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EuGH: Deutsche Entstrickungsbesteuerung verstößt nicht gegen EU-Recht

Bearbeiter: Sabine Sadlo

AEUV Art 49

Es ist mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar, wenn für den Fall der Übertragung von Wirtschaftsgütern von einer inländischen auf eine ausländische Betriebsstätte desselben Unternehmens die damit verbundenen stillen Reserven schon im Überführungszeitpunkt - und nicht erst bei tatsächlicher Realisierung - vom Herkunftsmitgliedstaat (hier: Deutschland) aufgedeckt und besteuert werden, sofern diese Sicherungsmaßnahme durch eine auf fünf bzw zehn Jahre gestaffelte Erhebung abgemildert wird.

EuGH 21. 5. 2015, C-657/13, Verder LabTec

Sachverhalt

Verder LabTec, eine Kommanditgesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Deutschland, befasste sich ausschließlich mit der Verwaltung eigener Patent-, Marken- und Gebrauchsmusterrechte. Im vorliegenden Rechtsstreit mit dem Finanzamt Hilden geht es um die Besteuerung der mit den Wirtschaftsgütern dieser Personengesellschaft verbundenen stillen Reserven anlässlich der Überführung dieser Wirtschaftsgüter in ihre Betriebsstätte in den Niederlanden.

Verder LabTec hält die gestaffelte Erhebung der Steuer auf die zum Zeitpunkt der entsprechenden Überführung von der deutschen Finanzverwaltung angenommene (finale) Entnahme stiller Reserven für unverhältnismäßig. Die Erhebung dieser Steuer zum Zeitpunkt der Realisierung dieser Reserven wäre weniger einschneidend.

Gerechtfertigte Besteuerung vor Realisierung

Ein Mitgliedstaat hat nach dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität im Fall der Überführung von Wirtschaftsgütern in eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte das Recht, die in seinem Hoheitsgebiet vor der Überführung entstandenen stillen Reserven zum Zeitpunkt des Wegzugs des Steuerpflichtigen zu besteuern (vgl EuGH 29. 11. 2011, C-371/10, National Grid Indus, ARD 6201/7/2012). Daher kann die Überführung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Wirtschaftsgüter aus Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat (Anm d Red: ohne Wegverlegung des satzungsmäßigen Sitzes und der tatsächlichen Leitung der Gesellschaft) nicht bedeuten, dass Deutschland auf sein Recht verzichten muss, die stillen Reserven zu besteuern, die im Rahmen seiner Steuerhoheit vor der Überführung dieser Wirtschaftsgüter aus seinem Hoheitsgebiet entstanden sind.

Außerdem erwächst den Mitgliedstaaten aus dem Recht zur Besteuerung dieser stillen Reserven die Befugnis, für diese Besteuerung einen anderen Entstehungstatbestand als die tatsächliche Realisierung dieser stillen Reserven vorzusehen, um die Besteuerung dieses Vermögens sicherzustellen (vgl EuGH 23. 1. 2014, C-164/12, DMC).

Die Aufdeckung der mit den überführten Wirtschaftsgütern verbundenen stillen Reserven und ihre Besteuerung ist darauf gerichtet, die Besteuerung dieser stillen Reserven sicherzustellen, die vor der Überführung im Rahmen der Steuerhoheit der Bundesrepublik Deutschland entstanden sind. Die Besteuerung der Gewinne im Zusammenhang mit den genannten Wirtschaftsgütern, die nach einer solchen Überführung entstanden sind, ist Sache des anderen Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Betriebsstätte liegt. Daher ist eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige geeignet, die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten zu gewährleisten.

Verhältnismäßigkeit der gestaffelten Erhebung

Zur Erhebung einer solchen Steuer hat der EuGH entschieden, dass dem Steuerpflichtigen die Wahl zu lassen ist zwischen der sofortigen Zahlung dieser Steuer oder dem Aufschub ihrer Zahlung, gegebenenfalls zuzüglich Zinsen entsprechend der anwendbaren nationalen Regelung. Eine auf 5 Jahre gestaffelte Erhebung der Steuer auf die stillen Reserven statt einer sofortigen Erhebung ist als eine verhältnismäßige Maßnahme angesehen worden (vgl Rs DMC, RN 64). Eine - wie im Ausgangsverfahren - auf 10 Jahre gestaffelte Erhebung der Steuer auf die stillen Reserven ist daher zwangsläufig als eine verhältnismäßige Maßnahme zur Erreichung des Ziels der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten anzusehen.

Anmerkung:

In Österreich gilt hingegen derzeit ein „Besteuerungsaufschub“ und wird nach § 6 Z 6 EStG im Falle des Wirtschaftsguttransfers von der inländischen in die im EU-Raum gelegene Betriebsstätte desselben Steuerpflichtigen (Einzelunternehmer, Personengesellschaft oder Körperschaft) die durch den Transfer entstandene Steuerschuld auf Antrag bis zur tatsächlichen Veräußerung oder dem sonstigen Ausscheiden aus dem Betriebsvermögen nicht festgesetzt. Für nicht entgeltlich erworbene unkörperliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens erstreckt sich die Nichtfestsetzung im Ergebnis nur auf die stillen Reserven der überführten unkörperlichen Wirtschaftsgüter.

Dem Vernehmen nach wird das vorliegende EuGH-Urteil zur EU-Konformität der deutschen Entstrickungsbesteuerung im BMF gerade dahingehend geprüft, ob sich daraus Konsequenzen für die österreischen Regelungen ergeben könnten (siehe dazu jüngst Spies, Die Wegzugsbesteuerung im österreichischen Recht: System oder Chaos?, in ÖStZ 2015/382 und ÖStZ 2015/422). (Sabine Sadlo)

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19597 vom 02.06.2015