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Schiedsspruch - keine Ordre-public-Widrigkeit

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

AEUV: Art 101, Art 102

ZPO § 611

Nur dann, wenn es mit dem Ergebnis des Schiedsspruchs zu einer unerträglichen Verletzung tragender Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) kommt, berechtigt dies zur Anfechtung des Schiedsspruchs nach § 611 Abs 2 Z 8 ZPO. Maßgebend ist dabei das Ergebnis des Schiedsspruchs und nicht seine Begründung.

OGH 18. 2. 2015, 2 Ob 22/14w

Ausgangsfall

Gegenstand des vorliegenden Vertrags war die Lieferung von Erdgas durch den Kl (ein russischer Exporteur von Erdgas) an den Bekl, der das Erdgas in die Tschechische Republik importiert und andere Abnehmer beliefert. Im Vertrag war sowohl eine Mindestabnahmeverpflichtung vereinbart als auch - in einem integrierenden Bestandteil (Addendum) - eine Mengenreduktionsklausel, wonach der Importeur eine geringere Menge abzunehmen hat, wenn der Exporteur während der Dauer des Vertrags „neue zusätzliche Gaslieferungen in die Tschechische Republik ... an direkte Kunden ... oder direkte Kunden von direkten Kunden“ des Importeurs bewirkt. Für alle Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis waren ein Schiedsverfahren entsprechend der Schiedsgerichtsordnung der Internationalen Handelskammer (ICC) mit dem Schiedsort Wien sowie die Lösung der Streitfälle nach österreichischem materiellem Recht vereinbart.

Zwischen den Parteien entstand Streit darüber, ob die Mengenreduktionsklausel - wegen Abschottung eines nationalen Marktes - gegen Art 101 AEUV verstößt und daher nichtig ist. Die Zahlungsansprüche des Exporteurs wegen einer Unterschreitung der Mindestabnahmeverpflichtung wurden jedenfalls vom Schiedsgericht abgewiesen.

Das ErstG wies das Klagebegehren ab, weil die Rechtsanwendung durch das Schiedsgericht jedenfalls vertretbar sei. Ein strengerer Prüfungsmaßstab sei zwecks Vermeidung einer révision au fond bei der Nachprüfung eines Schiedsspruchs nicht anzulegen. Das BerufungsG bestätigte diese Entscheidung und der OGH wies die außerordentliche Revision dagegen zurück.

Entscheidung

Auch der OGH hält die Auffassung für vertretbar, dass beide Klauseln in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, weil beide Vertragsbestimmungen einander bedingen und nur aus ihrem Kontext der Umfang der Abnahmeverpflichtung ableitbar ist. Eine Ordre-public-Widrigkeit des Schiedsspruchs (Abweisung des Zahlungsbegehrens unabhängig von der Rechtsbeständigkeit der Mengenreduktionsklausel) sei schon wegen der Untrennbarkeit von Abnahmeverpflichtung und Mengenreduktionsklausel zu verneinen. Den Fragen, ob der Schiedsspruch gegen EU-Kartellrecht verstößt und welcher Prüfungsmaßstab bei einer potentiellen Verletzung von EU-Kartellrecht durch einen Schiedsspruch zur Anwendung gelangt, fehlt es daher nach Ansicht des OGH an der für die Zulässigkeit der Revision erforderlichen Präjudizialität der zu klärenden Rechtsfrage.

Zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens sah sich der OGH schon aus diesem Grund nicht veranlasst, und auch nicht durch die Fragen der Kl betr „Ausdehnung der Nichtigkeitssanktion“ des Art 101 Abs 2 AEUV auf eine zulässige Vertragsbestimmung. Für den OGH war auch nicht nachvollziehbar, inwieweit die Kl durch die Rechtsansicht des BerufungsG an der Durchsetzung ihrer Rechte nach EU-Kartellrecht gehindert sein sollte.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19725 vom 23.06.2015