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EuGH: Abgestimmte Verhaltensweise – Verantwortlichkeit auch für Dienstleister?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

AEUV Art 101

Für eine abgestimmte Verhaltensweise kann ein Unternehmen grundsätzlich nur dann aufgrund des Fehlverhaltens eines selbstständigen Dienstleisters verantwortlich gemacht werden, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist:

-Der Dienstleister war in Wirklichkeit unter der Leitung oder der Kontrolle des beschuldigten Unternehmens tätig, oder
-das Unternehmen hatte von den wettbewerbswidrigen Zielen seiner Konkurrenten und des Dienstleisters Kenntnis und wollte durch sein eigenes Verhalten dazu beitragen, oder
-das Unternehmen konnte das wettbewerbswidrige Verhalten seiner Konkurrenten und des Dienstleisters vernünftigerweise vorhersehen und war bereit, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen.

EuGH 21. 7. 2016, C-542/14, VM Remonts ua

Sachverhalt

Zu einem lettischen Vorabentscheidungsersuchen.

Der Gemeinderat der Stadt Jūrmala veröffentlichte eine Ausschreibung bezüglich der Belieferung von Ausbildungseinrichtungen mit Lebensmitteln. Drei Unternehmen gaben auf diese Ausschreibung Angebote ab, ua Pārtikas kompānija.

Dieses Unternehmen hatte als Rechtsbeistand für die Erstellung und Einreichung ihres Angebots die SIA „Juridiskā sabiedrība ‚B&Š partneri‘“ beauftragt, die wiederum einen Unterauftragnehmer hinzuzog, und zwar die SIA „MMD lietas“.

Diese Unterauftragnehmerin erhielt von Pārtikas kompānija den Entwurf eines Angebots, den Pārtikas kompānija unabhängig erstellt hatte, ohne sich mit den Mitbewerbern über die Preise abgestimmt zu haben.

Die Unterauftragnehmerin allerdings hatte sich – ohne Pārtikas kompānija darüber zu informieren – parallel verpflichtet, auch die jeweiligen Angebote der Mitbewerber zu erstellen. Sie nutzte das Angebot von Pārtikas kompānija als Referenz und erstellte die Preise aller Angebote letztlich so, dass das Angebot des einen Mitbewerbers ungefähr 5 % unter dem von Pārtikas kompānija lag und das Angebot des zweiten Mitbewerbers wiederum 5 % unter diesem.

Nicht festgestellt wurde, dass die Verantwortlichen von Pārtikas kompānija dem Fehlverhalten der Unterauftragnehmerin zugestimmt hätten oder darüber informiert waren.

Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob es in einer solchen Situation möglich ist, einem Unternehmen wie Pārtikas kompānija aufgrund des Fehlverhaltens eines Dienstleisters wie MMD lietas, der selbstständig für das Unternehmen Leistungen erbringt, die Beteiligung an einer abgestimmten Verhaltensweise iSv Art 101 Abs 1 AEUV anzulasten.

Entscheidung

Die Verantwortlichkeit eines Unternehmens für ein etwaiges wettbewerbswidriges Verhalten seiner Angestellten wurde vom EuGH bereits bestätigt (vgl zB EuGH 7. 2. 2013, Slovenská sporiteľňa , C-68/12, EU:C:2013:71, LN Rechtsnews 14551 vom 8. 2. 2013 = RdW 2013/141). Die Beziehung zwischen einem Unternehmen und seinen Angestellten ist jedoch grundsätzlich nicht mit der Beziehung zwischen dem Unternehmen und den von ihm beauftragten Dienstleistern vergleichbar, weshalb der EuGH die Ausführungen in seinen bisherigen Urteilen für hier nicht anwendbar hält.

Leitung oder Kontrolle

Der EuGH will jedoch nicht ausschließen, dass unter bestimmten Umständen ein Dienstleister, der sich als selbstständig ausgibt, in Wirklichkeit unter der Leitung oder der Kontrolle seines Auftraggebers tätig ist und das auftraggebende Unternehmen daher für ein eventuelles Fehlverhalten des Dienstleisters verantwortlich gemacht werden kann.

Als Beispiel nennt der EuGH den Fall, dass der Dienstleister bezüglich Art und Weise der Ausübung der vereinbarten Tätigkeit über wenig oder überhaupt keine Autonomie und Flexibilität verfügt und seine angebliche Selbständigkeit ein Arbeitsverhältnis verschleiert (vgl in diesem Sinne EuGH 4. 12. 2014, FNV Kunsten Informatie en Media, C-413/13, EU:C:2014:2411).

Eine solche Leitung oder Kontrolle könnte – wie bei der Beziehung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften – aus besonderen organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen abgeleitet werden (vgl in diesem Sinne EuGH 24. 6. 2015, Fresh Del Monte Produce/Kommission und Kommission/Fresh Del Monte Produce, C-293/13 P und C-294/13 P, EU:C:2015:416).

Kenntnis und Mitwirkung

Ist der betreffende Dienstleister jedoch tatsächlich selbstständig (dies hat das nationale Gericht zu prüfen), könnte die abgestimmte Verhaltensweise, an der dieser Dienstleister beteiligt ist, dem auftraggebenden Unternehmen zugerechnet werden, wenn es durch sein Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele beitragen wollte und die verpönten Absichten und Verhaltensweisen der anderen Unternehmen kannte oder vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (vgl in diesem Sinne EuGH 8. 7. 1999, Kommission/Anic Partecipazioni, C-49/92 P, EU:C:1999:356).

Diese Voraussetzungen für eine Zurechnung wären hier erfüllt, wenn das Unternehmen (Pārtikas kompānija) die Absicht hatte, seinen Konkurrenten über seinen Dienstleister seine vertraulichen Geschäftsinformationen zu offenbaren, oder wenn es ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt hat, dass der Dienstleister diese vertraulichen Geschäftsinformationen mit den Konkurrenten teilt (vgl entsprechend zB EuGH 21. 1. 2016, Eturas ua, C-74/14, EU:C:2016:42, LN Rechtsnews 20974 vom 26. 1. 2016 = RdW 2016/135).

Nicht erfüllt wären die Voraussetzungen für eine Zurechnung jedoch, wenn der Dienstleister – ohne das auftraggebende Unternehmen darüber zu informieren – dessen vertrauliche Geschäftsinformationen genutzt hat, um die Angebote der Konkurrenten zu erstellen.

Diesbezüglich weist der EuGH jedoch auch darauf hin, dass die abgestimmte Verhaltensweise dem auftraggebenden Unternehmen auch dann zugerechnet werden kann, wenn es vernünftigerweise vorhersehen konnte, dass der Dienstleister seine Geschäftsinformationen mit seinen Konkurrenten teilen würde, und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen.

Das nationalen Gericht hat nun – im Einklang mit den Regeln seines nationalen Rechts über die Beweiswürdigung und das erforderliche Beweismaß – zu prüfen, ob unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

Art 101 Abs 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass ein Unternehmen grundsätzlich nur dann aufgrund des Fehlverhaltens eines selbstständigen Dienstleisters, der für das Unternehmen Leistungen erbringt, für eine abgestimmte Verhaltensweise verantwortlich gemacht werden kann, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist:

-Der Dienstleister war in Wirklichkeit unter der Leitung oder der Kontrolle des beschuldigten Unternehmens tätig, oder
-das Unternehmen hatte von den wettbewerbswidrigen Zielen seiner Konkurrenten und des Dienstleisters Kenntnis und wollte durch sein eigenes Verhalten dazu beitragen, oder
-das Unternehmen konnte das wettbewerbswidrige Verhalten seiner Konkurrenten und des Dienstleisters vernünftigerweise vorhersehen und war bereit, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 22027 vom 22.07.2016