News

EuGH: Klage der Gesellschaft gegen ehemaligen Geschäftsführer - internationale Zuständigkeit

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

VO (EG) 44/2001: Art 5, Art 18 bis 21

Bei Klage einer Gesellschaft gegen ihren ehemaligen Direktor und Geschäftsführer, um die von ihm in Wahrnehmung seiner Aufgaben begangenen Fehler feststellen zu lassen und Schadenersatz zu erlangen, bestimmt sich die Zuständigkeit nicht nach den besonderen Zuständigkeiten gem Art 5 Nrn 1 und 3 VO (EG) 44/2001, sofern der Bekl in seiner Eigenschaft als Direktor und Geschäftsführer während einer bestimmten Zeit der Gesellschaft nach deren Weisung Leistungen erbrachte und dafür als Gegenleistung eine Vergütung erhielt (sohin als AN zu beurteilen ist); dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts. Kommt das Gericht zum Ergebnis, dass ein „individueller Arbeitsvertrag“ iSv Art 18 Abs 1 VO (EG) 44/2001 vorliegt, hat es die in Kapitel II Abschnitt 5 VO (EG) 44/2001 (Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge) vorgesehenen Zuständigkeitsregeln anzuwenden.

EuGH 10. 9. 2015, C-47/14, Holterman Ferho Exploitatie ua

Sachverhalt

Zu einem niederländischem Vorabentscheidungsersuchen.

Holterman Ferho Exploitatie, eine Holdinggesellschaft mit Sitz in den Niederlanden, hat drei Tochtergesellschaften nach deutschem Recht, nämlich Ferho Bewehrungsstahl, Ferho Vechta und Ferho Frankfurt, die alle in Deutschland ansässig sind.

Mit Beschluss vom 25. 4. 2001 ernannte die Gesellschafterversammlung von Holterman Ferho Exploitatie Herrn Spies von Büllesheim, einen deutschen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in Deutschland, der auch Geschäftsführer und Prokurist der drei deutschen Tochtergesellschaften war, zu ihrem Direktor. Im am 7. 5. 2001 unterzeichneten und auf Deutsch abgefassten Vertrag wurde die Ernennung zum Direktor bestätigt und die damit verbundenen Rechte und Pflichten beschrieben.

Am 20. 7. 2001 wurde Herr Spies von Büllesheim Geschäftsführer von Holterman Ferho Exploitatie.

Herr Spies von Büllesheim besaß auch Anteile an Holterman Ferho Exploitatie; die Mehrheit der Anteile an dieser Gesellschaft wurde jedoch von Herrn Holterman gehalten.

Die Vertragsverhältnis mit Herrn Spies von Büllesheim wurden am 31. 12. 2005 bzw am 31. 12. 2006 beendet.

Da die vier Gesellschaften Herrn Spies von Büllesheim schwere Fehler bei der Erfüllung seiner Aufgaben zur Last legten, erhoben sie bei der Rechtbank Almelo (Niederlande) gegen ihn eine Klage auf Feststellung und auf Schadensersatz.

Sie trugen in erster Linie vor, Herr Spies von Büllesheim habe seine Aufgaben als Geschäftsführer nicht ordnungsgemäß erfüllt, so dass er ihnen gegenüber nach Art 2:9 Burgerlijk Wetboek (Bürgerliches Gesetzbuch, im Folgenden: BW))hafte. Er habe bei der Erfüllung seines Arbeitsvertrags vorsätzlich oder bewusst fahrlässig iSv Art 7:661 BW gehandelt. Hilfsweise machten sie geltend, dass die von Herrn Spies von Büllesheim bei der Ausführung seiner Aufgaben begangenen Fehler eine unerlaubte Handlung iSv Art 6:162 BW darstellten.

Herr Spies von Büllesheim wandte ein, dass die niederländischen Gerichte für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht zuständig seien.

Nachdem die beiden Unterinstanzen ihre Zuständigkeit verneint hatten, legten die vier Gesellschaften beim vorlegenden Gericht (Hoge Raad der Nederlanden) Kassationsbeschwerde ein.

Der Hoge Raad der Nederlanden weist darauf hin, dass im niederländischem Recht zwischen der Haftung einer Person in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer einer Gesellschaft wegen Verletzung ihrer gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben nach Art 2:9 BW oder wegen unerlaubter Handlung iSv Art 6:162 BW einerseits und ihrer unabhängig von dieser Eigenschaft bestehenden Haftung als AN dieser Gesellschaft wegen Vorsatzes oder bewusster Fahrlässigkeit bei der Erfüllung des Arbeitsvertrags iSv Art 7:661 BW andererseits unterschieden werde.

Um zu klären, ob die niederländischen Gerichte für die Entscheidung der Rechtssache zuständig seien, müsse das Verhältnis zwischen den Zuständigkeitsregeln in Kapitel II Abschnitt 5 (Art 18 bis 21) der VO (EG) 44/2001 einerseits und den Zuständigkeitsregeln in Art 5 Nrn 1 Buchstabe a und 3 der Verordnung andererseits geprüft werden. Insbesondere stelle sich die Frage, ob Abschnitt 5 der Anwendung von Art 5 Nrn 1 Buchst a und 3 in einem Fall wie dem vorliegenden entgegenstehe, in dem der Bekl von einer Gesellschaft nicht nur in seiner Eigenschaft als ihr Geschäftsführer wegen nicht ordnungsgemäßer Wahrnehmung seiner Aufgaben oder wegen unerlaubter Handlung in Haftung genommen werde, sondern auch unabhängig von dieser Eigenschaft wegen Vorsatzes oder bewusster Fahrlässigkeit bei der Erfüllung des zwischen ihm und der Gesellschaft geschlossenen Arbeitsvertrags.

Unter diesen Umständen hat der Hoge Raad der Nederlanden das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen iZm der internationalen Zuständigkeit Vorabentscheidung vorgelegt.

Entscheidung

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1.Die Bestimmungen von Kapitel II Abschnitt 5 (Art 18 bis 21) der VO (EG) 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sind dahin auszulegen, dass sie in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der eine Gesellschaft eine Person, die als ihr Direktor und Geschäftsführer tätig war, verklagt, um die von dieser Person in Wahrnehmung ihrer Aufgaben begangenen Fehler feststellen zu lassen und Schadenersatz zu erlangen, der Anwendung von Art 5 Nrn 1 und 3 der Verordnung entgegenstehen, sofern diese Person in ihrer Eigenschaft als Direktor und Geschäftsführer während einer bestimmten Zeit der Gesellschaft nach deren Weisung Leistungen erbrachte und dafür als Gegenleistung eine Vergütung erhielt; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
2.Art 5 Nr 1 der VO (EG) 44/2001 ist dahin auszulegen, dass eine Klage, die eine Gesellschaft gegen ihren ehemaligen Geschäftsführer erhebt, weil er die ihm obliegenden gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen verletzt haben soll, unter den Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ fällt. Mangels abweichender Angaben in der Satzung der Gesellschaft oder in einem anderen Dokument ist es Sache des vorlegenden Gerichts, den Ort zu bestimmen, an dem der Geschäftsführer seine Tätigkeiten zur Erfüllung des Vertrags tatsächlich überwiegend erbrachte, sofern die Erbringung der Dienstleistungen an diesem Ort nicht dem Willen der Parteien, wie er sich aus den zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarungen ergibt, zuwiderlief.
3.Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, die darin bestehen, dass eine Gesellschaft ihren ehemaligen Geschäftsführer wegen einer ihm zur Last gelegten unerlaubten Handlung verklagt, ist Art 5 Nr 3 der VO (EG) 44/2001 dahin auszulegen, dass eine solche Klage eine unerlaubte Handlung oder eine ihr gleichgestellte Handlung betrifft, wenn das dem Geschäftsführer zur Last gelegte Verhalten nicht als Verletzung seiner gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen angesehen werden kann, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Das vorlegende Gericht hat auf der Grundlage der tatsächlichen Umstände der Rechtssache den engsten Anknüpfungspunkt mit dem Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens und dem Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs zu ermitteln.

Hinweis:

Die VO (EG) 44/2001 wurde grds mit 10. 1. 2015 durch die VO (EU) 1215/2012 abgelöst, war im vorliegenden Fall aber noch anwendbar. Art 5 Nr 1 VO (EG) 44/2001 ist nunmehr in Art 7 Nr 1 VO (EU) 1215/2012 geregelt, Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 in Art 7 Nr 2 VO (EU) 1215/2012 und Art 18 bis 21 VO (EG) 44/2001 in Art 20 bis 23 VO (EU) 1215/2012 .

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 20205 vom 14.09.2015