008). Der Haftpflicht-Versicherungsfall tritt danach mit der ersten schriftlichen Anspruchserhebung ein („Claims-made-Prinzip“), während der Verfahrensrechtsschutz-Versicherungsfall an die erstmalige Verfahrenseinleitung gegen den Versicherten anknüpft. Liegt aber mehreren Versicherungsfällen dieselbe Pflichtverletzung zugrunde, gelten sie nach der „Serienschadenklausel“ des Art 8.4 OLA 2008 „unabhängig von der Anzahl der Inanspruchnahmen und Verfahren als derselbe Versicherungsfall“, der nach Art 8.4.2.a „als alleine in dem Zeitpunkt eingetreten“ gilt, in dem die erste Inanspruchnahme erfolgt oder das erste Verfahren eingeleitet wird, und zwar „je nachdem, welcher der früheste dieser Zeitpunkte ist“.

Angesichts dieser inhaltlich klaren Regelungen kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer diese Bestimmungen nur dahin verstehen, dass - bei Vorliegen identer Pflichtverletzungen - sowohl Haftpflicht-Versicherungsfälle als auch Verfahrensrechtsschutz-Versicherungsfälle zu einem einheitlichen Versicherungsfall verknüpft werden und dass alle zu einem einheitlichen Versicherungsfall verknüpften Versicherungsfälle gleichzeitig im Zeitpunkt des zeitlich ersten Ereignisses als eintreten gelten. Das hat im Ergebnis zur Folge, dass für Bestand und Umfang des Versicherungsschutzes ausschließlich das zeitlich erste Ereignis maßgeblich ist.

OGH 19. 11. 2015, 7 Ob 137/15w

Entscheidung

Serienschaden

Im vorliegenden Fall wurde gegen den Kl (ein Mitglied des Vorstands der Versicherungsnehmerin) ein strafrechtlichliches Ermittlungsverfahren unstrittig noch innerhalb der Wirksamkeit des Versicherungsvertrags eingeleitet und die bekl Versicherung hat insofern auch Versicherungsschutz für diesen Verfahrensrechtsschutz-Versicherungsfall gewährt.

Der Kl strebt nun aber auch die Feststellung der Deckungspflicht der Bekl für Verteidigungskosten in einem anhängigen arbeitsgerichtlichen Verfahren an, in dem er seine Entlassung bekämpft und sein ehemaliger Arbeitgeber einen Kompensationseinwand erhoben hat. Der bekl Versicherer verweigerte dafür die Versicherungsdeckung, weil seiner Ansicht nach dieser Kompensationseinwand erst nach Ablauf des Versicherungsvertrags nach Art 11.2 OLA 2008 erhoben wurde.

In seinen Entscheidungsgründen stellt der OGH zunächst klar, dass nach Art 4.4.1 OLA 2008 im Haftpflicht-Versicherungsfall als versicherte „Verteidigung“ auch ein Rechtsstreit gilt, den die versicherte Person zur Durchsetzung ihrer Vergütungs- oder anderen Ansprüche aus dem Organverhältnis führt, wenn die Versicherungsnehmerin mit einem Schadenersatzanspruch wegen einer Pflichtverletzung gegen solche Ansprüche aufrechnet. Diese Voraussetzungen lagen nach Ansicht des OGH hier vor: Da alle Pflichtverletzungen, die zur Begründung der Aufrechnungseinrede im Arbeitsgerichtsverfahren herangezogen werden, auch Gegenstand des Ermittlungsverfahrens sind, gelten die Versicherungsfälle nach Art 8.4.1 OLA 2008 aufgrund dieser Identität der Pflichtverletzungen als ein Schadenfall, der nach Art 8.4.2.a OLA 2008 mit dem ersten Versicherungsfall eingetreten ist, hier also noch während der Dauer des Versicherungsvertrags.

Aufgrund dieses Ergebnisses musste der OGH die weiters aufgeworfenen Fragen betr Vertragsbeendigung (hier: wegen Kontrollwechsel durch Verschmelzung) und Versicherungsschutz wegen einer Nachmeldefrist bzw „Run Off-Frist“ (Art 2 OLA 2008) nicht weiter prüfen.

Verschmelzung als Gefahrenerhöhung

Die Bekl beruft sich zudem auf ihre Leistungsfreiheit nach den §§ 25, 28 VersVG infolge einer nach Vertragsabschluss durch die Verschmelzung eingetretenen Gefahrenerhöhung, weil diese weder von der Versicherungsnehmerin noch vom Kl angezeigt worden sei.

Dem hält der OGH entgegen, dass im Fall einer Verschmelzung nach Art 2.2.2 OLA 2008 Versicherungsschutz nur für Versicherungsfälle wegen vor der Verschmelzung begangener Pflichtverletzungen gewährt wird. Der hier vorliegende Versicherungsfall sei daher grundsätzlich gedeckt (Pflichtverletzungen nach der Verschmelzung waren nicht verfahrensgegenständlich). Die Anzeige der Verschmelzung habe nur den Sinn der Verständigung von der Verschmelzung, von der die Bekl aber ohnedies Kenntnis erlangt hatte. Demnach habe die unterbliebene Anzeige keinen Einfluss auf die Leistung des Versicherers, weshalb sie keine Leistungsfreiheit der Bekl bewirken könne. Eine arglistige Obliegenheitsverletzung wurde nicht behauptet.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21067 vom 05.02.2016