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EuGH: Standardessenzielles Patent - Unterlassungsklage bei Marktbeherrschung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

AEUV Art 102

Unter bestimmten Umständen kann es einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung darstellen, wenn der marktbeherrschende Inhaber eines standardessenziellen Patents gegen einen angeblichen Patentverletzer eine Unterlassungsklage erhebt.

Hat sich der Patentinhaber der Standardisierungsorganisation gegenüber verpflichtet, Dritten Lizenzen zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen zu erteilen (sog FRAND-Bedingungen - fair, reasonable and non-discriminatory), kann er gegen den angeblichen Patentverletzer jedenfalls eine Klage auf Rechnungslegung bezüglich der Benutzungshandlungen oder auf Schadenersatz erheben; vor einer Klage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, muss er dem angeblichen Patentverletzer jedoch insb ein konkretes Lizenzangebot unterbreiten.

EuGH 16. 7. 2015, C-170/13, Huawei Technologies

Ausgangslage

Zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.

Nach stRsp des EuGH gehört die Ausübung eines ausschließlichen Rechts, dasmit einem Recht des geistigen Eigentums verbunden ist (hier des Rechts, eine Verletzungsklage zu erheben) zu den Vorrechten des Inhabers eines Rechts des geistigen Eigentums und kann als solches keinen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellen, sondern allenfalls unter außergewöhnlichen Umständen ein missbräuchliches Verhalten iSv Art 102 AEUV.

Das Ausgangsverfahren weist Besonderheiten gegenüber dieser Rsp auf:

-Es betrifft nämlich ein „standardessenzielles Patent“ (SEP), dh ein Patent, dessen Benutzung für jeden Wettbewerber unerlässlich ist, der Produkte herzustellen beabsichtigt, die einem Standard entsprechen, der von einer Standardisierungsorganisation normiert ist.
-Weiters hat das Patent hier den Status eines SEP nur im Gegenzug zu einer unwiderruflichen Verpflichtungszusage seines Inhabers gegenüber der betreffenden Standardisierungsorganisation erlangt, Dritten zu FRAND-Bedingungen Lizenzen zu erteilen.

Huawei Technologies ist Inhaber eines europäischen Patents, das das Unternehmen beim European Telecommunication Standards Institute (ETSI) als essenzielles Patent für den „Long Term Evolution“-Standard angemeldet hat. Dabei hat sich Huawei verpflichtet, Dritten Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu erteilen.

Huawei erhob vor dem Landgericht Düsseldorf eine Patentverletzungsklage gegen zwei Gesellschaften der internationalen ZTE-Gruppe. Diese Gruppe vertreibt in Deutschland Produkte, die nach dem „Long Term Evolution“-Standard arbeiten, und benutzt somit das Patent von Huawei, ohne Lizenzgebühren zu zahlen. Huawei und ZTE hatten zwar Gespräche über die Patentverletzung und die Möglichkeit einer Lizenzerteilung zu FRAND-Bedingungen geführt. Als sie jedoch zu keiner Einigung gelangten, erhob Huawei Klage auf Unterlassung, Rückruf, Rechnungslegung und Schadenersatz.

Das Landgericht ersuchte den EuGH, die Bedingungen zu präzisieren, unter denen ein Unternehmen in marktbeherrschender Stellung wie Huawei diese Stellung dadurch missbraucht, dass es eine Patentverletzungsklage erhebt.

Entscheidung

In seinem Urteil unterscheidet der EuGH zwischen Klagen auf Unterlassung oder Rückruf und Klagen auf Rechnungslegung und Schadenersatz.

Dabei hat der EuGH für Recht erkannt:

1.Art 102 AEUV ist dahin auszulegen, dass der Inhaber eines für einen von einer Standardisierungsorganisation normierten Standard essenziellen Patents, der sich gegenüber dieser Organisation unwiderruflich verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen (sogenannte FRAND-Bedingungen - fair, reasonable and non-discriminatory) zu erteilen, seine marktbeherrschende Stellung nicht iS dieser Vorschrift dadurch missbraucht, dass er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der Beeinträchtigung seines Patents oder auf Rückruf der Produkte, für deren Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhebt, wenn
  • er zum einen den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, hingewiesen hat und dabei das betreffende Patent bezeichnet und angegeben hat, auf welche Weise es verletzt worden sein soll, und zum anderen, nachdem der angebliche Patentverletzer seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, dem Patentverletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreitet und insb die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat und
  • dieser Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt, gem den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, reagiert, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und ua impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird.
2.Art 102 AEUV ist dahin auszulegen, dass er es einem Unternehmen in beherrschender Stellung, das Inhaber eines für einen von einer Standardisierungsorganisation normierten Standard essenziellen Patents ist und sich gegenüber der Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, zu FRAND-Bedingungen Lizenzen für dieses Patent zu erteilen, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht verbietet, gegen den angeblichen Verletzer seines Patents eine Verletzungsklage auf Rechnungslegung bezüglich der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das Patent oder auf Schadenersatz wegen dieser Handlungen zu erheben.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19902 vom 20.07.2015