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Lohndumping: Zustellung des Straferkenntnisses an tschechischen Geschäftsführer

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

ZustG § 11

Die Zustellung eines ausschließlich in deutscher Sprache verfassten Straferkenntnisses (hier: wegen Nichtbereithaltung der Lohnunterlagen entsendeter ausländischer Arbeitnehmer nach § 7i Abs 4 iVm § 7d AVRAG) an den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit Sitz in Tschechien ist auch ohne Übersetzung in die tschechische Sprache rechtswirksam, wenn der Geschäftsführer der deutschen Sprache mächtig ist.

VwGH 1. 3. 2016, Ra 2015/11/0097

Entscheidung

Maßgebliche Rechtsgrundlagen

Aus § 11 Abs 1 ZustG ergibt sich eine abgestufte Reihenfolge bei der Prüfung, ob eine entsprechende Zustellung in einen anderen Staat möglich und zulässig ist. Entscheidend sind demnach in erster Linie bestehende internationale Vereinbarungen.

Nicht anwendbar waren im vorliegenden Fall die Europäischen Übereinkommen

-über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland, BGBl 1983/67 idF BGBl III 2005/53, (von Tschechien nicht ratifiziert) und
-über die Rechtshilfe in Strafsachen, BGBl 1969/69 (Europäisches Rechtshilfeübereinkommen), weil sich der Geltungsbereich dieses Übereinkommens nur auf strafbare Handlungen erstreckt, zu deren Verfolgung im ersuchenden Staat die Justizbehörden zuständig sind.

In Ergänzung zum Europäisches Rechtshilfeübereinkommen und zu dessen erleichterter Anwendung wurden weiters abgeschlossen:

-der bilaterale Vertrag zwischen Österreich und der Tschechischen Republik, BGBl 1995/744, sowie
-das „Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union samt Erklärungen“ (ABl C 197 vom 12. 7. 2000; 2000/C 197/01), das nach Ratifizierung und Kundmachung in BGBl III 2005/65 in Österreich am 3. 7. 2005 in Kraft getreten ist. Dieses Übereinkommen wurde auch durch die Tschechische Republik ratifiziert.

Vorrang des EU-Übereinkommens

Während das genannte Übereinkommen gemäß seinem Art 3 auch auf Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden ist, setzt die Anwendbarkeit des bilateralen Vertrages auf den vorliegenden Fall gemäß dessen Art I zunächst voraus, dass die strafbare Handlung in einem der beiden Vertragsstaaten - fallbezogen in der Tschechischen Republik - in die Zuständigkeit eines Gerichts fällt. Ob dies der Fall ist, konnte hier aber dahingestellt bleiben, weil dem bilateralen Vertrag gegenständlich nach Ansicht des VwGH jedenfalls aus einem anderen Grund keine Bedeutung zukommt:

Während der bilaterale Vertrag im Falle der unmittelbaren Zustellung von Schriftstücken auf dem Postweg zwingend („in jedem Fall“) eine Übersetzung des Schriftstücks vorschreibt (bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit der Zustellung; Art XII Abs 3 iVm Art XIII Abs 4), sieht das genannte Übereinkommen in seinem Art 5 Abs 3 das Erfordernis einer Übersetzung von Verfahrensurkunden nur für den Fall vor, dass der Zustellungsempfänger der Sprache, in der die Urkunde abgefasst ist, unkundig ist.

Dieser allfällige Normenkonflikt ist nach Ansicht des VwGH nun dahin zu lösen, dass dem Art 5 Abs 3 des Übereinkommens zum einen schon nach der lex posterior-Regel der Vorrang zukommt (Art 30 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge). Zum anderen sei zu beachten, dass die genannten Vorschriften, wie sich schon aus dem Titel des Vertrages und aus Art 1 des Übereinkommens ergibt, dazu dienen sollen, die Anwendung (ua) des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens, BGBl 1969/41, zu „erleichtern“, sodass Art 5 Abs 3 des Übereinkommens (und nicht Art XII Abs 3 iVm Art XIII Abs 4 des Vertrages) die „günstigere“ Bestimmung iSd Art 1 Abs 2 dieses Übereinkommens darstellt und damit nach der letztgenannten Bestimmung Vorrang hat.

Keine Übersetzung notwendig

Nach Ansicht des VwGH ist das Verwaltungsgericht daher auf Basis der Feststellung, der tschechische Geschäftsführer sei der deutschen Sprache mächtig, (zumindest im Ergebnis) zutreffend davon ausgegangen, dass die Zustellung des ausschließlich in deutscher Sprache verfassten Straferkenntnisses an den Geschäftsführer in Tschechien auch ohne Übersetzung in die tschechische Sprache rechtswirksam war.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21520 vom 26.04.2016