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EuGH: „Anti-suit injunction“ eines Schiedsgerichts

Bearbeiter: Wolfgang Kolmasch

EuGVVO 2001: Art 1

Ob ein ausländischer Schiedsspruch, der es einer Partei untersagt, in einem Verfahren vor einem staatlichen Gericht bestimmte Anträge zu stellen („anti-suit injunction“), im Gerichtsstaat anzuerkennen ist, richtet sich nach den nationalen Vorschriften und den anwendbaren Staatsverträgen. Die EuGVVO 2001 steht der Anerkennung nicht entgegen.

EuGH 13. 5. 2015, C-536/13, Gazprom/Litauen

Sachverhalt

Die Parteien des Ausgangsverfahrens, Gazprom und die Republik Litauen, waren im maßgeblichen Zeitraum Aktionäre einer litauischen AG. Sie hatten eine Aktionärsvereinbarung mit einer Schiedsklausel getroffen, nach der Streitigkeiten durch ein Schiedsverfahren beim Schiedsgerichtsinstitut der Stockholmer Handelskammer beizulegen sind.

In der Folge brachte die Republik Litauen bei einem litauischen Gericht eine Klage auf Untersuchung von Tätigkeiten der AG ein.

Da Gazprom der Auffassung war, dass diese Angelegenheit vor das Schiedsgericht gehört, leitete sie ein Schiedsverfahren ein. Das Schiedsgericht stellte eine teilweise Verletzung der Vereinbarung fest und verpflichtete Litauen dazu, bestimmte Klagebegehren in dem staatlichen Gerichtsverfahren zurückzunehmen oder einzuschränken.

Im Ausgangsverfahren strebt Gazprom die Anerkennung und Vollstreckung dieses Schiedsspruchs in Litauen an. Das vorlegende Gericht ersuchte den EuGH um Vorabentscheidung, ob die Anerkennung mit der EuGVVO 2001 vereinbar ist.

Entscheidung

In der Rs C-185/07, Allianz und Generali/West Tankers = Zak 2009/109, 79 (Neumayr) vertrat der EuGH die Auffassung, dass der Erlass einer gerichtlichen Anordnung, mit der einer Person die Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats wegen Bestehens einer Schiedsvereinbarung untersagt wird (“anti-suit injunction“), gegen die EuGVVO 2001 verstößt. Kein Gericht dürfe über die Zuständigkeit des Gerichts eines anderen Mitgliedstaats entscheiden und dadurch dessen Entscheidungsbefugnis beschränken.

Der vorliegende Fall ist nach Ansicht des EuGH anders zu beurteilen, weil es um eine von einem Schiedsgericht erlassene „anti-suit injunction“ geht. Die Schiedsgerichtsbarkeit sei vom Anwendungsbereich der EuGVVO ausgenommen. Die Frage der Anerkennung bzw ihrer Versagung sei daher nach dem nationalen Recht des betroffenen Mitgliedstaats bzw den dort anwendbaren völkerrechtlichen Vorschriften zu beurteilen. Die EuGVVO habe dafür keine Bedeutung.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19547 vom 26.05.2015