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Unfallversicherung: Unzulässige Bedingungen ua betr Risikoerhöhung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

KSchG: § 6, § 28, § 29

VersVG: § 24, § 27, § 34a, § 41a

1. Bei der Ermittlung der Nachteiligkeit einer Vereinbarung sind die davon ausgehenden Vor- und Nachteile zu saldieren; eine Abweichung zulasten des Versicherungsnehmers kann daher durch einen zugleich gewährten Vorteil ausgeglichen werden. Ob sich die Vor- und Nachteile zumindest die Waage halten, ist objektiv ex ante zu beurteilen. Bei Vereinbarungen in AGB ist dabei ein überindividuell-generalisierender Maßstab anzulegen. Zweifel bei der Bewertung der Vor- und Nachteile gehen zu Lasten des Versicherers. Diese für das deutsche Versicherungsrecht in Rsp und Lehre vertretene Meinung ist aufgrund der Vergleichbarkeit der Rechtslage auf das österreichische Versicherungsvertragsrecht zu übertragen.

2. Während ein Versicherungsnehmer im Fall einer Gefahrenverringerung pro futuro eine Prämienreduktion beanspruchen kann (vgl § 41a VersVG), bleibt im Fall einer Gefahrenerhöhung der Versicherungsvertrag grundsätzlich unverändert aufrecht. Diesfalls liegt es nämlich am Versicherer, sich mit einer erhöhten Gefahrenlage abzufinden oder den Versicherungsvertrag zu kündigen (vgl §§ 24, 27 Abs 1 VersVG - einseitig [zugunsten des Versicherungsnehmers] zwingende Bestimmungen gem § 34a VersVG) und allenfalls einen neuen Vertrag zu geänderten Bedingungen anzubieten.

Ist wie hier in den Versicherungsbedingungen eine einheitliche Regelung bei Erhöhung und Verringerung der Gefahr vorgesehen (entsprechende Verringerung oder Erhöhung der Versicherungssumme oder der Prämie), erreicht der Versicherer damit bei einer Gefahrenerhöhung eine gesetzlich nicht vorgesehene Verringerung der Versicherungssumme bzw alternativ eine Prämienerhöhung. Eine solche Regelung begünstigt primär den Versicherer, ohne dass hiemit eine Beseitigung einer mit der Gesetzeslage einhergehenden „Undurchschaubarkeit“ für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer verbunden wäre.

OGH 18. 2. 2015, 7 Ob 53/14s

Entscheidung

Unzulässige Klauseln

Im vorliegenden Verbandsprozess wurden folgende Klauseln als unzulässig beurteilt:

-Klauseln 1 und 2 (Art 6.2. erster Satz und Art 6.2.1 AUVB 2010):
„6. Was müssen Sie bei Änderungen der Berufstätigkeit oder Beschäftigung beachten?
6.1 Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung
Eine Änderung der Berufstätigkeit oder Beschäftigung der versicherten Person (Pflichtwehrdienst, Zivildienst oder militärische Reserveübungen fallen nicht darunter) müssen Sie uns unverzüglich mitteilen, weil die Höhe der Versicherungssummen bzw der Prämien maßgeblich von diesen Umständen abhängen können.
6.2. Errechnen sich bei gleichbleibender Prämie nach dem zum Zeitpunkt der Änderung gültigen Tarif niedrigere Versicherungssummen, gelten diese nach Ablauf von zwei Monaten ab der Änderung. Errechnen sich dagegen höhere Versicherungssummen, gelten diese nach Ablauf eines Monats ab der Änderung.

6.2.1 Auf Ihren Wunsch führen wir den Vertrag auch mit den bisherigen Versicherungssummen bei erhöhter oder gesenkter Prämie weiter, sobald uns Ihre Erklärung zugeht.“
Der Revisionswerberin ist diesbezüglich nicht der Nachweis gelungen, dass ihr Konzept zumindest gleich günstig ist wie die einseitig zwingenden gesetzlichen Regelungen bei Eintritt einer Gefahrenänderung.
-Klausel 3 (Art 7.5 zweiter Absatz AUVB 2010):
„Der Leistungsfall
7. Was ist nach einem Unfall zu beachten (Obliegenheiten)?
Ohne Ihre Mitwirkung und die der versicherten Person können wir unsere Leistung nicht erbringen; es gelten daher die im Folgenden genannten Obliegenheiten gem § 6 VersVG als vereinbart.

7.5 …
Uns ist das Recht zu verschaffen, gegebenenfalls eine Obduktion durch einen von uns beauftragten Arzt vornehmen zu lassen.
…“
Mit der inhaltlich vergleichbaren Klausel Art 21.2.3 AUVB 2008 hat sich der erkennende Fachsenat brereits in seiner Entscheidung OGH 10. 9. 2014, 7 Ob 113/14i, LN Rechtsnews 18269 vom 23. 10. 2014 = RdW 2015/38 (RIS-Justiz RS0129733) befasst. Auch die hier zu beurteilende Obduktionsverschaffungspflicht ist intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG; ob diese Klausel auch gegen § 879 Abs 3 ABGB verstößt, musste daher nicht beurteilt werden.
-Klausel 4 (Art 11.6.4 AUVB 2010):
Die Versicherungsprämie
11. Was müssen Sie bei der Prämienzahlung beachten?

11.6.2 Bei Vertragsschluss fallen dem Versicherer einmalige Kosten, wie zB Vertriebsunterstützung, EDV Aufwand, Verarbeitungskosten, Versandkosten, etc (kurz: Verwaltungskosten) an. Diese Verwaltungskosten werden unabhängig von der vertraglich vereinbarten Laufzeit des Versicherungsvertrages in die Prämien unter der Annahme eines tatsächlichen Bestehens des Versicherungsvertrages von 10 Jahren aufgenommen. Sofern der Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag jedoch vor Ablauf von 10 Jahren beendet, ist vom Versicherungsnehmer der nicht verdiente Anteil der Verwaltungskosten nachzuzahlen.
Diese Regelung ist nicht auf Verträge anzuwenden, welche mit einem Prämienzuschlag für eine Vertragslaufzeit kürzer als 10 Jahre versehen sind.
11.6.3 Die Nachzahlung berechnet sich nach der tatsächlichen Vertragsdauer und beträgt nach
- drei Jahren: 70 %
- vier Jahren: 60 %
- fünf Jahren: 50 %
- sechs Jahren: 40 %
- sieben Jahren: 30 %
- acht Jahren: 20 %
- neun Jahren: 10 %
der ersten Gesamtjahresprämie.
11.6.4 Diese Regelung gilt auch für bei Vertragsbeginn übernommene Kosten und Prämien, zB Gutachtenskosten, Dauerrabatte, offene Prämien, etc. Anstelle der ersten Jahresprämie (Pkt 11.6.2) treten die übernommenen Gesamtkosten bzw Prämien.“
Alle drei Instanzen stimmten darin überein, dass sich der beanstandete Text nicht in mehrere getrennt voneinander zu beurteilende Passagen aufteilen lässt, sondern eine untrennbare Einheit darstellte. Da die Bekl ausdrücklich die Abgabe einer die gesamte Klausel betreffenden strafbewehrten Unterlassungserklärung ablehnte, war das Klagebegehren hinsichtlich der Klausel 4 schon aufgrund - unstrittiger - Intransparenz des zweiten Satzes (§ 6 Abs 3 KSchG) berechtigt.
Damit erübrigte sich eine nähere Beschäftigung mit der Frage, ob der erste Satz der Klausel gegen § 879 Abs 3 ABGB bzw § 41b VersVG verstößt.

Urteilsveröffentlichung

Die vom BerufungsG angeordnete Urteilsveröffentlichung in einer bundesweit erscheinenden Tageszeitung mit der notorisch größten Reichweite wurde vom OGH nicht beanstandet, weil die Bekl mit mehr als 250.000 betreuten Versicherungsverträgen keinesfalls zu den ganz kleinen Marktteilnehmern in Österreich zählt. Die Tageszeitung, in der nach Ansicht der Bekl ersatzweise die Urteilsveröffentlichung erfolgen soll, hat nach den übereinstimmenden Ausführungen der Parteien eine deutlich geringere Auflage, sodass es zumindest fraglich ist, ob damit die Veröffentlichungszwecke erreicht werden können, so der OGH. Die etwas höhere Kostenbelastung bei der angeordneten Urteilsveröffentlichung - genaue Zahlen werden von der Bekl im gesamten Verfahren nicht genannt - ändere daran nichts.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19394 vom 28.04.2015