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Islamischer Gesichtsschleier: zulässiges Verbot bei Notariatsangestellter

Bearbeiter: Manfred Lindmayr

GlBG: § 17, § 20

1. Hat ein Notar einer seiner Aangestellten das Tragen des islamischen Kopftuchs (Hijab) und des mantelartigen Übergewands (Abaya) am Arbeitsplatz jahrelang gestattet, stellt es eine unzulässige Diskriminierung bei den sonstigen Arbeitsbedingungen wegen Religion dar, wenn er nach ihrer Rückkehr aus der Karenz zwar seine Zustimmung zum Tragen des islamischen Kopftuches nicht zurücknimmt, er sie aber nur mehr eingeschränkt im Klientenkontakt und als Testamentszeugin verwendet.

2. Hingegen stellt es keine unzulässige unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion dar, wenn der Arbeitgeber das Dienstverhältnis in weiterer Folge beendet, weil die Arbeitnehmerin angekündigt hat, sich der individuellen Weisung, während der Arbeit keinen islamischen Gesichtsschleier (Niqab) zu tragen, zu widersetzen. Die Nichtverschleierung des Gesichts ist aufgrund der Art der beruflichen Tätigkeit der Klägerin als Notariatsangestellte und der Rahmenbedingungen ihrer Ausübung als eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung zu qualifizieren, sodass die grundsätzlich vorliegende Diskriminierung durch den Ausnahmetatbestand des § 20 Abs 1 GlBG gerechtfertigt ist.

3. Bei einer Gesamtbetrachtung aller dieser Umstände und unter Bedachtnahme darauf, dass der Entschädigung nach § 26 Abs 14 GlBG auch präventive Funktion zuzukommen hat, erscheint der Zuspruch von € 1.200,- als Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung bei den sonstigen Arbeitsbedingungen als angemessen.

OGH 25. 6. 2016, 9 ObA 117/15v

Sachverhalt

Aus der Pressemitteilung des OGH ergibt sich folgender Sachverhalt:

Die klagende Notariatsangestellte begehrte vom beklagten Notar eine pauschale Entschädigung von € 7.000,- für die erlittene persönliche Beeinträchtigung wegen einer Diskriminierung ihrer Person aufgrund der Religion bei den sonstigen Arbeitsbedingungen und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Konkret machte sie geltend, aufgrund des Tragens eines islamischen Kopftuches (Hijab) und mantelartigen Übergewands (Abaya) bei der Zuweisung von Aufgaben im Parteienverkehr und als Testamentszeugin gegenüber anderen Mitarbeiterinnen zurückgesetzt worden zu sein. Dazu seien gegen Ende des Arbeitsverhältnisses diskriminierende Bemerkungen des Beklagten wie „Dauerexperiment ethnischer Kleidung“ und „Vermummung“ gefallen. Besonders schwer habe sie aber vor allem die Kündigung des Arbeitsverhältnisses getroffen, die wegen ihrer Ankündigung erfolgt sei, in Zukunft mit einem islamischen Gesichtsschleier (Niqab) zu arbeiten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Das Berufungsgericht bejahte eine Religionsdiskriminierung der Klägerin bei den sonstigen Arbeitsbedingungen, sah aber insoweit noch einen Ergänzungsbedarf und hob deshalb das Ersturteil auf.

Der OGH erachtete die Rekurse beider Parteien als zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Diskriminierung aus Gründen der Religion durch Einschränkungen infolge des Tragens eines islamischen Kopftuchs und einer Verschleierung des Gesichts bei Tätigkeiten mit Kundenkontakt bestehe. Er hob die Berufungsentscheidung auf und erkannte sogleich in der Sache dahin, dass der Klägerin eine Entschädigung von € 1.200,- zugesprochen wurde; das Mehrbegehren von € 5.800,- wurde abgewiesen.

Entscheidung

Der OGH prüfte in diesem Verfahren erstmals Diskriminierungsfragen im Zusammenhang mit der religiösen Bekleidung einer Arbeitnehmerin. Der Schwerpunkt des Verfahrens lag dabei auf dem Thema der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen eines islamischen Gesichtsschleiers (Niqab).

1. Diskriminierung bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Aufgrund der Religion darf niemand im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden, insbesondere auch nicht bei den sonstigen Arbeitsbedingungen und bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 17 Abs 1 Z 6 und 7 GlBG).

Der Diskriminierungsschutz wegen Religion umfasst auch das Tragen religiöser Kleidung am Arbeitsplatz. Dafür ist einerseits der weite Religionsbegriff des GlBG maßgeblich, und andererseits der Umstand, dass auch das Tragen religiöser Kleidungsstücke am Arbeitsplatz grundsätzlich vom Grundrechtsschutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit umfasst ist. Der Ansatz des beklagten Arbeitgebers, er habe ohnehin nichts gegen eine bestimmte Religion, nur gegen das äußere (religiöse) Erscheinungsbild der klagenden Arbeitnehmerin, ist daher nicht geeignet, die Annahme einer Religionsdiskriminierung schon von vornherein zu verneinen.

Wird das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber deshalb beendet, weil die Arbeitnehmerin ankündigt, sich der individuellen Weisung, während der Arbeit keinen islamischen Gesichtsschleier zu tragen, zu widersetzen, so ist von einer unmittelbaren Diskriminierung wegen Religion auszugehen, sofern nicht ein Ausnahmetatbestand nach dem GlBG vorliegt.

Der Beklagte hat sich im Zusammenhang mit dem von der Klägerin angekündigten Tragen des islamischen Gesichtsschleiers inhaltlich auf das Vorliegen des Ausnahmetatbestands des § 20 Abs 1 GlBG berufen. Unter Verweis auf die Entscheidung EGMR 1. 7. 2014, 43835/11, SAS/Frankreich brachte er insbesondere auch vor, dass das Tragen eines Gesichtsschleiers die Feststellung der Identität verhindere und sein Verbot auch deshalb gerechtfertigt sei, weil es der Sicherstellung der Mindestvoraussetzungen der zwischenmenschlichen Kommunikation und damit des Zusammenlebens in der Gemeinschaft diene. Vertrauen sei gerade im Berufsfeld des Beklagten ein wesentlicher Bestandteil des Kontakts. Die nicht sichtbare Identität des Gegenübers bewirke bei den Beteiligten Unsicherheit in der Kommunikation und sei daher der Vertrauensbildung abträglich.

Gemäß § 20 Abs 1 GlBG liegt eine Diskriminierung dann nicht vor, wenn das betreffende Merkmal (hier: Religion, konkret das Nichttragen religiöser Bekleidung) aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Rahmenbedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung darstellt und sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.

Dies wurde hier vom OGH bejaht:

Zwar gäbe es in Österreich kein allgemeines Verbot, einen islamischen Gesichtsschleier in der Öffentlichkeit zu tragen. Allerdings zählt es auch in Österreich zu den unbestrittenen Grundregeln zwischenmenschlicher Kommunikation, das Gesicht unverhüllt zu lassen. Im konkreten Fall sei davon auszugehen, dass die Verschleierung des Gesichts einer Notariatsangestellten die Kommunikation und Interaktion mit dem Arbeitgeber, den Mitarbeitern, Parteien und Klienten beeinträchtigt. Die unbeeinträchtigte Kommunikation und Interaktion ist aber eine wesentliche und entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Klägerin die vertraglich bedungenen Arbeitstätigkeiten als Notariatsangestellte erbringen kann.

Das von der Klägerin erwogene Auf- und Abnehmen des Gesichtsschleiers bei Klientenkontakt betrifft nur einen Teil der Interaktion und Kommunikation in einem Notariat, stört die Arbeitsabläufe und ist der am Arbeitsplatz gebotenen Konzentration nicht förderlich.

Die Nichtverschleierung des Gesichts ist damit aufgrund der Art der beruflichen Tätigkeit der Klägerin als Notariatsangestellte und der Rahmenbedingungen ihrer Ausübung als eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung der Klägerin als Notariatsangestellte zu qualifizieren.

Die Anforderung des Beklagten, am Arbeitsplatz im Notariat keinen islamischen Gesichtsschleier zu tragen, verletzt auch nicht die von § 20 Abs 1 GlBG geforderte Angemessenheit, weil der angestrebte Zweck - die unbeeinträchtigte Ermöglichung der für die Durchführung der vertraglich vereinbarten Arbeitstätigkeiten der Klägerin erforderlichen Kommunikation und Interaktion - nur durch dieses Verbot erreicht werden kann.

Das Berufungsgericht ist daher zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die schließlich erfolgte Kündigung wegen der beharrlichen Weigerung der Klägerin, der Weisung des Beklagten zu entsprechen, keine unzulässige unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion darstellt, weil die von der Kündigung wegen Beharrens auf dem angekündigten Tragen eines islamischen Gesichtsschleiers grundsätzlich ausgehende unmittelbare Benachteiligung der Klägerin wegen der Religion unter die Ausnahmebestimmung des § 20 Abs 1 GlBG fällt.

2. Diskriminierung bei den sonstigen Arbeitsbedingungen

Der Klägerin wurde vom Beklagten zunächst das Tragen eines islamischen Kopftuchs und mantelartigen Übergewands (Abaya) ohne weitere Einschränkungen gestattet. Mit Fortdauer des Arbeitsverhältnisses wurde sie vom Beklagten jedoch aufgrund ihrer religiösen Bekleidung bei der Zuweisung von Arbeitsaufgaben gegenüber anderen Arbeitnehmerinnen zurückgesetzt, etwa bei der Zuweisung von Aufgaben im Parteienverkehr und als Testamentszeugin.

Dass es sich bei der Betrauung mit Tätigkeiten im Klientenkontakt und als Testamentszeuge um bei Notariatsangestellten beliebte abwechslungsreiche Tätigkeiten im Notariat handelt, ist hier ebenso wenig strittig wie der Umstand, dass die Einschränkung einer Mitarbeiterin in diesem Bereich als Benachteiligung und Zurücksetzung gegenüber den anderen Mitarbeitern empfunden wird. Nach der Lage des Falls ist daher von einer unmittelbaren Benachteiligung der Klägerin bei den sonstigen Arbeitsbedingungen aufgrund der Religion - vorbehaltlich der auch hier gebotenen Prüfung des Vorliegens eines Ausnahmetatbestands iSd § 20 GlBG - auszugehen.

Auf einen solchen Ausnahmetatbestand iSd § 20 GlBG kann sich der Arbeitgeber in diesem Fall nicht berufen: Einerseits ergab sich aus den Feststellungen kein Hinweis auf eine Gefährdung der Unparteilichkeit des Beklagten durch die Klägerin infolge Tragens des islamischen Kopftuchs und der Abaya im Dienst. Andererseits könne der Beklagte sein Verhalten auch nicht auf „Erwartungen von Klienten“ stützen. Maßstab nach § 20 Abs 1 GlBG für den vorliegenden Fall sind nicht diffuse Vorbehalte, sondern dass das Nichttragen des islamischen Kopftuchs und der Abaya eine wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung einer Notariatsangestellten sein muss. Dass dies hier nicht der Fall ist, ist schon daraus zu sehen, dass die Klägerin vom Beklagten mehrere Jahre lang ohne Einschränkungen und offenbar auch ohne besondere Beanstandungen umfassend als Notariatsangestellte eingesetzt wurde.

Es handelt sich daher - bestärkt durch abfällige Äußerungen des Beklagten über die religiöse Kleidung der Klägerin - um eine Diskriminierung bei den sonstigen Arbeitsbedingungen wegen Religion.

3. Höhe der Entschädigung

Zur Angemessenheit der Entschädigung im vorliegenden Fall führte der OGH zusammengefasst aus:

Das GlBG bietet einer diskriminierten Person aufgrund gesonderter Rechtsfolgenanordnungen bei Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes die Möglichkeit, für mehrere Vorfälle gesonderte Entschädigungen für die erlittene persönliche Beeinträchtigung zufolge Diskriminierung wegen Religion geltend zu machen. Dies soll aber im Einzelfall, wenn die diskriminierte Person gerade von einer persönlichen Gesamtbeeinträchtigung wegen des jeweils gleichen diskriminierenden Motivs ausgeht, nicht zu einer Überspannung durch übertriebene Anforderungen an die Aufschlüsselung des Klagebegehrens führen.

Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass die Klägerin - wenn auch nach einigen Diskussionen mit dem Beklagten - am Arbeitsplatz das islamische Kopftuch und die Abaya trug. Dies funktionierte auch einige Jahre ohne besondere Probleme. Nach der Rückkehr aus der Karenz kam es aber für die Klägerin wieder zu einem merkbaren Rückschritt, als der Beklagte zwar seine Zustimmung nicht zurücknahm, aber die Klägerin nur mehr eingeschränkt im Klientenkontakt und als Testamentszeugin verwendete. Dass das islamische Kopftuch und die Abaya vom Beklagten nur mehr eingeschränkt toleriert wurden, wurde nicht zuletzt in der Diskussion um den Gesichtsschleier deutlich, den der Beklagte zufolge Vorliegens des Ausnahmetatbestands des § 20 Abs 1 GlBG zwar zurecht nicht zuließ, aber festhielt, der „Bekleidungsstil“ der Klägerin würde jedenfalls „zwangsläufig“ zur Einschränkung des Klientenkontakts führen. Er habe ohnehin bisher das „Dauerexperiment ethnischer Kleidung“ unterstützt.

Nach all dem besteht kein Zweifel, dass die Einschränkungen der Klägerin bei den übertragenen Aufgaben zu einer - bestärkt durch die in zwei E-Mails zum Ausdruck gebrachte abfällige Bewertung der religiösen Bekleidung - persönlichen Beeinträchtigung der Klägerin führten, die gemäß § 26 Abs 6 GlBG durch eine Entschädigung auszugleichen ist. Bei deren Bemessung ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin in erster Instanz betonte, dass sie besonders durch die von ihr als diskriminierend empfundene Kündigung sehr verletzt worden sei. Da ihr nun in Bezug auf die von ihr geltend gemachte Beendigungsdiskriminierung gerade nicht gefolgt wurde und die Klägerin bei der Diskriminierung zulässig von einer Gesamtbetroffenheit ausging, die sie pauschal mit € 7.000,- bewertete, ist klar, dass davon nur ein eher kleinerer Teil für die Diskriminierung bei den sonstigen Arbeitsbedingungen zu veranschlagen ist. In Bezug darauf war einerseits zu berücksichtigen, dass die Klägerin einige Monate lang von den Einschränkungen im Klientenkontakt und als Testamentszeugin betroffen war; andererseits war von den Einschränkungen aber offensichtlich nur ein kleiner Teil ihrer Aufgaben insgesamt betroffen. Auf ein Verschulden des Beklagten kommt es im Rechtsfolgensystem des GlBG grundsätzlich nicht an. Dennoch ist bei der Bemessung zu berücksichtigen, dass die Einschränkungen der Klägerin im Klientenkontakt und als Testamentszeugin nicht bloß „passiert“ sind, sondern vom Beklagten gewollt waren, was er durch seine beiden E-Mails bekräftigte.

Bei einer Gesamtbetrachtung aller dieser Umstände und unter Bedachtnahme auch darauf, dass der Entschädigung nach § 26 Abs 14 GlBG auch präventive Funktion zuzukommen hat, erscheint der Zuspruch von € 1.200,- als Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung bei den sonstigen Arbeitsbedingungen als angemessen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21933 vom 06.07.2016