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Internationale Zuständigkeit betr Leerkassettenvergütung

RL 2001/29/EG: Art 2, Art 5

UrhG: § 42, § 42b

VO (EG) 44/2001: Art 5

Der OGH hat dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob der Anspruch auf Zahlung eines „gerechten Ausgleichs“ nach Art 5 Abs 2 lit b der RL 2001/29/EG, der sich nach österreichischem Recht gegen Unternehmen richtet, die Trägermaterial im Inland als erste gewerbsmäßig entgeltlich in Verkehr bringen, ein Anspruch aus „unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist,“ iSv Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 ist.

OGH 18. 11. 2014, 4 Ob 177/14d

Sachverhalt:

Die Kl ist eine Verwertungsgesellschaft nach österreichischem Recht. Zu ihren Aufgaben gehört insb das Einheben der Vergütung für nach Österreich geliefertem Trägermaterial nach § 42b Abs 1 und 3 UrhG. Diese Bestimmungen dienen der Umsetzung des nach Art 5 Abs 2 lit b RL 2001/29/EG gebotenen „gerechten Ausgleichs“ für die zulässige Vervielfältigung geschützter Werke zum privaten Gebrauch.

Die beklagten Gesellschaften gehören zu einem international tätigen Konzern, der über das Internet Bücher, Musikalien und andere Waren vertreibt. Die Erst-, Zweit- und Fünftbeklagte sind Gesellschaften luxemburgischen Rechts mit Sitz in Luxemburg, die Dritt- und Viertbeklagte sind Gesellschaften deutschen Rechts mit Sitz in Deutschland. In Österreich haben die Bekl keinen Sitz und keine Niederlassung. Nach dem Vorbringen der Kl wirken sie beim erstmaligen Inverkehrbringen von Trägermaterial in Österreich zusammen, sodass sie solidarisch für die Trägervergütung haften.

Die Parteien streiten über die Frage, ob die österreichischen Gerichte für die Entscheidung über den Anspruch der Kl international zuständig sind.

Die Kl begehrt eine Vergütung nach § 42b UrhG für das Trägermaterial (Speichermedien), das die Bekl in Österreich in Verkehr bringen, das in Mobiltelefonen, die zur Musikwiedergabe geeignet sind, eingebaut ist oder für die Speichererweiterung solcher Telefone verwendet werden kann. In einem ersten Schritt sollen die Bekl zur Rechnungslegung über das seit 1. 10. 2010 in Verkehr gebrachte Trägermaterial verpflichtet werden, die Bezifferung des Zahlungsbegehrens behält sich die Kl bis zu dieser Rechnungslegung vor.

Für die derzeit ausschließlich strittige Zuständigkeit stützt sich die Kl auf Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001: Der Anspruch auf Zahlung eines „gerechten Ausgleichs“ iSv Art 5 Abs 2 lit b RL 2001/29/EG diene nach der Rsp des EuGH dazu, den „Schaden“ des Rechteinhabers abzugelten, der durch die Ausnahme vom Vervielfältigungsrecht entstehe. Die Kl mache daher eine Schadenshaftung geltend, die vom Gerichtsstand des Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 erfasst werde.

Die Bekl wenden ein, dass Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 nur anwendbar sei, wenn Ansprüche aufgrund einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt sei, den Gegenstand des Verfahrens bildeten. Der Anspruch nach § 42b UrhG beruhe demgegenüber auf einem erlaubten Verhalten. Denn er diene dazu, einen Ausgleich für Vervielfältigungen zum privaten Gebrauch zu schaffen, die auch ohne Zustimmung des Urhebers zulässig seien. Daher habe es der OGH im Jahr 2006 abgelehnt, Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 auf solche Ansprüche anzuwenden (4 Ob 174/06a, LN Rechtsnews 2143 vom 3. 1. 2007). An dieser Entscheidung sei festzuhalten.

Das ErstG folgte den Argumenten der Bekl und wies die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück. Das Gericht zweiter Instanz bestätigte die Zurückweisung der Klage.

Zur Klärung der Frage der Zuständigkeit setzte der OGH das Verfahren aus und legte dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

Ist der Anspruch auf Zahlung eines „gerechten Ausgleichs“ nach Art 5 Abs 2 lit b der RL 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 5. 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, der sich nach österreichischem Recht gegen Unternehmen richtet, die Trägermaterial im Inland als erste gewerbsmäßig entgeltlich in Verkehr bringen, ein Anspruch aus „unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist,“ iSv Art 5 Nr 3 der VO (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen?

Hinweis: Die VO (EG) 44/2001 wird grds mit 10. 1. 2015 durch die VO (EU) 1215/2012 abgelöst.

Entscheidung

UrhG und OGH-Rsp

Ein rechtswidriger Eingriff in das Vervielfältigungsrecht des Urhebers wäre zweifellos eine unerlaubte Handlung iSv Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001, so der OGH. Art 5 Abs 2 lit b RL 2001/29/EG sehe jedoch vor, dass die Mitgliedstaaten Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch gestatten können, wenn die Rechteinhaber dafür einen gerechten Ausgleich erhalten. Der österreichische Gesetzgeber habe diese Möglichkeit genutzt: Die Vervielfältigung zum privaten Gebrauch auf beliebigen - also insb auch digitalen - Trägern ist zulässig; dafür haben die Rechteinhaber Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung, der von Verwertungsgesellschaften geltend zu machen ist. Schuldner dieses Anspruchs ist derjenige, der das Trägermaterial erstmals im Inland in Verkehr bringt. Die Vergütung dient, wie sich aus der Rsp des EuGH ergibt (C-435/12, ACI Adam), nicht dem Ausgleich eines Schadens, der durch rechtswidrige Vervielfältigungen entsteht, so der OGH weiter.

Der OGH hat in der Entscheidung 4 Ob 174/06a (SZ 2006/156 = MR 2007, 35 [Walter] - Leerkassettenvergütung IV) ausgeführt, dass der Anspruch auf Trägervergütung der Ausgleich für eine gesetzlich erlaubte und damit rechtmäßige Nutzungshandlung sei und daher gerade nicht auf einem rechtswidrigen Eingriff in das Vervielfältigungsrecht des Urhebers beruhe. Vielmehr handle es sich um einen durch Gesetz geregelten Entgeltanspruch für die freie Werknutzung; dieser Anspruch ersetze Entgeltansprüche, die sonst vertraglich zu vereinbaren wären. Daher sei Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 nicht anwendbar.

Neuere EuGH Rsp

Seither hat der EuGH allerdings mehrfach ausgeführt, dass die Pflicht zur Zahlung eines gerechten Ausgleichs dem Ersatz des „Schadens“ diene, den der Rechteinhaber durch die erlaubte Vervielfältigung erleide (C-467/08, Padawan, Rz 40, LN Rechtsnews 9996 vom 22. 10. 2010 = RdW 2010/782; C-462/09, Stichting de Thuiskopie, Rz 24, LN Rechtsnews 11250 vom 17. 6. 2011 = RdW 2011/421; C-521/11, Amazon.com International Sales Inc ua, Rz 23, LN Rechtsnews 15483 vom 12. 7. 2013 = RdW 2013/439).

Der Schaden tritt dabei in jenem Staat ein, in dem die Endnutzer wohnen (C-462/09, Stichting de Thuiskopie, Rz 35; C-521/11, Amazon.com International Sales Inc ua, Rz 58); diesen Staat trifft die Verpflichtung, für die Zahlung des gerechten Ausgleichs zu sorgen (C-462/09, Stichting de Thuiskopie, Rz 39; C-521/11, Amazon.com International Sales Inc ua, Rz 60).

Für diese Zahlung muss er nicht unbedingt (unmittelbar) die Endnutzer, sondern kann grundsätzlich auch jene Personen heranziehen, die diesen Endnutzern das Trägermaterial rechtlich oder faktisch zur Verfügung stellen (C-467/08, Padawan, Rz 46; C-462/09, Stichting de Thuiskopie, Rz 27; C-521/11, Amazon.com International Sales Inc ua, Rz 24). Insbesondere kann der Anspruch auch gegenüber einem Importeur mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat bestehen (C-521/11, Amazon.com International Sales Inc ua). Der gegen den Importeur gerichtete Anspruch dient daher ebenfalls dem Ersatz des „Schadens“, den die Rechteinhaber durch die erlaubte Vervielfältigung erleiden.

„Schaden“ durch erlaubten Eingriff - „Schadenshaftung“?

Diese Erwägungen sprechen nach Ansicht des OGH dafür, Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 auf den hier strittigen Anspruch anzuwenden. Denn ist tatsächlich der „Schaden“ zu ersetzen, der durch den - wenngleich erlaubten - Eingriff in ein absolut geschütztes Recht entsteht, so liege wohl eine „Schadenshaftung“ iSd Rsp des EuGH vor.

Zudem sei das Unionsrecht kohärent auszulegen: Wenn nach der RL 2001/29/EG jener Staat, in dem die Endnutzer wohnen, für die Zahlung eines gerechten Ausgleichs sorgen muss, und wenn Schuldner dieses Ausgleichs auch ein Importeur mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat sein kann, dann müsse die VO (EG) 44/2001 wohl dahin ausgelegt werden, dass die Klage auf Zahlung des gerechten Ausgleichs im Staat der Endnutzer auch dann möglich ist, wenn der Schuldner - wie im vorliegenden Fall - in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist. Das sei nur durch die Anwendung von Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 gewährleistet.

Allerdings ist nach Auffassung des OGH auch die gegenteilige Auffassung nicht ausgeschlossen. Einerseits könnte aus der Formulierung von Art 5 Nr 3 VO (EG) 44/2001 („unerlaubte“ oder einer solchen „gleichgestellte“ Handlung) abgeleitet werden, dass nur Ansprüche aufgrund einer rechtswidrigen Schadenszufügung darunter fallen, nicht jedoch Ansprüche aufgrund - wie hier - rechtmäßigen Handelns. Andererseits könnte die Anwendung dieser Bestimmung auf Ansprüche gegen Endnutzer beschränkt sein. Denn nur diese greifen unmittelbar in Rechte der Urheber ein, während Personen, die ihnen das Trägermaterial zur Verfügung stellen (hier der Importeur), nur aus Praktikabilitätsgründen zur Zahlung des gerechten Ausgleichs verpflichtet sind. Ansprüche gegen Endnutzer bestehen nach österreichischem Recht nicht.

Hinweis:

Zur Frage der Leerkassettenvergütung für Mobiltelefone ist derzeit beim EuGH ein dänisches Vorabentscheidungsersuchen anhängig (C-463/12 betr ua die Frage, ob Rechtsvorschriften von Mitgliedstaaten, die einen Ausgleich für Vervielfältigungen zum privaten Gebrauch auf den Speicherkarten von Mobiltelefonen vorsehen, mit der RL 2001/29/EG vereinbar sind); im Hinblick darauf hat der OGH auch bereits ein anderes anhängiges Verfahren unterbrochen (OGH 21. 10. 2014, 4 Ob 92/14, LN Rechtsnews 18534 vom 2. 12. 2014).

Bearbeiterin: Sabine Kriwanek

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 18666 vom 23.12.2014