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EuGH: Was bedeutet „Privatwohnung“?

Bearbeiter: Bence Komár

MwStSystRL: Art 106, Art 107, Anhang IV Nr 2

Abstract

Bis 2009 erlaubte Art 106 iVm Art 107 iVm Anhang IV Nr 2 MwStSystRL den Mitgliedstaaten, einen ermäßigten Steuersatz auf die Renovierung und Reparatur von Privatwohnungen anzuwenden. Der EuGH setzte sich in der Rs HPA – Construções mit der Auslegung des Begriffs „Privatwohnung“ im gegebenen Zusammenhang auseinander.

EuGH 11. 1. 2024, C-433/22, HPA – Construções

Sachverhalt

HPA – Construções SA (HPA), eine portugiesische Gesellschaft, schloss 2007 Werkverträge mit drei Handelsgesellschaften über die Renovierung im Eigentum dieser Handelsgesellschaften stehender städtischer Gebäude ab. Die Gebäude waren zu Wohnzwecken zugelassen, aber sie waren nicht tatsächlich bewohnt. Für seine Leistungen wandte HPA einen ermäßigten Steuersatz iHv 5 % an (vgl Art 106 iVm Art 107 iVm Anhang IV Nr 2 MwStSystRL in der damals geltenden Fassung). Die portugiesische Steuerverwaltung versagte die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes, weil die renovierten Gebäude nicht tatsächlich zu Wohnzwecken benutzt wurden. Der Fall landete vor dem portugiesischen Obersten Verwaltungsgericht, welches dem EuGH die Frage im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens vorlegte, ob der Begriff „Privatwohnung“ iSd Anhang IV Nr 2 MwStSystRL derart auszulegen sei, dass er nur Gegenstände erfasst, die tatsächlich bewohnt sind.

Entscheidung des EuGH

Anhang IV Nr 2 MwStSystRL hat folgenden Wortlaut: „Renovierung und Reparatur von Privatwohnungen, mit Ausnahme von Materialien, die einen bedeutenden Teil des Wertes der Dienstleistung ausmachen.

Vergleichbar zu Art 31 Abs 1 WVK legt der EuGH den Begriff „Privatwohnung“ entsprechend seinem üblichen Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch aus, und zwar unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem er verwendet wird, und der Ziele der Regelung, zu denen er gehört (vgl EuGH 11. 1. 2024, C-433/22, HPA – Construções, Rn 24 mVa 5. 5. 2022, C-218/21, DSR – Montagem e Manutenção de Ascensores e Escadas Rolantes, Rn 29). Zum „üblichen Sinn“ sagt der Gerichtshof, dass der Begriff „-wohnung“ einen Gegenstand bezeichnet, der zu Wohnzwecken bestimmt ist und einer oder mehreren Personen als Wohnung dient. Der Zusatz „Privat-“ ermöglicht eine Abgrenzung zu nicht privaten Wohnungen, wie Dienstwohnungen oder Hotels. Folglich müsse sich eine Renovierungs- oder Reparaturleistung auf Gegenstände beziehen, die zu privaten Wohnzwecken genutzt werden. Der EuGH sagt dann, dass sich sowohl der Begriff „-wohnung“ als auch das Erfordernis der Verwendung eines Gegenstands auf seine konkrete Nutzung beziehen.

Die Auslegung, wonach der ermäßigte Mehrwertsteuersatz nur auf Renovierungs- und Reparaturdienstleistungen bei Gegenständen anwendbar ist, die tatsächlich zu Wohnzwecken genutzt werden, wird durch den Zusammenhang bestätigt, in dem der Begriff „Privatwohnung“ verwendet wird. Aus den Art 106 und Art 107 MwStSystRL ergibt sich, dass für die Renovierung und Reparatur von Privatwohnungen nur dann ein ermäßigter Steuersatz herangezogen werden kann, wenn diese Dienstleistungen in weitgehendem Maße direkt an Endverbraucher erbracht werden. Bei der Renovierung einer zu Wohnzwecken bestimmten, aber nicht tatsächlich zu diesen Zwecken genutzten Wohnung könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Dienstleistung für einen Endverbraucher erbracht wird.

Weiters ist Ziel des ermäßigten Steuersatzes, dass der Endverbraucher die Renovierung und Reparatur zu geringeren Kosten in Anspruch nehmen kann. Für einen zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmer macht es keinen Unterschied, ob die empfangene Renovierung zum Normalsteuersatz oder zum ermäßigten Steuersatz erfolgt, weil er durch die Ausübung des Vorsteuerabzugs in jedem Fall von der Steuer entlastet wird. Demgegenüber werden die Kosten des Endverbrauchers durch die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes im Vergleich zum Normalsteuersatz tatsächlich reduziert. Der entscheidende Gesichtspunkt bei der Beurteilung, ob der Endverbraucher durch die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes begünstigt werden kann, bestehe darin, dass er die Wohnung zu jenem Zeitpunkt, zu dem die Kosten entstehen, tatsächlich als Wohnung nutzt. Der EuGH ergänzt, dass eine Immobilie nicht zwingend während der Durchführung der Arbeiten von jenen Personen bewohnt werden muss, die sich sonst dort dauerhaft aufhalten, um als tatsächlich bewohnt angesehen werden zu können.

Daher fällt eine Wohnung nur dann als „Privatwohnung“ in den Anwendungsbereich des Anhang IV Nr 2 MwStSystRL, wenn diese tatsächlich zu Wohnzwecken genutzt wird.

Conclusio

Nach Ansicht des EuGH könne bei der Renovierung einer Wohnung, die nicht tatsächlich zu Wohnzwecken benutzt wird, nicht davon ausgegangen werden, dass die Leistung direkt an Endverbraucher erbracht wird. Ob dem tatsächlich so ist, ist etwa im folgenden Fall fragwürdig: Ein Endverbraucher kauft eine Wohnung, die unbewohnt ist, lässt diese renovieren und bezieht im Anschluss die Wohnung. Da die Wohnung zum Zeitpunkt der Ausführung der Renovierung nicht tatsächlich bewohnt ist, käme die Anwendung des Art 106 iVm Art 107 iVm Anhang IV Nr 2 MwStSystRL nicht in Frage. Dies steht jedoch eindeutig dem Ziel der Regelung entgegen, wonach der Endverbraucher vom ermäßigten Steuersatz profitieren soll, wenn die Reparaturleistung direkt an ihn erbracht wird.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Art 106, Art 107 und Anhang VI 2009 aufgehoben wurden (vgl RL 2009/47/EG). Die Auslegung des Begriffs „Privatwohnung“ durch den EuGH könnte trotzdem maßgebend bleiben, denn nun regelt Art 98 iVm Anhang III Nr 10 MwStSystRL, dass die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes für die Renovierung, den Umbau sowie die Reparatur von „Privatwohnungen“ zulässig ist.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35275 vom 04.04.2024