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Keine Lohnunterlagen am Einsatzort – unionsrechtskonforme Bestrafung

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

AVRAG: § 7d , § 7i Abs 4 idF vor BGBl I 2016/44

Mit dem Urteil EuGH 12. 9. 2019, C-64/18 ua, Maksimovic, ARD 6667/5/2019, wurde kürzlich ausgesprochen, dass die in Österreich gesetzlich vorgesehenen Sanktionen für die Nichtbereithaltung bzw -stellung von Lohnunterlagen im Falle der Entsendung oder Überlassung von Arbeitnehmern nach Österreich unter mehreren Gesichtspunkten nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts folgt, dass nationales Recht insoweit unangewendet bleiben muss. Das führt dazu, dass im Falle der Nichtbereithaltung bzw -stellung von Lohnunterlagen – auch wenn es um die Lohnunterlagen mehrerer Arbeitnehmer geht – nur mehr eine einzige Geldstrafe bis zum gesetzlich vorgesehenen Höchstmaß verhängt werden darf, ohne dass es eine Mindeststrafhöhe gibt. Die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe ist unzulässig.

Hinsichtlich des gesetzlich vorgesehenen Verfahrenskostenbeitrages (iHv 20 % der verhängten Geldstrafe) ist hingegen eine Verdrängung von nationalem Recht im Lichte des zitierten Urteils des EuGH nicht geboten.

VwGH 15. 10. 2019, Ra 2019/11/0033

Sachverhalt

Mit dem angefochtenen Erkenntnis des VwG wurden über den Geschäftsführer einer slowakischen Gesellschaft wegen Übertretung des § 7d Abs 1 und 2 AVRAG idF vor BGBl I 2016/44 25 Geldstrafen zu jeweils € 6.000,- verhängt (Ersatzfreiheitsstrafe – jeweils – 1 Woche 4 Tage und 4 Stunden), weil die Gesellschaft im Jahr 201525 Arbeitnehmer von der Slowakei nach Österreich entsendet und an die B**** GmbH als Hilfskräfte auf einer Baustelle in Wien überlassen hat (grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung), ohne der B**** GmbH (als inländischer Beschäftigerin) die entsprechenden Lohnunterlagen in deutscher Sprache nachweislich bereitzustellen. Weiters wurden dem Geschäftsführer ein Kostenbeitrag von € 15.000,- zum behördlichen Strafverfahren (10 % der Geldstrafen gemäß § 64 Abs 2 VStG) sowie ein Kostenbeitrag von € 21.600,- zum Beschwerdeverfahren (20 % der Geldstrafen gemäß § 52 Abs 2 VwGVG) vorgeschrieben.

Betreffend den Abspruch über die Strafen und die Verfahrenskosten war die Revision zulässig und auch berechtigt, weil sie zutreffend eine Unionsrechtswidrigkeit der verhängten Strafen geltend macht:

Entscheidung

Widerspruch zu Unionsrecht

Zu mehreren österreichischen Vorabentscheidungsersuchen hat der EuGH kürzlich ausgesprochen (EuGH 12. 9. 2019, C-64/18 ua, Maksimovic, Rechtsnews 27949, ARD 6667/5/2019), dass Art 56 AEUV einer nationalen Regelung entgegensteht, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung von Geldstrafen vorsieht,

-die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen,
-die für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden,
-zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Strafe hinzutritt und
-die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden.

Nationales Recht, das im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht steht, ist verdrängt. Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass die nationale Regelung in jener Gestalt anwendbar bleibt, in der sie nicht mehr im Widerspruch zum Unionsrecht steht. Von mehreren unionskonformen Lösungen darf im Wege der Verdrängung jedoch nur jene zur Anwendung gelangen, mit welcher die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers so weit wie möglich erhalten bleibt (vgl VwGH 16. 3. 2016, 2015/04/0004).

Nur mehr eine einzige Geldstrafe

Im vorliegenden Fall hat das VwG im Rahmen der Bemessung der Geldstrafe den Strafrahmen des § 7i Abs 4 vierter Strafsatz AVRAG aF angewendet. Diese Norm sieht ua eine Mindeststrafe vor, was nach der EuGH-Rsp nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist, weil dadurch auch Fälle erfasst werden, in denen der beanstandete Sachverhalt (Nichtbereitstellung von Lohnunterlagen) nicht von besonderer Schwere ist.

Weiters hält es der EuGH zwar einerseits für vereinbar mit dem Unionsrecht, wenn die Sanktion von der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer abhängt, doch ist andererseits bei der Bemessung der Geldstrafen zu berücksichtigen, dass diese auch in ihrer Summe in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße stehen müssen und daher – insgesamt – kein unverhältnismäßiges Ausmaß erreichen dürfen. Dies ließe sich, so der EuGH, durch eine Höchstgrenze für solche Strafen gewährleisten.

§ 7i Abs 4 AVRAG aF enthält zwar Strafhöchstgrenzen, die nach ihrem Wortlaut für die Bemessung der jeweiligen Geldstrafe gelten („für jede/n Arbeitnehmer/in“), nicht aber für die Summe der Geldstrafen bei Verletzung der Bereitstellungspflicht bezüglich mehrerer Arbeitnehmer. Eine unionsrechtskonforme Rechtslage mithilfe der Verdrängung von nationalem Recht kann gegenständlich am ehesten dadurch hergestellt werden, dass die Wortfolge „für jede/n Arbeitnehmer/in“ in § 7i Abs 4 AVRAG aF unangewendet bleibt, weil damit im Ergebnis dem Erfordernis einer Höchstgrenze für die Summe aller Geldstrafen bei Verstößen gegen die Bereitstellungspflicht betreffend mehrere Arbeitnehmer Rechnung getragen wird.

Dass damit die Verletzung der Bereitstellungspflicht, auch wenn sie mehrere Arbeitnehmer betrifft, nur mehr eine einzige Strafe nach sich zieht, ist zwingende Rechtsfolge des Erfordernisses, die Unionsrechtskonformität bei möglichst weitgehender Erhaltung des nationalen Rechts herzustellen. Denn die Alternative, mangels Normierung einer Höchststrafe durch den Gesetzgeber für Fälle der Verletzung der Bereitstellungspflicht hinsichtlich mehrerer Arbeitnehmer die gesamte Strafbestimmung wegen Unionsrechtswidrigkeit unangewendet zu lassen, würde zu einem noch weitergehenden Eingriff in das nationale Recht führen.

Die Bemessung der Geldstrafen ohne Zugrundelegung einer Strafhöchstgrenze im genannten Sinn entspricht daher im vorliegenden Fall (abgesehen von der Zugrundelegung der erwähnten Mindeststrafe) auch unter diesem Gesichtspunkt nicht den Anforderungen der EuGH-Rsp.

Ersatzfreiheitsstrafe / Verfahrenskostenbeitrag

Weiters wurde im angefochtenen Erkenntnis für jede Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt (§ 16 VStG), obwohl eine Ersatzfreiheitsstrafe zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Bereitstellung von Lohnunterlagen im Lichte der Ausführungen des EuGH eine nicht verhältnismäßige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt.

Demgegenüber führt der vom EuGH ebenfalls angesprochene Verfahrenskostenbeitrag – für sich alleine – noch nicht zur Unionsrechtswidrigkeit (laut Rn 46 des zitierten Urteils bewirkt vielmehr erst das Zusammenwirken der davor aufgezählten Vorgaben im Strafverfahren ein nicht angemessenes Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße). Ein Verfahrenskostenbeitrag im Ausmaß eines Prozentsatzes der Geldstrafe erreicht nämlich typischerweise erst im Zusammenwirken mit übermäßig hohen Geldstrafen ein unverhältnismäßiges Ausmaß und wird daher schon bei unionsrechtskonformer Bemessung einer Geldstrafe auf ein angemessenes Ausmaß begrenzt. Hinsichtlich des gesetzlich vorgesehenen Verfahrenskostenbeitrages ist daher eine Verdrängung von nationalem Recht nicht geboten.

Neue Strafbemessung

Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus zusammengefasst, dass sowohl die Bemessung der Geldstrafen (und damit auch jene des Verfahrenskostenbeitrags) als auch die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen nicht im Einklang mit dem Unionsrecht stehen.

Bei der neuerlichen Strafbemessung wird das VwG weiterhin auch die Kriterien des § 19 VStG zu berücksichtigen haben (und damit insbesondere auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten) sowie – fallbezogen (Tatzeiten im Jahre 2015) – mildernd auch die nunmehr lange Dauer des Strafverfahrens.

Im Übrigen wäre es bei der vorliegenden Tat nicht gänzlich unerheblich, ob die Lohnunterlagen kurz nach der Kontrolle nachgereicht wurden, weil in diesem Fall die Kontrollmaßnahmen zugunsten des Arbeitnehmerschutzes nicht verunmöglicht, sondern nur verzögert bzw erschwert worden wären. Dies ändert zwar nichts an der Verwirklichung des Tatbildes, verringert aber den Unrechtsgehalt und wäre daher bei der Bemessung der Strafhöhe von Bedeutung.

Hinweis: Zur aktuellen Rechtslage siehe nunmehr § 28 LSD-BG, der ebenfalls eine Staffelung der Mindest- und Höchststrafen „für jeden Arbeitnehmer“ vorsieht, was nach der vorliegenden Entscheidung des VwGH unangewendet zu bleiben hat.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 28253 vom 15.11.2019