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EuGH: Emissionsprospekt von Schuldverschreibungen - Gerichtsstandsklausel

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

VO (EG) 44/2001: Art 23

Die Aufnahme einer Gerichtsstandsklausel in einen Emissionsprospekt von Schuldverschreibungen entspricht nur dann dem Schriftformerfordernis in Art 23 Abs 1 Buchst a VO (EG) 44/2001, wenn in dem von den Parteien bei der Emission der Wertpapiere auf dem Primärmarkt unterzeichneten Vertrag die Übernahme dieser Klausel erwähnt oder ausdrücklich auf den Prospekt Bezug genommen wird.

Diese vom Emittenten erstellte Gerichtsstandsklausel kann einem Dritten, der die Wertpapiere von einem Finanzmittler erworben hat, entgegengehalten werden, wenn nachgewiesen wird,

-dass die Klausel im Verhältnis zwischen dem Emittenten und dem Finanzmittler wirksam ist,
-dass der Dritte durch die Zeichnung der Wertpapiere auf dem Sekundärmarkt in die Rechte und Pflichten des Finanzmittlers eingetreten ist, die nach dem anwendbaren nationalen Recht mit diesen Wertpapieren verbunden sind, und
-dass der betreffende Dritte die Möglichkeit hatte, vom Prospekt Kenntnis zu erlangen (und somit von der darin enthaltenen Klausel).

EuGH 20. 4. 2016, C-366/13, Profit Investment SIM

Zu einem italienischem Vorabentscheidungsersuchen.

Entscheidung

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1. Art 23 der VO (EG) 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist wie folgt auszulegen:

-Dem Schriftformerfordernis in Art 23 Abs 1 Buchst a der VO (EG) 44/2001 ist im Fall der Aufnahme einer Gerichtsstandsklausel in einen Emissionsprospekt von Schuldverschreibungen nur dann genügt, wenn in dem von den Parteien bei der Emission der Wertpapiere auf dem Primärmarkt unterzeichneten Vertrag die Übernahme dieser Klausel erwähnt oder ausdrücklich auf den Prospekt Bezug genommen wird.
-Eine Gerichtsstandsklausel in einem Emissionsprospekt von Schuldverschreibungen, der vom Emittenten der fraglichen Wertpapiere erstellt wurde, kann einem Dritten, der die Wertpapiere von einem Finanzmittler erworben hat, entgegengehalten werden, wenn - was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist - nachgewiesen wird, dass die Klausel im Verhältnis zwischen dem Emittenten und dem Finanzmittler wirksam ist, dass der Dritte durch die Zeichnung der in Rede stehenden Wertpapiere auf dem Sekundärmarkt in die nach dem anwendbaren nationalen Recht mit diesen Wertpapieren verbundenen Rechte und Pflichten des Finanzmittlers eingetreten ist, und dass der betreffende Dritte die Möglichkeit hatte, von dem die Klausel enthaltenden Prospekt Kenntnis zu erlangen.
-Die Aufnahme einer Gerichtsstandsklausel in einen Emissionsprospekt von Schuldverschreibungen kann als eine einem internationalen Handelsbrauch entsprechende Form iSv Art 23 Abs 1 Buchst c der VO (EG) 44/2001 angesehen werden, die es ermöglicht, die Zustimmung der Person zu vermuten, der sie entgegengehalten wird, sofern - was vom nationalen Gericht zu prüfen ist - insb nachgewiesen wird, dass zum einen die im betreffenden Geschäftszweig tätigen Wirtschaftsteilnehmer beim Abschluss derartiger Verträge allgemein und regelmäßig ein solches Verhalten zeigen und zum anderen entweder die Parteien zuvor untereinander oder mit anderen im betreffenden Geschäftszweig tätigen Parteien regelmäßige Handelsbeziehungen unterhielten oder das in Rede stehende Verhalten hinreichend bekannt ist, um als ständige Übung angesehen werden zu können.

2. Art 5 Nr 1 Buchst a der VO (EG) 44/2001 ist dahin auszulegen, dass Klagen auf Nichtigerklärung eines Vertrags und auf Rückgewähr von Beträgen, die auf der Grundlage dieses Vertrags ohne Rechtsgrund gezahlt wurden, unter die Wendung „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ iS dieser Vorschrift fallen.

3. Art 6 Nr 1 der VO (EG) 44/2001 ist dahin auszulegen, dass im Fall der Erhebung von zwei Klagen gegen mehrere Bekl, deren Gegenstand und Grundlage sich unterscheiden und die nicht voneinander abhängig oder miteinander unvereinbar sind, nicht schon dann die Gefahr widersprechender Entscheidungen iS dieser Vorschrift besteht, wenn sich die Begründetheit einer der Klagen auf den Umfang des Interesses auswirken könnte, zu dessen Wahrung die andere Klage eingereicht worden ist.

Hinweis:

Die VO (EG) 44/2001 (EuGVVO 2001) wurde grds mit 10. 1. 2015 durch die VO (EU) 1215/2012 (EuGVVO 2012) abgelöst. Art 5 Nr 1 VO (EG) 44/2001 ist nunmehr in Art 7 Nr 1 VO (EU) 1215/2012 geregelt, Art 6 Nr 1 VO (EG) 44/2001 in Art 8 Nr 1 VO (EU) 1215/2012 und Art 23 Abs 1 VO (EG) 44/2001 in Art 25 Abs 1 VO (EU) 1215/2012. Da das Ausgangsverfahren vor dem 10. 1. 2015 liegt, ist in der vorliegenden Rechtssache die VO (EG) 44/2001 anzuwenden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21495 vom 21.04.2016