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Privatstiftung - Anwendung der „Business Judgement Rule“

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

PSG § 27

Unter der im anglo-amerikanischen Rechtsbereich herausgebildeten Business Judgement Rule wird - vereinfacht ausgedrückt - der Grundsatz verstanden, dass ein Manager, der das Wagnis einer unternehmerischen Entscheidung eingeht, nicht dafür haften soll, wenn sich seine Entscheidung zwar als Irrtum herausstellt und Schaden daraus resultiert, er aber bestrebt war, auf einer informierten Grundlage und frei von Interessenkonflikten das Beste für das Unternehmen zu bewirken.

Der Anwendungsbereich der Business Judgement Rule ist nur dann eröffnet, wenn es sich um eine unternehmerische Entscheidung des Vertretungsorgans handelt. Bei der Privatstiftung kann die Business Judgement Rule sowohl bei der Frage der Haftung der Vorstandsmitglieder als auch bei der Abberufung von Vorstandmitgliedern herangezogen werden. Auch ein Stiftungsvorstand hat unternehmerische Entscheidungen zu treffen; darunter kann auch eine bewusste Nichtentscheidung (ein Unterlassen) in Bezug auf unternehmerische Belange subsumiert werden. Dieses Tatbestandselement ist iZm der Tätigkeit des Stiftungsvorstands weit auszulegen und nicht auf eine unternehmerische Tätigkeit im „technischen Sinn“ zu beschränken.

Dem Stiftungsvorstand kommt im Rahmen seiner Geschäftsführungs- und Vertretungsfunktion bei Ausübung seiner (unternehmerischen) Entscheidungen ein Ermessensspielraum zu, wenn er auf Grundlage ausreichender Information das seiner Ansicht nach Beste für die Privatstiftung erreichen will und sich nicht von sachfremden Interessen leiten lässt. Er schuldet deshalb nicht einen bestimmten Erfolg, sondern nur eine branchen-, größen- und situationsadäquate Bemühung und hat die Sorgfalt eines gewissenhaften Geschäftsleiters einzuhalten. Die Grenze jeglichen Ermessens wird durch Gesetze und Verordnungen, aber auch durch die Stiftungsdokumente gezogen.

OGH 23. 2. 2016, 6 Ob 160/15w

Sachverhalt

Hinweis:

Die vorliegende Privatstiftung war bereit Gegenstand der Entscheidungen 6 Ob 101/11p, LN Rechtsnews 12784 vom 28. 3. 2012 = RdW 2012/284 und 6 Ob 41/14v, LN Rechtsnews 18376 vom 7. 11. 2014 = RdW 2014/708.

Entscheidung

Unternehmerische Entscheidungen und Grenzen

Zusammengefasst hat OGH zudem ua ausgesprochen:

-Unternehmerische Entscheidungen sind infolge ihrer Zukunftsbezogenheit durch Prognosen und „nicht justiziable“ Einschätzungen gekennzeichnet; unternehmerischen Entscheidungen wohnt daher ein gewisses Risiko inne.
-Kein haftungsfreier unternehmerischer Ermessensspielraum besteht, wenn die Pflichtverletzung bereits aus einer Kompetenzüberschreitung abzuleiten ist; ebenso wenig besteht ein solcher bei Vorliegen eines Insichgeschäfts.
-Liegt eine unternehmerische Entscheidung vor, müssen folgende vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:
  • Der Geschäftsleiter darf sich nicht von sachfremden Interessen leiten lassen.
  • Die Entscheidung muss auf Grundlage angemessener Information getroffen werden.
  • Die Entscheidung muss ex ante betrachtet offenkundig dem Wohl der juristischen Person dienen.
  • Der Geschäftsleiter muss (vernünftigerweise) annehmen dürfen, dass er zum Wohle der juristischen Person handelt. Dieser Punkt wird auch dahingehend beschrieben, dass der Geschäftsleiter hinsichtlich der übrigen Kriterien gutgläubig sein muss.
-Sind die Voraussetzungen der Business Judgement Rule kumulativ erfüllt, handelt der Stiftungsvorstand also innerhalb der von der Business Judgement Rule gezogenen Grenzen, so befindet er sich im „Safe Harbour“ und ist haftungsfrei; in diesem Fall handelt er jedenfalls nicht rechtswidrig.
Andernfalls trifft ihn zwar nicht automatisch eine Haftung, eine solche kann aber eintreten, wenn das Verhalten im Einzelnen als sorgfaltswidrig einzustufen ist und die übrigen Haftungsvoraussetzungen (insb Schaden und Kausalität) gegeben sind.
-Beispielsweise ist die Veranlagung des Stiftungsvermögens Gegenstand der Business Judgement Rule. Die Verwaltung des Stiftungsvermögens, wozu auch strategische Entscheidungen iZm dieser zählen, wird überhaupt als „Kernanwendungsbereich“ der stiftungsrechtlichen Business Judgement Rule bezeichnet.
-Auch der Stiftungsvorstand muss jedenfalls innerhalb der Gesetze und Verordnungen handeln. Die Verletzung zwingender rechtlicher Vorgaben, etwa im Stiftungsrecht eine Missachtung der Ausschüttungssperre gem § 17 Abs 2 Satz 2 PSG, begründet eine Pflichtwidrigkeit.
Die Grenze jeglichen Ermessens wird aber auch durch die Stiftungsdokumente gezogen. Ein Stiftungsvorstand, der sich beispielsweise bei der Vornahme von Ausschüttungen über den Stiftungszweck im Allgemeinen oder über Regeln über die Vermögensveranlagung aufgrund der Stiftungszusatzurkunde hinwegsetzt, kann sich hierfür niemals auf die Business Judgement Rule berufen. Weicht der Stiftungsvorstand von den Vorgaben in der Stiftungserklärung ab, trifft ihn - bei Vorliegen der übrigen Schadenersatzvoraussetzungen - eine Haftung. Die Verantwortlichkeit besteht bei Missachtung der Stiftungserklärung auch dann, wenn der Vorstand in der Absicht gehandelt hat, das Wohl der Stiftung zu fördern.
Desgleich sind eine allfällige Geschäftsordnung und davon abgeleitete Richtlinien zu berücksichtigen.
-Bei Ausschüttungentscheidungen handelt es sich zwar nicht um eine unternehmerische Entscheidung „im eigentlichen Sinn“, sehr wohl aber um eine Ermessensentscheidung, für die derselbe haftungsfreie Beurteilungsspielraum bestehen muss.
Die Entscheidung über allfällige Ausschüttungen an die Begünstigten ist eine Folge einer unternehmerischen Entscheidung und daher - unabhängig von der unmittelbaren Unterstellung von Ausschüttungsentscheidungen unter die Business Judgement Rule - von dieser erfasst, weil sie untrennbar mit einer unternehmerischen Entscheidung verbunden ist.

Konkrete Handlungen des Stiftungsvorstands

Im vorliegenden Fall ging es konkret um folgende Entscheidungen des Stiftungsvorstands und der OGH verneinte im Ergebnis - wie schon die Vorinstanzen - die von den Antragstellern behaupteten groben Pflichtverletzungen nach § 27 Abs 2 Z 1 PSG:

Ausschüttung nur bei Verbleib der Vorstandsmitglieder im Amt

Dass der Vergleich mit den Begünstigten über eine Ausschüttung von 1,1 Mio € an den Verbleib der Vorstandsmitglieder im Amt geknüpft wurde, bedeutet nach Ansicht des OGH nicht zwingend, dass sich die Vorstandsmitglieder von sachfremden Interessen leiten ließen:

Streitigkeiten mit den Begünstigten beizulegen, liegt - wenn Ermessensfragen betroffen sind - durchaus auch oder gerade im Interesse der Stiftung. Dies gilt umso mehr, als iZm der vorliegenden Stiftung bekanntermaßen eine Vielzahl ähnlicher Rechtsstreite anhängig waren und sind, die aus der unterschiedlichen Einschätzung der Gewichtung der Stiftungszwecke einerseits durch die Begünstigten und andererseits durch den vom Stifter berufenen Vorstand herrühren.

Da die Vorstandsmitglieder zudem im Rahmen des ihnen vorgegebenen Ermessens handelten und ihre Entscheidung auf dem Vorschlag eines unabhängigen Experten beruhte, kann von einer groben Pflichtverletzung iSd § 27 Abs 2 Z 1 PSG nicht ausgegangen werden, selbst wenn man ein Eigeninteresse der Vorstandsmitglieder am Verbleib im Amt bejahen und dem Stiftungsvorstand daher die Berufung auf den „Safe Harbour“ der Business Judgement Rule verweigern sollte.

Thesaurierung der Gewinne

Thesaurierung der Gewinne in den Gesellschaften (die Privatstiftung ist Alleingesellschafterin einer GmbH, die wiederum Alleingesellschafterin einer anderen GmbH ist):

Keine Überschreitung des durch die Business Judgement Rule eröffneten Ermessens.

Auskunftsanspruch der Begünstigten

Die Business Judgement Rule ist auf die Pflicht zur Auskunftserteilung gem § 30 PSG nicht anwendbar. Die Erteilung von Auskünften stellt keine unternehmerische Entscheidung in diesem Sinne dar, weil es schon an einem Ermessen fehlt. Die Einsicht in die nach § 30 Abs 1 PSG genannten Unterlagen ist - vorbehaltlich eines allfälligen rechtsmissbräuchlichen Begehrens - zu gewähren. Gleiches gilt für die Auskunftserteilung über die Erfüllung des Stiftungszwecks. Dass eine Beurteilung, ob ein Einsichtsrecht besteht bzw auf welche Unterlagen sich dieses bezieht, im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten kann, vermag an der Unanwendbarkeit der Business Judgement Rule nichts zu ändern. Es liegt kein für eine unternehmerische Entscheidung gefordertes Risiko bei der Entscheidungsfindung vor.

Eine zu Unrecht nicht gewährte Einsicht und Auskunft kann daher - entsprechende Gravität vorausgesetzt - eine Abberufung rechtfertigen. Jedoch kann im vorliegenden Fall von einer groben Pflichtverletzung iSd § 27 Abs 2 Z 1 PSG keine Rede sein. Es kann ex ante betrachtet jedenfalls von keiner schuldhaften Pflichtverletzung gesprochen werden, weil eine gut vertretbar und begründete Entscheidung vorlag.

Im Übrigen wäre den Begünstigten die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung dieser Rechtsansicht durchaus offen gestanden (§ 30 Abs 2 PSG).

Liegenschaftsverkauf

Zweifelsfrei gehören Entscheidungen über Veräußerungen von Stiftungsvermögen zu den unternehmerischen Entscheidungen, womit der Anwendungsbereich der Business Judgement Rule eröffnet ist. Bei unternehmerischen Entscheidungen ist aber lediglich zu überprüfen, ob das vorhandene Ermessen überschritten oder missbraucht wurde. Da die Vorstandsmitglieder im Einklang mit den Vorgaben in der Stiftungserklärung handelten, können weder eine Überschreitung noch ein Missbrauch des Ermessensspielraums erkannt werden.

Beabsichtigte Änderung der Stiftungsurkunde

Der Vorwurf, die Vorstandsmitglieder hätten eine Abänderung der Stiftungserklärung dahin angestrebt, dass den Begünstigten die ihnen zustehende Kompetenz der Bestellung sowie Abberufung des Stiftungsvorstands entzogen werde, war bereits Gegenstand der E 6 Ob 101/11p (LN Rechtsnews 12784 vom 28. 3. 2012 = RdW 2012/284).

Der letztlich gescheiterte Versuch der Vorstandsmitglieder muss nicht zwingend als grobe Pflichtverletzung angesehen werden. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass die Änderung einer Stiftungserklärung durch den Stiftungsvorstand zum einen ohnehin der gerichtlichen Kontrolle unterliegt und zum anderen die gerichtliche Bewilligung gestützt auf umfassende rechtliche Überlegungen beantragt wurde.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21473 vom 18.04.2016