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Erkennbare Zahlungsunfähigkeit in COVID-Zeiten?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

IO: § 31

Die Anzeichen einer wirtschaftlichen Krise des Schuldners im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung müssen für den Anfechtungsgegner Anlass sein, mit zumutbaren Mitteln Erkundigungen einzuziehen. Die Beurteilung, ob auf dieser Grundlage fahrlässige Unkenntnis anzunehmen ist, stellt regelmäßig eine Frage des Einzelfalls dar.

Auch unter Berücksichtigung der erhöhten Sorgfaltsanforderungen, die an ein Finanzamt zu stellen sind, hat das BerufungsG hier im Rahmen seines Beurteilungsspielraums fahrlässige Unkenntnis des Finanzamts verneint:

Als Krisenindikator kommt im vorliegenden Fall ein – bloß formelhaft begründeter – Stundungsantrags vom 15. 4. 2020 in Betracht. Nach der Rsp verpflichtet die Stellung eines Ratenzahlungsersuchens für sich allein genommen den Gläubiger nicht gleichsam automatisch zu Nachforschungen. Jedenfalls vertretbar ist damit auch die Rechtsansicht des BerufungsG, dass der Stundungsantrag für sich genommen vor dem Hintergrund des kurz zuvor erfolgten Beginns der Corona-Pandemie unter Berücksichtigung der unauffälligen Höhe der Abgabenrückstände im Antragszeitpunkt keinen Krisenindikator darstelle. Diese Rechtsansicht führt entgegen der Befürchtungen des Kl auch nicht zur generellen Anfechtungsfestigkeit von Zahlungen an die Finanz nach derartigen Stundungsersuchen; entscheidend sind vielmehr immer die konkreten Umstände des Einzelfalls.

Als weiterer Krisenindikator kommt die Entwicklung des Abgabenkontos der Schuldnerin in Betracht, wobei in erster Linie die Soll-Buchung von rund 150.000 € (mit Fälligkeit zum 15. 4. 2020) hervorsticht, die erst aus der Umsatzsteuervoranmeldung für Februar 2020 resultiert und von der Steuerstundung nicht umfasst ist. Dass ein Schuldner mit laufenden Beiträgen über einen Zeitraum von rund zwei Monaten nach Fälligkeit in Rückstand gerät, ist für sich allein genommen allerdings kein ausreichendes Indiz für die Zahlungsunfähigkeit.

Mit seiner Rechtsansicht, dass vor dem Hintergrund einer pandemiebedingten Krisensituation für die Wirtschaft eine rund sechs Wochen lang fällig aushaftende Umsatzsteuerschuld (auch in Kombination mit einem Stundungsansuchen) nicht auf das Vorliegen materieller Insolvenz bei der Schuldnerin hindeute, hat das BerufungsG seinen Beurteilungsspielraum daher nicht überschritten.

OGH 17. 10. 2022, 17 Ob 16/22k

Entscheidung

Mit der Argumentation, der OGH habe zu Nachforschungspflichten „bei pandemiebedingt empfindlichem Umsatzrückgang“ bzw „aufgrund der Covid-19-Pandemie“ noch nicht Stellung genommen, zeigt der Kl keine erhebliche Rechtsfrage auf, da sich die Frage nach dem Vorliegen fahrlässiger Unkenntnis des Anfechtungsgegners letztlich immer nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beantworten lässt. Im Übrigen weist auch die E 3 Ob 92/17a (= RdW 2017/560) durchaus Parallelen zum vorliegenden Sachverhalt auf (und wurde vom BerufungsG als vergleichbar erachtet), sodass auch in diesem Zusammenhang keine erhebliche Rechtsfrage zu beantworten ist.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 33394 vom 13.12.2022