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Nach TeilschuldverschreibungsG bestellter Kurator - Vertretungsumfang

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

TSchVG: § 9

Einzelne Anleihegläubiger sind von § 9 TSchVG nicht aktiv legitimiert, Ansprüche aus jenen Angelegenheiten geltend zu machen, die gemeinsame Rechte der Besitzer von Teilschuldverschreibungen betreffen. Für die Geltendmachung dieser Angelegenheiten kommt vielmehr dem Kurator ein Monopol zu.

Die gemeinsamen Rechte werden nur tangiert, wenn durch eine Maßnahme das Gesamtrechtsverhältnis und somit die gemeinsame Grundlage der in den Anleihen verbrieften Forderungen betroffen ist. Angelegenheiten, die alle Besitzer gleichmäßig berühren und aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen nur einheitlich geordnet werden können, sollen daher auch aus verfahrensökonomischen Gründen von einem gemeinschaftlichen Vertreter erledigt werden. Die gemeinsame Angelegenheit muss daher im Anleiheverhältnis begründet sein und die Rechtsposition aller Anleiheinhaber in gleicher Weise berühren. An die Rechtfertigung für den Entzug des Individualrechts sind besonders hohe Anforderungen zu stellen.

Der Kurator ist somit (nur) für die gemeinsame Rechtssphäre aller Inhaber von Teilschuldverschreibungen zuständig. Das liegt einerseits bei einer Änderung des Anleiheverhältnisses vor, bei der die Anleihebedingungen in gleicher Weise für jeden einzelnen Inhaber betroffen sind, andererseits auch bei der Geltendmachung und Durchsetzung der aus der Anleihe zustehenden Rechte.

Angelegenheiten, die zwar mit dem Anleiheverhältnis in Zusammenhang stehen, aber nicht unbedingt alle Anleiheinhaber in völlig gleicher Weise berühren, fallen nicht darunter. Berühren aber Ansprüche des Wertpapierinhabers nicht die anderen Inhaber, steht dem einzelnen Besitzer von Teilschuldverschreibungen die selbstständige Rechtsverfolgung der Angelegenheiten zu. Damit verbleiben individuelle Rechte beim Anleihegläubiger.

OGH 20. 10. 2015, 4 Ob 176/15h

Sachverhalt

Die Kl erwarb 2006 die von einer Aktiengesellschaft emittierten Anleihen. Der Bekl ist Vorstandsvorsitzender dieser Gesellschaft, über deren Vermögen 2010 das Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung eröffnet wurde. Das Insolvenzgericht bestellte nach § 1 TeilschuldverschreibungsG 1874 (TSchVG) einen gemeinsamen Kurator in allen Angelegenheiten, die die gemeinsamen Rechte der Besitzer der klagsgegenständlichen Teilschuldverschreibung betreffen, insb zum Zweck der Vornahme aller Vertretungshandlungen.

Die Kl begehrte als Schadenersatz die Rückzahlung des für die Anleihe investierten Betrags zuzüglich des entgangenen Gewinns einer Alternativanlage. Die Kl wirft dem Bekl Verletzung von Publizitätspflichten und Schutzgesetzen, insb Verstöße gegen § 255 AktG, §§ 48 ff BörseG, § 15 KMG und § 69 IO, vor und führt aus, dass sie ihre Ansprüche ausschließlich auf solche Umstände stütze, die aus der Tätigkeit des Bekl als Vorstand herrühren. Die Kl habe im Vertrauen auf eine richtige und vollständige Marktinformation durch den Bekl als Vorstand in die Anleihe investiert. Der Bekl hätte im Rahmen von Ad-hoc-Meldungen, Quartals- und Halbjahres- und Geschäftsberichten dafür sorgen müssen, dass die genannten Umstände publik werden. Wäre die Kl in Kenntnis der wahren Umstände gewesen, hätte sie vom Investment abgesehen. Der Bekl hafte im Außenverhältnis als Organmitglied nach allgemeinem Deliktsrecht, weil eine solche Haftung auch dann in Betracht komme, wenn das Organmitglied durch sein Handeln Normen zum Schutz der Gläubiger verletzt habe.

Die strittige Aktivlegitimation der Kl wurde vom OGH - anders als von den beiden Unterinstanzen - bejaht.

Entscheidung

Hohe Individualkomponente

Der OGH verneinte den vom Bekl auf das Vertretungsmonopol des Kurators gestützten Einwand der fehlenden Aktivlegitimation schon wegen der hohen Individualkomponente des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs, weil dieser vom konkret gefassten bzw hypothetischen Willensentschluss der Kl iZm ihrem Wissen von bestimmten Umständen abhängt. Für einen individuell zu beurteilenden Sachverhalt greift der dem TSchVG zugrundeliegende Bündelungsmechanismus aber nicht (Kalss, ÖBA 2005, 333), weil damit die Rechtsposition aller Anleiheinhaber nicht in völlig gleicher Weise berührt wird (Kalss, ÖBA 2005, 327).

Auch wenn andere Anleihegläubiger ähnliche Schadenersatzansprüche wie die Kl geltend machen, kann mangels Identität der tatsächlichen Grundlage nicht davon gesprochen werden, dass diese Gläubiger damit gleiche Rechte zur Realisierung gleicher Verpflichtungen verfolgen. Der auf bestimmte Umstände basierende Willensentschluss zur Anlageentscheidung, der vom Geschädigten zu beweisen ist (vgl zuletzt 9 Ob 26/14k, LN Rechtsnews 19404 vom 29. 4. 2015 = RdW 2015/387), kann nämlich je nach Anleger durchaus unterschiedlich beurteilt werden (ähnlich Kalss, ÖBA 2005, 327 für Haftung bei Anlegerfehlberatung). Dies schon deshalb, weil nicht zwingend davon auszugehen ist, dass für alle Anleihegläubiger die Kenntnis über die von der Kl dargelegten (angeblich vom Bekl verschwiegenen bzw falsch dargestellten) Umstände auch einen konkreten Einfluss auf den jeweiligen Willensentschluss haben müssen. Hinzu kommt, dass der Entschluss zum Erwerb auch vom konkreten Zeitpunkt entscheidend geprägt ist, der durchaus unterschiedlich ausfallen kann.

Auch im Umfang des von der Kl begehrten entgangenen Gewinns einer hypothetischen Alternativanlage erachtete der OGH die Individualkomponente als besonders prägend, weil sich die Frage der Alternativveranlagung bei jedem Anleger verschieden stellt.

Ein Vertretungsmonopol des Kurators könnte in der hier zu prüfenden Konstellation damit (iSd ratio legis des TSchVG) - wie der OGH ausführte - weder auf die verfahrensökonomische Minderung der Einzelverfahren noch darauf gestützt werden, dass unterschiedliche Prozessergebnisse vermieden werden, weil auch bei einer gebündelten Geltendmachung aller Schadenersatzansprüche jeweils individuell auf die einzelnen Erwerbe und hypothetischen Alternativanlagen der Anleihegläubiger abgestellt werden müsste und das Verfahren dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen führen könnte.

Verstoß gegen Schutz- bzw Strafgesetze

Hinzu kommt, dass der Anspruch der Kl nicht nur im Anleiheverhältnis wurzelt, sondern sich auch auf den hinzutretenden Verstoß des Bekl gegen Schutz- bzw Strafgesetze als weiteren Verpflichtungsgrund stützen muss, um eine deliktische Außenhaftung des Bekl begründen zu können (RIS-Justiz RS0078139). Demgegenüber ist die Anwendung des § 9 Abs 1 TSchVG davon abhängig, dass der Anspruch ausschließlich im Anleiheverhältnis begründet ist (vgl 1 Ob 754/29 [„sich diese Rechte aus dem Papier selbst ableiten ... auf die Teilschuldverschreibung selbst gründen“]).

Ergebnis

Aus diesen Erwägungen kam der OGH zum Ergebnis, dass hier der Anwendungsbereich des § 9 TSchVG nicht vorliegt, sodass der Einwand der fehlenden Aktivlegitimation der Kl nicht auf das Vertretungsmonopol des Kurators gestützt werden kann.

Verfassungs- und Unionsrechtswidrigkeit

Mangels Anwendung des § 9 TSchVG musste der OGH auf die im Rechtsmittel aufgeworfene allfällige Verfassungs- und Unionsrechtswidrigkeit dieser Bestimmung (ausführlich Reindl, JBl 2012, 417 ff) ebensowenig eingehen wie auf den Umstand, ob eine Anwendung des § 9 TSchVG hier auch deshalb scheitert, weil sich die Klage gegen das Organmitglied und nicht gegen die aus der Anleihe verpflichtete Gesellschaft richtet (idS wohl 1 Ob 325/37; aA Kalss, Anlegerinteressen 417).

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 20561 vom 11.11.2015