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EuGH: Schadenersatzklage gegen Kartellanten - Zuständigkeit

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

AEUV Art 101

VO (EG) 44/2001: Art 5, Art 6, Art 23

Verklagt eine durch ein unionsrechtswidriges Kartell geschädigte Person die am Kartell beteiligten Unternehmer als Gesamtschuldner auf Schadenersatz und in diesem Rahmen auf Auskunftserteilung, kann der Kl den Sitz eines der Bekl als für alle zuständigeitsbegründend herziehen (Anwendung der Zuständigkeitskonzentration des Art 6 Nr 1 VO (EG) 44/2001 bei einer Mehrzahl von Bekl), sofern für die Bekl vorhersehbar war, dass sie in dem Mitgliedstaat verklagt werden könnten, in dem mindestens einer von ihnen seinen Sitz hat. Diese Gerichtszuständigkeit bleibt auch dann bestehen, wenn der Kl seine Klage gegen den einzigen in diesem Mitgliedstaat ansässigen Mitbeklagten zurückgenommen hat (hier: wegen eines Vergleichs), es sei denn, dass das Bestehen eines kollusiven Zusammenwirkens des Kl und dieses Mitbeklagten zu dem Zweck nachgewiesen wird, die Voraussetzungen für die Anwendung der genannten Bestimmung im Zeitpunkt der Klageerhebung künstlich herbeizuführen oder aufrechtzuerhalten.

Ein Geschädigter hat aber auch die Wahl, seine Schadensersatzklage gegen mehrere an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen entweder vor dem Gericht des Gründungsorts des Kartells oder des Orts einer spezifischen Absprache zu erheben (die das ursächliche Geschehen für den angeblich verursachten Schaden bildete) oder aber vor dem Gericht des Orts der Verwirklichung des Schadenserfolgs.

Bei einer Anrufung auf Grundlage der Verwirklichung des Schadenserfolgs ist die Zuständigkeit des Gerichts aber auf den Schaden des Unternehmens beschränkt, dessen Sitz in seinem Zuständigkeitsbereich liegt; bündelt der Kl daher die Schadensersatzforderungen mehrerer Unternehmen, hat er - anders als in den anderen Fällen - für den Schaden jedes dieser Unternehmen getrennt jeweils bei dem Gericht Klage zu erheben, in dessen Zuständigkeitsbereich der jeweilige Sitz dieser Unternehmen liegt.

EuGH 21. 5. 2015, C-352/13, CDC; zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen

Sachverhalt

Mit der Entscheidung 2006/903/EG vom 3. 5. 2006 stellte die Kommission fest, dass Lieferanten von Wasserstoffperoxid und Natriumperborat unter Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln der Union an einem Kartell beteiligt waren.

Die Cartel Damage Claims Hydrogen Peroxide SA (CDC) ist eine belgische Gesellschaft, deren Gesellschaftszweck darin besteht, Schadensersatzforderungen von durch ein Kartell geschädigten Unternehmen gerichtlich sowie außergerichtlich durchzusetzen. Mehrere Zellstoff und Papier verarbeitende Industrieunternehmen haben dieser Gesellschaft ihren Anspruch auf Ersatz für die aufgrund des Kartells erlittenen Verluste abgetreten.

Im März 2009 hat CDC beim dt Landgericht Dortmund gegen sechs der Gesellschaften, gegen die sich die Kommissionsentscheidung gerichtet hatte, eine Schadenersatzklage erhoben. Diese Gesellschaften sind in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig. CDC hat daher in ihrer Klageschrift ausgeführt, dass die deutschen Gerichte gegenüber allen Bekl zur Entscheidung zuständig seien, weil eine von ihnen, die Evonik Degussa GmbH, ihren Sitz in Deutschland habe.

Im September 2009 hat CDC ihre Klage gegenüber Evonik Degussa nach Abschluss eines Vergleichs zurückgenommen.

Die übrigen der in der Klageschrift von CDC genannten Gesellschaften rügten das Fehlen der internationalen Zuständigkeit des deutschen Gerichts. Sie machten geltend, dass die mit den geschädigten Gesellschaften geschlossenen Lieferverträge Gerichtsstands- und Schiedsklauseln enthalten hätten, in denen die Gerichte bestimmt worden seien, die für Rechtsstreitigkeiten aus den Verträgen zuständig seien. Das Landgericht Dortmund hat wegen Zweifeln an seiner internationalen Zuständigkeit dem EuGH mehrere Fragen nach der Auslegung der VO (EG) 44/2001 vorgelegt.

Entscheidung

Die Voraussetzung, dass für die Bekl vorhersehbar war, dass sie in dem Mitgliedstaat verklagt werden könnten, in dem mindestens einer von ihnen seinen Wohnsitz hatte, ist nach den Ausführungen des EuGH erfüllt, wenn eine verbindliche Entscheidung der Kommission vorliegt, mit der ein einheitlicher Verstoß gegen Unionsrecht festgestellt und damit die Haftung jedes Beteiligten für Schäden begründet wird, die aus unerlaubten Handlungen jedes an diesem Verstoß Beteiligten resultieren. Unter diesen Umständen mussten die Beteiligten nämlich damit rechnen, vor den Gerichten eines Mitgliedstaats verklagt zu werden, in dem einer von ihnen ansässig ist.

Hinsichtlich des Orts der Verwirklichung des Schadenserfolgs als zuständigkeitsbegründend betonte der EuGH, dass sich dieser nur für jeden einzelnen Geschädigten ermitteln lässt und grundsätzlich an dessen Sitz liegt. Das so bestimmte Gericht sei bei einer Klage gegen einen oder mehrere Urheber des betreffenden Kartells für die Entscheidung über den gesamten Schaden zuständig, der dem mutmaßlich geschädigten Unternehmen aufgrund der Mehrkosten für den Bezug der von dem Kartell betroffenen Produkte entstanden ist. Daher hätte ein Kl (wie hier CDC), der die Schadenersatzforderungen mehrerer Unternehmen bündelt, für den Schaden jedes dieser Unternehmen getrennt jeweils bei dem Gericht Klage zu erheben, in dessen Zuständigkeitsbereich der jeweilige Sitz dieser Unternehmen liegt.

Hinsichtlich der Berücksichtigung von Gerichtsstandsklauseln hielt der EuGH ua fest, dass sich eine solche Klausel auf Streitigkeiten aus Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beziehen müsste, damit sie die besonderen Zuständigkeitsregeln der Art 5 und/oder 6 der VO (EG) 44/2001 verdrängt und sich das vorlegende Gericht für unzuständig erklären müsste. Damit dem Geschädigten eine solche Klausel entgegengehalten werden kann, müsse dieser aber grds eine entsprechende Zustimmung erteilt haben.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1.Art 6 Nr 1 der VO (EG) 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung aufgestellte Regel einer Zuständigkeitskonzentration bei einer Mehrzahl von Bekl anwendbar ist, wenn Unternehmen, die sich örtlich und zeitlich unterschiedlich an einem in einer Entscheidung der Europäischen Kommission festgestellten einheitlichen und fortgesetzten Verstoß gegen das unionsrechtliche Kartellverbot beteiligt haben, als Gesamtschuldner auf Schadenersatz und in diesem Rahmen auf Auskunftserteilung verklagt werden, und dass dies auch dann gilt, wenn der Kl seine Klage gegen den einzigen im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts ansässigen Mitbeklagten zurückgenommen hat, es sei denn, dass das Bestehen eines kollusiven Zusammenwirkens des Kl und des genannten Mitbeklagten zu dem Zweck, die Voraussetzungen für die Anwendung der genannten Bestimmung im Zeitpunkt der Klageerhebung künstlich herbeizuführen oder aufrechtzuerhalten, nachgewiesen wird.
2.Art 5 Nr 3 der VO (EG) 44/2001 ist dahin auszulegen, dass bei einer Klage, mit der von in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Bekl Schadenersatz verlangt wird wegen eines von der Europäischen Kommission festgestellten, in mehreren Mitgliedstaaten unter unterschiedlicher örtlicher und zeitlicher Beteiligung der Bekl begangenen einheitlichen und fortgesetzten Verstoßes gegen Art 101 AEUV und Art 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. 5. 1992, das schädigende Ereignis in Bezug auf jeden einzelnen angeblichen Geschädigten eingetreten ist und jeder von ihnen gem Art 5 Nr 3 der VO (EG) 44/2001 entweder bei dem Gericht des Orts klagen kann, an dem das betreffende Kartell definitiv gegründet oder gegebenenfalls eine spezifische Absprache getroffen wurde, die für sich allein als das ursächliche Geschehen für den behaupteten Schaden bestimmt werden kann, oder bei dem Gericht des Orts, an dem er seinen Sitz hat.
3.Art 23 Abs 1 der VO (EG) 44/2001 ist dahin auszulegen, dass er es bei Schadenersatzklagen wegen Verstoßes gegen Art 101 AEUV und Art 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. 5. 1992 zulässt, in Lieferverträgen enthaltene Gerichtsstandsklauseln auch dann zu berücksichtigen, wenn dies zur Derogation eines nach Art 5 Nr 3 und/oder Art 6 Nr 1 der genannten Verordnung international zuständigen Gerichts führt, sofern sich diese Klauseln auf Streitigkeiten aus Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beziehen.

Hinweis:

Die VO (EG) 44/2001 wurde grds mit 10. 1. 2015 durch die VO (EU) 1215/2012 abgelöst, war im vorliegenden Fall aber noch anwendbar. Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 ist nunmehr in Art 7 Nr 2 VO (EU) 1215/2012 geregelt, Art 6 Nr 1 VO (EG) 44/2001 in Art 8 Nr 1 VO (EU) 1215/2012 und Art 23 Abs 1 VO (EG) 44/2001 in Art 25 Abs 1 VO (EU) 1215/2012.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19548 vom 26.05.2015