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EuGH: Anlegerschaden - internationale Zuständigkeit

VO (EG) 44/2001: Art 5, Art 15

Hat ein Verbraucher Inhaberschuldverschreibungen bei einem beruflich oder gewerblich handelnden Dritten erworben (hier: Erwerb von Zertifikaten auf dem Sekundärmarkt), richtet sich die Zuständigkeit für die Klage des Verbrauchers gegen den Emittenten dieser Schuldverschreibungen (aus den Anleihebedingungen, wegen Verletzung von Informations- und Kontrollpflichten bzw aus Prospekthaftung) grds

-nicht nach Art 15 Abs 1 VO (EG) 44/2001 (Verbrauchergerichtsstand), wenn zwischen dem Verbraucher und dem Emittenten kein Vertrag geschlossen wurde, und
-nicht nach Art 5 Nr 1 Buchst a VO (EG) 44/2001, wenn der Emittent auch nicht freiwillig eine rechtliche Verpflichtung gegenüber dem Verbraucher übernommen hat, aber
-nach Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 (Gerichtsstand der unerlaubten Handlung - Anknüpfung an die Verwirklichung des Schadenserfolgs).

Am Wohnsitz des Klägers sind die Gerichte nach Art 5 Nr 3 der VO (EG) 44/2001 für eine solche Klage insb dann zuständig, wenn sich der behauptete Schaden unmittelbar auf einem Bankkonto des Klägers bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte verwirklicht.

EuGH 28. 1. 2015, C-375/13, Kolassa; zu den Schlussanträgen siehe LN Rechtsnews 17993 vom 10. 9. 2014

Ausgangsfall

Zu einem Vorabentscheidungsersuchen des HG Wien.

Der Kläger, Herr Kolassa, investierte als Verbraucher über die österreichische Bank direktanlage.at in X1 Global EUR Index Zertifikate. Emittentin der Zertifikate war die Barclays Bank, die im Handelsregister des Vereinigten Königreichs eingetragen ist und auch eine Zweigniederlassung in Frankfurt am Main (Deutschland) hat.

Die Zertifikate haben die Form von Inhaberschuldverschreibungen und wurden an institutionelle Investoren verkauft, die sie ua an Verbraucher weiterverkauften. Im vorliegenden Fall orderte direktanlage.at die Zertifikate, die Herr Kolassa zu zeichnen wünschte, bei ihrer deutschen Muttergesellschaft, der DAB Bank AG mit Sitz in München, die die Zertifikate ihrerseits von der Barclays Bank erwarb. Die Orders erfolgten jeweils im Namen der betreffenden Gesellschaften und wurden entsprechend ausgeführt. Gemäß ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen erfüllte direktanlage.at den Auftrag von Herrn Kolassa „in Wertpapierrechnung“, was bedeutet, dass sie die Zertifikate als Deckungsbestand in München im eigenen Namen auf Rechnung ihrer Kunden hielt. Herrn Kolassa wurde nur ein Anspruch auf Lieferung der Zertifikate aus dem entsprechenden Anteil am Deckungsbestand gutgeschrieben. Eine Übertragung der Zertifikate selbst an ihn fand nicht statt.

Als geschädigter Anleger reichte Herr Kolassa beim Handelsgericht Wien Klage auf Schadenersatz iHv € 73.705,07 aus vertraglicher, vorvertraglicher und deliktischer Haftung der Barclays Bank ein.

Rechtlicher Rahmen - Gemeinschaftsrecht:

VO (EG) 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

Die VO (EG) 44/2001 wurde grds mit 10. 1. 2015 durch die VO (EU) 1215/2012 abgelöst. Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 ist nunmehr in Art 7 Nr 2 VO (EU) 1215/2012 geregelt.

Entscheidung

Kein Vertrag mit dem Emittenten

Aus der knappen Sachverhaltsdarstellung ergab sich hier, dass kein Vertrag zwischen der Barclays Bank und Herrn Kolassa besteht: Letzterer ist nicht Inhaber der Schuldverschreibungen, weil diese von direktanlage.at als Deckungsbestand im eigenen Namen gehalten werden, während Herrn Kolassa ein Anspruch auf Lieferung der Zertifikate aus dem entsprechenden Anteil am Deckungsbestand gutgeschrieben wurde, die Zertifikate selbst aber nicht an ihn übertragen wurden.

Der EuGH geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass das Erfordernis des Vertragsschlusses mit dem beklagten beruflich oder gewerblich Handelnden (Art 15 Abs 1 VO (EG) 44/2001) nicht so ausgelegt werden kann, dass es auch bei einer Kette von Verträgen erfüllt wäre, aufgrund deren dieser beruflich oder gewerblich Handelnde gegenüber dem Verbraucher bestimmte Rechte und Pflichten hat. Nur unter besonderen Umständen, unter denen der Verbraucher von vornherein vertraglich in untrennbar miteinander verbundener Weise an zwei Vertragspartner gebunden ist, könne der Begriff „anderer Vertragspartner“ (Art 15 iVm Art 16 VO (EG) 44/2001) dahin auszulegen sein, dass er auch den Vertragspartner des Wirtschaftsteilnehmers bezeichnet, mit dem der Verbraucher den betreffenden Vertrag geschlossen hat (vgl EuGH 14. 11. 2013, C-478/12, Maletic und Maletic, LN Rechtsnews 16233 vom 18. 11. 2013 = RdW 2014/45).

Keine Beziehung iSd Art 5 Nr 1 Buchst a VO (EG) 44/2001

Die Wendung „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ iSv Art 5 Nr 1 VO (EG) 44/2001 ist - so der EuGH - unter Heranziehung der Systematik und der Zielsetzungen dieser Verordnung autonom auszulegen. Im Gegensatz zu Art 15 Abs 1 VO (EG) 44/2001 sei der Abschluss eines Vertrags kein Tatbestandsmerkmal von Art 5 Nr 1 VO (EG) 44/2001, so dass die Verneinung der Zuständigkeit nach Art 15 Abs 1 VO (EG) 44/2001 nicht zwangsläufig der Anwendbarkeit von Art 5 Nr 1 VO (EG) 44/2001 vorgreife.

Auch wenn also Art 5 Nr 1 Buchst a VO (EG) 44/2001 nicht den Abschluss eines Vertrags verlange, sei für seine Anwendung dennoch die Feststellung einer Verpflichtung unerlässlich, weil sich die gerichtliche Zuständigkeit nach dieser Bestimmung nach dem Ort bestimmt, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Somit setzt die Anwendung des Art 5 Nr 1 Buchst a VO (EG) 44/2001 voraus, dass eine von einer Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung bestimmt werden kann, auf die sich die betreffende Klage stützt (vgl EuGH 14. 3. 2013, C-419/11, Ceská sporitelna, LN Rechtsnews 14788 vom 18. 3. 2013).

Auch insoweit ergab sich hier aus der Sachverhaltsdarstellung des HG Wien, dass eine solche freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung der Barclays Bank gegenüber Herrn Kolassa fehlt, auch wenn sie ihm gegenüber - wie der EuGH ausdrücklich erwähnt - bestimmte Pflichten nach dem anwendbaren nationalen Recht hat.

Wahlgerichtsstand für Deliktsklagen

Auch Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 ist zwar autonom und eng auszulegen, kommt aber grds - so der EuGH - auf Haftungsklagen gegen einen Emittenten aus Prospekthaftung und wegen Verletzung sonstiger gesetzlicher Informationspflichten zur Anwendung, sofern sie nicht von der Wendung „wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden“ gem Art 5 Nr 1 Buchst a VO (EG) 44/2001 erfasst sind.

Allein die Tatsache, dass den Kläger finanzielle Konsequenzen treffen, rechtfertigt nach Ansicht des EuGH zwar noch nicht die Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte seines Wohnsitzes, eine solche Zuständigkeitszuweisung sei aber gerechtfertigt, soweit der Wohnsitz des Klägers tatsächlich der Ort des ursächlichen Geschehens oder der Verwirklichung des Schadenserfolgs ist.

Insoweit ergab sich hier aus der Vorlageentscheidung, dass zum einen der Wertverlust der Zertifikate nicht auf den Unwägbarkeiten der Finanzmärkte beruhte, sondern auf der Verwaltung der Fonds, in denen die Gelder aus der Ausgabe der Zertifikate angelegt waren. Zum anderen lagen die Handlungen oder Unterlassungen, die der Barclays Bank hinsichtlich ihrer gesetzlichen Informationspflichten vorgeworfen werden, zeitlich vor der von Herrn Kolassa getätigten Investition und waren nach dessen Aussage ausschlaggebend für diese. Unterstellt man - so der EuGH -, dass die Handlungen und Unterlassungen der Barclays Bank eine notwendige Voraussetzung für das Entstehen des Schadens waren, reiche dies für die Anwendung von Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 aus und es bleibe insoweit zu prüfen, inwieweit die Umstände des Ausgangsverfahrens erlauben, den Ort des ursächlichen Geschehens oder der Verwirklichung des Schadenserfolgs am Wohnsitz des Klägers anzusiedeln.

Das ursächliche Geschehen, also die behauptete Verletzung der gesetzlichen Pflichten in Bezug auf den Prospekt und die Information der Anleger, konnte hier zwar nicht am Wohnsitz des Anlegers angesiedelt werden, weil in den Akten nichts darauf hinwies, dass die Entscheidungen über die Modalitäten der angebotenen Anlagen und über die Inhalte der dazugehörigen Prospekte im Wohnsitzmitgliedstaat des Anlegers getroffen worden wären oder dass diese Prospekte ursprünglich anderswo verfasst und ausgegeben worden wären als im Sitzmitgliedstaat der Bank.

Hinsichtlich der Verwirklichung des Schadenserfolgs war nach Ansicht des EuGH jedoch unter der vorliegenden Umständen davon auszugehen, dass der Schaden an dem Ort eintritt, an dem der Investor ihn erleidet. Die Gerichte am Wohnsitz des Klägers seien somit insbesondere dann zuständig, wenn sich der besagte Schaden unmittelbar auf einem Bankkonto des Klägers bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte verwirklicht.

Abschließend hält der EuGH fest, dass der so bestimmte Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs dem Ziel der VO (EG) 44/2001 gerecht wird, den Rechtsschutz zu stärken, indem dem Kläger eine leichte Identifizierung des Gerichts ermöglicht wird, das er anrufen kann, und zugleich dem Beklagten eine angemessene Vorhersehbarkeit des Gerichts, vor dem er verklagt werden kann. Beschließe nämlich der Emittent eines Zertifikats, den Prospekt zu diesem Zertifikat in anderen Mitgliedstaaten notifizieren zu lassen, obwohl er seinen gesetzlichen Pflichten in Bezug auf den Prospekt nicht nachkommt, müsse er sich darauf einstellen, dass nicht hinreichend informierte Wirtschaftsteilnehmer in diesen Mitgliedstaaten in dieses Zertifikat investieren und Schaden erleiden.

Der EuGH hat daher für Recht erkannt:

1.Art 15 Abs 1 der VO (EG) 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass sich unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ein Kl, der als Verbraucher eine Inhaberschuldverschreibung bei einem beruflich oder gewerblich handelnden Dritten erworben hat, ohne dass zwischen ihm und dem Emittenten dieser Schuldverschreibung ein Vertrag geschlossen worden wäre - was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist -, für eine Klage, mit der er den Emittenten aus den Anleihebedingungen, wegen Verletzung der Informations- und Kontrollpflichten sowie aus Prospekthaftung in Anspruch nimmt, nicht auf die in dieser Bestimmung vorgesehene Zuständigkeit berufen kann.
2.Art 5 Nr 1 Buchst a der VO (EG) 44/2001 ist dahin auszulegen, dass sich unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ein Kl, der eine Inhaberschuldverschreibung bei einem Dritten erworben hat, ohne dass ihr Emittent ihm gegenüber freiwillig eine Verpflichtung übernommen hätte - was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist -, für eine Klage, mit der er den Emittenten aus den Anleihebedingungen, wegen Verletzung der Informations- und Kontrollpflichten sowie aus Prospekthaftung in Anspruch nimmt, nicht auf die in dieser Bestimmung vorgesehene Zuständigkeit berufen kann.
3.Art 5 Nr 3 der VO (EG) 44/2001 ist dahin auszulegen, dass er für eine Klage, mit der der Emittent eines Zertifikats aus Prospekthaftung und wegen Verletzung sonstiger ihm obliegender Informationspflichten in Anspruch genommen wird, gilt, sofern diese Haftung keine Vertragsangelegenheit iSv Art 5 Nr 1 dieser Verordnung ist. Nach Art 5 Nr 3 der VO (EG) 44/2001 sind die Gerichte am Wohnsitz des Kl in Anknüpfung an die Verwirklichung des Schadenserfolgs für eine solche Klage insb dann zuständig, wenn sich der behauptete Schaden unmittelbar auf einem Bankkonto des Kl bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte verwirklicht.
4.Im Rahmen der Prüfung der Zuständigkeit nach der VO (EG) 44/2001 ist nicht erforderlich, zu strittigen Tatsachen, die sowohl für die Frage der Zuständigkeit als auch für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs von Relevanz sind, ein umfassendes Beweisverfahren durchzuführen. Dem angerufenen Gericht steht jedoch frei, seine internationale Zuständigkeit im Licht aller ihm vorliegender Informationen zu prüfen, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Bekl gehören.

Bearbeiterin: Barbara Tuma

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 18847 vom 29.01.2015