News

Tierhalterhaftung für durchgehendes Pferd

Bearbeiter: Wolfgang Kolmasch

ABGB: §§ 1304, 1311, 1320

StVO: § 52 lit a Z 6c

Selbst wenn sich ein Pferd bisher gutmütig und unproblematisch verhalten hat, sind strenge Anforderungen an die Beaufsichtigungs- und Verwahrungspflichten des Tierhalters zu stellen, weil Pferde aufgrund ihrer Masse und ihres Charakters als unberechenbare Fluchttiere generell gefährlich erscheinen.

Der Tierhalter handelt objektiv sorgfaltswidrig, wenn er sein Pferd auf einer nicht eingezäunten Wiese in der Nähe eines Güterwegs grasen lässt. Dass er es dabei an einem Führstrick hält, ändert nichts, weil ein durchgehendes Pferd damit nicht zurückgehalten werden kann.

Ein eingeschränktes Fahrverbot (hier: Fahrverbot für alle Kfz mit Ausnahme von Anrainern) soll vor Gefahren schützen, die mit der Steigerung des Verkehrs verbunden sind. Ein Unfall, der sich bei Beteiligung eines berechtigten Verkehrsteilnehmers in gleicher Weise ereignen hätte können, steht damit nicht in Rechtswidrigkeitszusammenhang.

Ein Fahrzeug kollidierte auf einem Güterweg mit einem durchgegangenen Pferd. Mangels Rechtswidrigkeitszusammenhangs kann dem Lenker gegenüber dem Tierhalter nicht als Mitverschulden angelastet werden, dass er den Weg aufgrund eines eingeschränkten Fahrverbots nicht befahren hätte dürfen.

OGH 25. 5. 2016, 2 Ob 70/16g

Sachverhalt

Bei dem Pferd der Beklagten handelt es sich um eine neunjährige, gutmütige Haflingerstute, die an Verkehrslärm gewöhnt ist und sich bisher „selbst bei Trubel“ unproblematisch verhalten hat. Nach einem Ausritt ließ die Beklagte das Pferd auf einer nicht eingezäunten Wiese neben dem Reitstall grasen. Dabei hielt sie es an einem Führstrick. Aus unbekanntem Grund erschrak das Tier, riss sich los und lief auf der vorhersehbaren Fluchtroute in Richtung eines 50 bis 60 m entfernten Güterwegs. Dort kollidierte das Pferd mit dem klagenden Motorrollerfahrer, der es aufgrund einer Buschreihe erst unmittelbar vor dem Unfall wahrnehmen und den Zusammenstoß nicht vermeiden konnte.

Im vorliegenden Verfahren begehrte der Kläger von der Beklagten unter Berufung auf die Tierhalterhaftung nach § 1320 ABGB Schadenersatz.

Entscheidung

Abweichend vom Erstgericht, das dem Klagebegehren stattgegeben hatte, wies das Berufungsgericht die Klage ab. Die objektiven Sorgfaltspflichten des Tierhalters dürften nicht überspannt werden. Die bei einem gutmütigen Pferd angemessene Sorgfalt bei der Beaufsichtigung habe die Beklagte eingehalten. Der OGH stellte das stattgebende Urteil des Erstgerichts wieder her. Seiner Ansicht nach hätte die Beklagte das Pferd nur in einem eingezäunten Gelände grasen lassen dürfen. Das Führen an einem Strick hielt er nicht für ausreichend, weil es nach den Feststellungen nicht möglich ist, ein durchgehendes Pferd am Führstrick oder auch mit dem Zaumzeug zurückzuhalten. Logische Schlussfolgerung wäre, dass auch Reiten außerhalb eingezäunter Bereiche keine ausreichende Beaufsichtigung darstellt.

Anmerkung

Beachte die Judikaturübersicht zum Schutzzweck von Straßenverkehrsvorschriften in Zak 2010/255, 143.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21878 vom 28.06.2016