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EuGH: Flug – vorweggenommene Beförderungsverweigerung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

VO (EG) 261/2004: Art 3, Art 4, Art 5, Art 7

Wird Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigert, hat das ausführende Luftfahrtunternehmen diesen gem Art 4 Abs 3 VO (EG) 261/2004 (FluggastrechteVO) unverzüglich die Ausgleichsleistungen (Art 7 FluggastrechteVO) und die Unterstützungsleistungen (Art 8 und 9 FluggastrechteVO) zu erbringen. Hat ein ausführendes Luftfahrtunternehmen einen Fluggast im Voraus mitgeteilt, dass es ihm gegen seinen Willen die Beförderung auf einem Flug verweigern werde, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, gebührt dem Fluggast eine Ausgleichszahlung, selbst wenn er sich nicht zeitgerecht iSv Art 3 Abs 2 FluggastrechteVO für die geplante Abfertigung am Flugsteig eingefunden hat.

Im Fall der Annullierung eines Fluges befreit Art 5 Abs 1 Buchst c Z i FluggastrechteVO das ausführende Luftfahrtunternehmen zwar von der Ausgleichszahlung nach Art 7 FluggastrechteVO, wenn es die Fluggäste mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit über die Annullierung des Fluges unterrichtet hat. Diese Regelung betrifft allerdings nicht den Fall einer Nichtbeförderung, sondern ausschließlich den einer Flugannullierung, also die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war (vgl Art 2 Buchst l FluggastrechteVO). Art 4 Abs 3 FluggastrechteVO sieht auch nicht vor, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen im Fall einer Nichtbeförderung dadurch von seiner Verpflichtung zur Leistung einer Ausgleichszahlung befreit werden könnte, dass es die Fluggäste mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet, dass ihnen die Beförderung verweigert werde. Infolgedessen muss nach dem Grundsatz der engen Auslegung die Ausnahme des Art 5 Abs 1 Buchst c Z i FluggastrechteVO allein auf die darin genannten Annullierungsfälle beschränkt bleiben und kann nicht auf die Fälle der Nichtbeförderung iSv Art 4 FluggastrechteVO ausgedehnt werden. Auch angesichts des Ziels der FluggastrechteVO, ein hohes Schutzniveau für die Fluggäste sicherzustellen (vgl den ersten Erwägungsgrund der VO), kann ihr Art 5 Abs 1 Buchst c Z i somit iZm einer Nichtbeförderung nicht entsprechend angewandt werden.

Der Grundsatz der Gleichbehandlung (nach dem – ohne objektive Rechtfertigung – vergleichbare Situationen nicht unterschiedlich und unterschiedliche Situationen nicht gleich behandelt werden dürfen) kann im vorliegenden Fall keine Anwendung finden, weil die Situationen, die zu Nichtbeförderungen oder zu Flugannullierungen führen, insoweit nicht vergleichbar sind, als sie vom Unionsgesetzgeber in den Art 4 und 5 FluggastrechteVO gesondert geregelt und für sie zum Teil unterschiedliche rechtliche Vorschriften vorgesehen worden sind, etwa eine Ausnahme vom Anspruch auf Ausgleichsleistungen in Art 5 Abs 1 Buchst c Z i FluggastrechteVO, nicht aber in Art 4 Abs 3 FluggastrechteVO.

EuGH 26. 10. 2023, C-238/22, LATAM Airlines Group

Zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34678 vom 31.10.2023