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Lohndumping: Unterentlohnung wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

AVRAG: § 7i Abs 3 idF BGBl I 2013/138

Der objektive Tatbestand der Unterentlohnung ist dann erfüllt, wenn dem Arbeitnehmer - gleich aus welchen Gründen - das Mindestentgelt nicht ausbezahlt wird, das ihm nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zusteht.

Die Beweggründe des Arbeitgebers bzw das Vorliegen allfälliger Hindernisse für das Unterbleiben der Auszahlung des zustehenden Mindestentgelts (hier: aufgrund aus wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Arbeitgebers) sind jedoch nicht gänzlich unbeachtlich, sondern bei der Beurteilung des subjektiven Tatbestandes (Verschulden) des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Liegt nur ein geringfügiges Verschulden des Arbeitgebers vor, hat die Behörde zu prüfen, ob die Voraussetzungen für das Absehen von der Strafe erfüllt sind.

VwGH 30. 6. 2016, Ra 2016/11/0007

Sachverhalt

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft wurde über den Revisionswerber eine Geldstrafe iHv € 1.000,- wegen Übertretung des § 7i Abs 3 AVRAG idF BGBl I 2013/138 verhängt: Als handelsrechtlicher Geschäftsführer habe er zu verantworten, dass die I****-GmbH vom 1. 6. 2014 bis 10. 7. 2014 eine Arbeitnehmerin beschäftigt hat, ohne dieser den zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien geleistet zu haben.

Dagegen brachte der Revisionwerber vor, dass die Arbeitnehmerin richtig eingestuft worden sei und die Höhe ihres Lohnanspruchs nicht bestritten werde. Jedoch habe der Lohn „infolge einer Zahlungsstockung“, an deren Behebung er arbeite, nicht ausgezahlt werden können. Darin liege keine Unterentlohnung nach dem AVRAG.

Die Revision wurde vom VwGH zugelassen, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehlt, ob gemäß § 7i Abs 3 AVRAG idF BGBl I 2013/138 auch das Nichtauszahlen von (der Höhe nach ordnungsgemäß festgesetzten) Löhnen infolge von wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Arbeitgebers strafbar ist.

Entscheidung

Rechtsgrundlage

§ 7i Abs 3 AVRAG in der für den gegenständlichen Tatzeitraum noch maßgebenden Fassung BGBl I 2013/138 lautet auszugsweise: „Wer als Arbeitgeber/in eine/n Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. (...)“

Hinweis: Nunmehr ist der Tatbestand der Unterentlohnung in § 7i Abs 5 AVRAG geregelt bzw für Sachverhalte ab 2017 in § 29 des neuen Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (LSD-BG). Die Ausführungen des VwGH sind auch für die aktuelle bzw künftige Rechtslage relevant.

Nichtauszahlung des Lohns

Der Revisionswerber stützt sich ua darauf, dass die Strafnorm nach den Gesetzesmaterialien (RV 1076 BlgNR 24. GP) Fälle wie den vorliegenden nicht erfasse, in dem es um „eine bloße Unmöglichkeit der Zahlung“ gehe. Auch aus dem Wortlaut des zweiten Satzes des § 7i Abs 3 AVRAG, der von „Unterentlohnung“ im Zusammenhang mit dem „zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien“ spreche, ergebe sich, dass die Bestimmung die wissentliche und willentliche Benachteiligung des Arbeitnehmers und nicht die Zahlungsunfähigkeit zum Gegenstand habe.

Nach Ansicht des VwGH ist jedoch aus dem Wortlaut des § 7i Abs 3 erster Satz AVRAG für den Revisionswerber nichts zu gewinnen: Das Tatbild wird durch die Beschäftigung eines Arbeitnehmers sowie durch das Nichtleisten des „zustehenden Grundlohnes“ verwirklicht. § 7i Abs 3 erster Satz AVRAG erfasst somit auch den Fall des gänzlichen Unterbleibens einer Lohnzahlung. Daran ändert § 7i Abs 3 zweiter Satz AVRAG nichts, weil der dort verwendete Begriff „Unterentlohnung“ in seinem äußersten Wortsinn auch den gänzlichen Entfall der Entlohnung (als extremste Form der Unterentlohnung) erfasst.

Auch der VwGH zieht für seine Begründung die Gesetzesmaterialien (RV 1076 BlgNR 24. GP) zum Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz, BGBl I 2011/24, heran: Danach wollte es der Gesetzgeber nicht allein den Arbeitnehmern überlassen, sich im Falle der nicht ordnungsgemäßen Zahlung des zustehenden Lohns mit (ua) zivilgerichtlichen Schritten zur Wehr zu setzen. Vielmehr soll den Arbeitnehmern auch durch den Verwaltungsstraftatbestand des § 7i Abs 3 AVRAG Schutz geboten werden, weil sie „aus Angst vor Verlust ihres Arbeitsplatzes erfahrungsgemäß nur selten rechtliche Schritte im Falle einer Unterentlohnung“ setzen oder „Beratungsangebote ... betreffend das ihnen zustehende Mindestentgelt“ in Anspruch nehmen. Gleichzeitig dient diese Norm, wie die Materialien zeigen, auch der Sicherung eines fairen wirtschaftlichen Wettbewerbs zwischen den Unternehmen.

Diese beiden ausgewiesenen gesetzlichen Ziele (Schutz der Arbeitnehmer und Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs) sind nur dann effektiv erreichbar, wenn der Arbeitgeber die Löhne seiner Arbeitnehmer im zustehenden Ausmaß tatsächlich ausbezahlt. Insbesondere der deklarierte Wille des Gesetzgebers spircht daher nach Ansicht des VwGH dafür, dass der - objektive - Tatbestand des § 7i Abs 3 AVRAG dann erfüllt ist, wenn das dem beschäftigten Arbeitnehmer zustehende Mindestentgelt, gleich aus welchen Gründen, nicht ausbezahlt wird.

Die Beweggründe und allfälligen Hindernisse für das Unterbleiben der Ausbezahlung des zustehenden Mindestentgelts sind jedoch nicht unbeachtlich, allerdings erst bei der fallbezogenen Beurteilung des subjektiven Tatbestandes (Verschulden) des Arbeitgebers zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall hat sich das Verwaltungsgericht mit der subjektiven Tatseite nicht auseinandergesetzt und sein Erkenntnis daher mit Rechtswidrigkeit belastet.

Absehen von der Strafe

Zutreffend ist auch das Revisionsvorbringen, dass gegenständlich nicht geprüft wurde, ob die Voraussetzungen für das Absehen von der Strafe erfüllt sind.

Nach § 7i Abs 4 AVRAG idF BGBl I 2013/138 hat die Bezirksverwaltungsbehörde von der Verhängung einer Strafe abzusehen, wenn die Unterschreitung des Grundlohns gering oder das Verschulden des Arbeitgebers geringfügig ist, sofern der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem gebührenden Entgelt binnen einer von der Behörde festzusetzenden Frist nachweislich leistet und eine solche Unterschreitung des Grundlohns das erste Mal erfolgt.

Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber schon in seiner schriftlichen Äußerung gegenüber der belangten Behörde ausgeführt, dass es ihm „infolge einer Zahlungsstockung“ nicht möglich sei, den Lohn der Arbeitnehmerin zur Auszahlung zu bringen, und dass er „an der Behebung der Zahlungsstockung“ arbeite. Die belangte Behörde durfte daher nicht schon von vornherein davon ausgehen, dass der Revisionswerber das ausstehende Mindestentgelt überhaupt nicht leisten werde.

Dem Revisionswerber kann daher ein geringfügiges Verschulden iSd § 7i Abs 4 AVRAG idF BGBl I 2013/138 nicht von vornherein abgesprochen werden. Deshalb hätte ihm die Behörde ausdrücklich eine Frist zur Begleichung des noch ausstehenden Mindestentgelts einräumen müssen. Auch nach den Gesetzesmaterialien soll mit dem Verwaltungsstraftatbestand nämlich ausdrücklich nicht die Pönalisierung der Arbeitgeber, sondern die Sicherstellung des Mindestlohnes der Arbeitnehmer bezweckt werden.

Die Bestrafung des Revisionswerbers war somit im Hinblick auf § 7i Abs 4 AVRAG idF BGBl I 2013/138 rechtswidrig.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 22109 vom 04.08.2016