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Keine Verjährungshemmung durch dissoziative Störung

Bearbeiter: Wolfgang Kolmasch

ABGB: §§ 1489, 1494

Eine dissoziative Störung, die das Missbrauchsopfer daran hindert, sich an die Missbrauchstaten zu erinnern, fällt nicht unter den Hemmungstatbestand des § 1494 ABGB. Der Ablauf der 30-jährigen Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche, die kenntnisunabhängig im Tatzeitpunkt zu laufen beginnt, wird daher durch eine dissoziative Störung nicht hinausgeschoben.

OGH 28. 1. 2016, 1 Ob 258/15w

Entscheidung

Der Kläger befand sich in seiner Jugend in den 1970er Jahren mehrere Jahre in Pflege und Erziehung der beklagten Stadt, die ihn in einem Kinderheim unterbrachte. Dort wurde er nach seinem Vorbringen Opfer von Misshandlungen und sexuellen Übergriffen durch Erzieher.

Im vorliegenden, 2014 eingeleiteten Verfahren begehrte er von der Beklagten Schadenersatz für psychische Störungen, die seiner Ansicht nach auf den Missbrauch zurückzuführen sind (Amtshaftung wurde nicht geltend gemacht, weil die Unterbringung aufgrund der Zustimmung der obsorgeberechtigten Mutter keine hoheitliche Maßnahme war). Dem Verjährungseinwand der Beklagten, die auf die absolute Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche von 30 Jahren hinwies, hielt er entgegen, dass er aufgrund seiner Traumatisierung an einer dissoziativen Störung gelitten habe. Erst im Rahmen einer Psychotherapie habe er sich 2013 wieder an den Missbrauch im Kinderheim erinnert. Diese dissoziative Störung bewirke eine Ablaufhemmung der Verjährung gem § 1494 ABGB.

Wie die Vorinstanzen gelangte der OGH zur Auffassung, dass eine Störung des Erinnerungsvermögens nicht unter diesen Hemmungstatbestand fällt und mögliche Schadenersatzansprüche daher verjährt sind.

Anmerkung

Ablehnung der in OLG Innsbruck 3 R 34/13v = Zak 2013/581, 321 vertretenen Ansicht, sowohl die subjektive dreijährige Frist als auch die dreißigjährige Höchstfrist des § 1489 ABGB seien gem § 1494 ABGB gehemmt, solange das Opfer aufgrund seiner Traumatisierung nicht in der Lage ist, sich an den Missbrauch zu erinnern. Der OGH hatte diese Frage bisher offen gelassen (zuletzt 1 Ob 169/15g).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21194 vom 29.02.2016