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EuGH: Einfuhrabgaben für Übersiedlungsgut nach Auslandsentsendung?

Bearbeiter: Barbara Tuma

VO (EG) 1186/2009: Art 3

Gem Art 3 der VO (EG) 1186/2009 ist das Übersiedlungsgut natürlicher Personen grds von den Eingangsabgaben befreit, wenn sie „ihren gewöhnlichen Wohnsitz in das Zollgebiet der Gemeinschaft verlegen“.

Zu zwei niederländischen Vorlagefragen hat der EuGH nun ausgesprochen, dass eine natürliche Person für die Zwecke der Anwendung dieser Bestimmung ihren gewöhnlichen Wohnsitz nicht gleichzeitig in einem Mitgliedstaat und in einem Drittland haben kann (hier: Verbleib der Familie in der EU für die Dauer der mehrjährigen Entsendung des Arbeitnehmers in ein Drittland).

Hat der Beteiligte im Drittland sowohl berufliche als auch persönliche Bindungen und im Mitgliedstaat persönliche Bindungen, kommt bei der Gesamtbewertung der erheblichen Tatsachen zur Bestimmung des gewöhnlichen Wohnsitzes iSv Art 3 der VO (EG) 1186/2009 nicht den persönlichen Bindungen der Vorrang zu, sondern der Dauer seines Aufenthalts im Drittland.

EuGH 24. 4. 2016, C-528/14

Sachverhalt

Der Kl des Ausgangsverfahrens wohnte und arbeitete bis zum 1. 3. 2008 in den Niederlanden. Vom 1. 3. 2008 bis zum 1. 8. 2011 arbeitete er in Katar, wo ihm sein Arbeitgeber eine Wohnung zur Verfügung stellte. In diesem Drittland unterhielt er sowohl berufliche als auch persönliche Beziehungen.

Seine Ehefrau wohnte und arbeitete weiterhin in den Niederlanden. Sie besuchte ihn sechsmal für insgesamt 83 Tage. In dem fraglichen Zeitraum verbrachte der Kl des Ausgangsverfahrens 281 Tage außerhalb Katars, an denen er seine Ehefrau, seine volljährigen Kinder und seine Familie in den Niederlanden besuchte und in anderen Ländern im Urlaub war.

Im Hinblick auf seine Rückkehr in die Niederlande beantragte der Kl die Befreiung von den Einfuhrabgaben für sein Übersiedlungsgut gem Art 3 der VO (EG) 1186/2009. Dieser Antrag wurde vom Finanzamt abgelehnt: Es handle sich nicht um eine Verlegung des gewöhnlichen Wohnsitzes in die Niederlande, weil der Kl während seines Aufenthalts in Katar seinen gewöhnlichen Wohnsitz in den Niederlanden behalten habe, so dass sich sein gewöhnlicher Wohnsitz nie in diesem Drittland befunden habe.

Der Oberste Gerichtshof der Niederlande hat dem EuGH in diesem Verfahren zusammengefasst die Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt,

-ob es nach der VO (EG) 1186/2009 möglich ist, dass eine natürliche Person ihren gewöhnlichen Wohnsitz gleichzeitig sowohl in einem Mitgliedstaat als auch in einem Drittland hat, und
-wenn ja, ob die in Art 3 vorgesehene Befreiung von den Einfuhrabgaben dann bei der Rückkehr für das Übersiedlungsgut gilt, bzw
-wenn nein, anhand welcher Kriterien zu bestimmen ist, in welchem Land der Betroffene seinen gewöhnlichen Wohnsitz hat, wenn er im Drittland sowohl über persönliche als auch über berufliche Bindungen und im Mitgliedstaat über persönliche Bindungen verfügt?

Entscheidung

„Gewöhnlicher Wohnsitz“ laut EuGH-Rsp

Nach der stRsp des EuGH zu verschiedenen Bereichen des Unionsrechts ist der gewöhnliche Wohnsitz grds der Ort, den der Betroffene als ständigen Mittelpunkt seiner Interessen gewählt hat; zur Bestimmung dieses ständigen Mittelpunkts sind alle erheblichen Tatsachen zu berücksichtigen.

Zu diesen erheblichen Tatsachen zählen – nach den Urteilen Louloudakis (EuGH 12. 7. 2001, C-262/99, ARD 5280/25/2002) und Alevizos (C-392/05) zu Art 7 Abs 1 RL 83/182/EWG und Art 6 Abs 1 RL 83/183/EWG – insb

-die körperliche Anwesenheit des Betroffenen und die seiner Familienangehörigen,
-die Einrichtung einer Wohnung,
-der Ort des Schulbesuchs der Kinder,
-der Ort der Ausübung der beruflichen Tätigkeiten,
-der Ort, an dem die Vermögensinteressen liegen, und
-der Ort, an dem die verwaltungsmäßigen Beziehungen zu den staatlichen Stellen und den gesellschaftlichen Einrichtungen bestehen.

Diese Faktoren müssen dabei den Willen des Betroffenen zum Ausdruck bringen, diesem Ort aufgrund einer Kontinuität, die aus einer Lebensgewohnheit und aus der Entwicklung normaler sozialer und beruflicher Beziehungen folgt, eine gewisse Beständigkeit zu verleihen.

Ermöglicht es eine Gesamtbewertung aller erheblichen Tatsachen trotzdem nicht, den ständigen Mittelpunkt der Interessen des Betroffenen örtlich zu bestimmen, ist bei dieser Ortsbestimmung nach den Urteilen Louloudakis (C-262/99) und Alevizos (C-392/05) den persönlichen Bindungen der Vorrang einzuräumen.

Vorrang für Dauer des Aufenthalts

Diese Erwägung – dass den persönlichen Bindungen der Vorrang einzuräumen ist – ist allerdings auf die Auslegung des Begriffs „gewöhnlicher Wohnsitz“ iSv Art 3 der VO (EG) 1186/2009 nicht übertragbar:

Der Vorrang für die persönlichen Bindungen beruht nämlich auf der Auslegung von Art 7 Abs 1 der RL 83/182/EWG und Art 6 Abs 1 der RL 83/183/EWG, die VO (EG) 1186/2009 enthält jedoch keine Vorschrift, die diesen Bestimmungen entspricht. Darüber hinaus betreffen diese Richtlinien Steuerbefreiungen innerhalb der Union, während die VO (EG) 1186/2009 Zollbefreiungen für Güter vorsieht, die aus Drittländern in die Union eingeführt werden. Die Richtlinien und die VO (EG) 1186/2009 unterscheiden sich daher in ihren Zielen: Die Richtlinien sollen die Freizügigkeit innerhalb der Union erleichtern, während die VO (EG) 1186/2009 – wie aus ihrem dritten Erwägungsgrund hervorgeht – eine Zollbefreiung für Einfuhren aus Drittländern vorsieht, wenn die eingeführten Waren ihrer Art und Menge nach keinen kommerziellen Zweck erkennen lassen und „keine Anwendung der üblichen Maßnahmen zum Schutz der Wirtschaft erfordern“.

Unter diesen Umständen ist die Auslegung des Begriffs „gewöhnlicher Wohnsitz“ iSv Art 7 Abs 1 der RL 83/182/EWG und Art 6 Abs 1 der RL 83/183/EWG (Vorrang der persönlichen Bindungen) nach Ansicht des EuGH nicht auf den Begriff „gewöhnlicher Wohnsitz“ iSv Art 3 der VO (EG) 1186/2009 übertragbar.

Als „gewöhnlicher Wohnsitz“ iSv Art 3 der VO (EG) 1186/2009 ist somit zwar auch der Ort zu verstehen, den der Betroffene als ständigen Mittelpunkt seiner Interessen gewählt hat, und es sind alle erheblichen Tatsachen zu dessen Bestimmung zu berücksichtigen – einschließlich der in den Urteilen Louloudakis (C-262/99) und Alevizos (C-392/05) nicht abschließend aufgeführten –, allerdings ohne dass den persönlichen Bindungen der Vorrang einzuräumen wäre.

Die VO (EG) 1186/2009 misst jedoch der Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im fraglichen Drittland besondere Bedeutung zu. So kann die in Art 3 der Verordnung vorgesehene Zollbefreiung nach Art 5 Abs 1 der Verordnung nur Personen gewährt werden, die ihren gewöhnlichen Wohnsitz mindestens 12 aufeinander folgende Monate außerhalb des Zollgebiets der Union gehabt haben. Außerdem hat der Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens (jetzt: Weltzollorganisation, WZO) in seiner Empfehlung vom 5. 12. 1962 ausgeführt, dass die Zollbefreiung für die Einfuhr von Möbeln iZm einem Wohnsitzwechsel insb davon abhängig gemacht werden kann, dass die Dauer des Aufenthalts im Ausland ausreichend erscheint.

Der EuGH hat für Recht erkannt

1.Art 3 der VO (EG) 1186/2009 des Rates vom 16. 11. 2009 über das gemeinschaftliche System der Zollbefreiungen ist dahin auszulegen, dass eine natürliche Person für die Zwecke der Anwendung dieser Bestimmung ihren gewöhnlichen Wohnsitz nicht gleichzeitig in einem Mitgliedstaat und in einem Drittland haben kann.
2.In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem der Beteiligte in einem Drittland sowohl berufliche als auch persönliche Bindungen und in einem Mitgliedstaat persönliche Bindungen hat, kommt bei der Gesamtbewertung der erheblichen Tatsachen zur Bestimmung, ob sich sein gewöhnlicher Wohnsitz iSv Art 3 der VO (EG) 1186/2009 im Drittland befindet, der Dauer seines Aufenthalts in diesem Drittland besondere Bedeutung zu.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21547 vom 29.04.2016