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Unfallversicherung: Wespenallergie - Versicherungsschutz

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

ABGB: §§ 914 f

AUVB 2005: Art 6, Art 18

1. Art 6.1. der vorliegenden AUVB 2005 bezeichnet als Unfall ein vom Willen des Versicherten unabhängiges Ereignis, das plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf seinen Körper einwirkt und eine körperliche Schädigung oder den Tod nach sich zieht. Erleidet der Versicherungsnehmer nach zahlreichen Erdwespenstichen aufgrund seiner Wespenallergie einen Kreislaufstillstand, nach dem er sich (bis zu seinem Tod) in einem wachkomaartigen Zustand befindet, liegt ein Unfall iSd Art 6.1. AUVB 2005 vor. Der beim Versicherungsnehmer eingetretene Schaden beruht auf dem Zusammenwirken der schweren Allergie mit der Injektion von Wespengift - einer mechanischen und auch chemischen Einwirkung - und ist daher nicht allein auf die Wespengiftunverträglichkeit zurückzuführen. Damit liegt ein Unfall iSd Art 6.1. AUVB 2005 vor.

2. Art 18.3. AUVB 2005 enthält eine Regelung über die Leistungskürzung bei mitwirkenden Ursachen. Haben Krankheiten oder Gebrechen, die schon vor dem Unfall bestanden, bei der durch ein Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt, ist im Falle der Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades, ansonsten die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens zu vermindern; beides jedoch nur, wenn dieser Anteil mindestens 25 % beträgt.

Die Hypersensibilisierung gegen Insektengift - wie hier die Allergie gegen Wespengift - ist unter den Begriff „Gebrechen“ zu subsumieren. Eine solche (schwere) Allergie führt nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers gem Art 18.3. AUVB 2005 zu einer Minderung der Entschädigung, wenn sie gemeinsam mit dem Unfallereignis die konkrete Unfallfolge erst eintreten ließ oder auch das Ausmaß der Unfallfolge beeinflusste.

OGH 2. 9. 2015, 7 Ob 103/15w

Entscheidung

Wespenallergie - Abgehen von der bisherigen Rsp

Nach der Entscheidung 7 Ob 20/94 erfolgt die Erkrankung bei der Übertragung einer Krankheit durch Insekten-/Zeckenbiss nicht durch eine mechanische Einwirkung, nämlich den unter Umständen kaum merkbaren Biss, sondern durch das damit unmittelbar bewirkte Eindringen von Krankheitserregern in den Körper.

In 7 Ob 21/06y (= LN Rechtsnews 1344 vom 7. 7. 2006 = RdW 2007/405) verneinte der OGH - dieser Entscheidung folgend - die Leistungspflicht des Unfallversicherers gegenüber einem Versicherten, der nach einem Wespenstich aufgrund einer Allergie einen anaphylaktischen Schock (allergische Reaktion) und bleibende Schäden erlitt. Die körperliche Schädigung sei nicht durch eine mechanische Einwirkung, nämlich den unter Umständen kaum merkbaren Stich, entstanden und auch nicht durch das von außen in den Körper injizierte Wespengift, das an und für sich idR keine schädigende Wirkung auf den Körper habe. Der Schockzustand sei ausschließlich durch die spezifische körperliche Konstitution des Versicherungsnehmers eingetreten. Da der Wespenstich weder als ein von außen einwirkendes mechanisches noch ein chemisches Ereignis aufzufassen sei, das zu einer körperlichen Schädigung führe, könne nicht von einem Unfall gesprochen werden.

Im Hinblick auf Argumente in der Lit wird diese Rsp vom erkennenden Fachsenat explizit nicht aufrecht erhalten:

Bisse - auch Bisse oder Stiche von Insekten -, Tritte und Kratzer von Tieren sind Unfallereignisse von außen (Grimm, Unfallversicherung5 AUB 2010 Z 1 Rn 29), so der OGH nun. Mangels Einschränkung auf bloß geringfügige Verletzungen fallen nach seiner Ansicht auch solche Ereignisse grundsätzlich unter den Unfallbegriff (7 Ob 130/09g: kleine Risswunde durch Anstoßen an einen Küchenkasten, LN Rechtsnews 8533 vom 25. 1. 2010). Notwendig sei, dass eine physische Betroffenheit irgendwann im Geschehensablauf eintritt. Daher seien auch Vorgänge nicht ausgeschlossen, die unter Mitwirkung körperinterner Vorgänge, beispielsweise einer allergischen Reaktion, zu einer Gesundheitsschädigung führen (Rixecker in Römer/Landheid, VVG4 § 178 Rn 5).

Bei einem Wespenstich ist die körperliche Schädigung durch die mechanische Einwirkung eingetreten, weil das Wespengift (chemisches Ereignis) ansonsten nicht hätte injiziert werden können. Der Stich (oder auch ein Biss) setzt eine nach der conditio sine qua non-Theorie äquivalente Kausalkette in Gang, die auch adäquat ist, so der OGH. Die Folgen würden zwar nicht dem Regelfall entsprechen, dennoch seien sie nicht gerade denkunmöglich und liegen im Bereich allgemeiner Lebenserfahrung.

Der beim Versicherungsnehmer eingetretene Schaden beruhte auf dem Zusammenwirken der schweren Allergie mit der Injektion von Wespengift - einer mechanischen und auch chemischen Einwirkung - und ist daher nicht allein auf die Wespengiftunverträglichkeit zurückzuführen. Damit liegt nach nunmehrigen Auffassung des OGH ein Unfall iSd Art 6.1. AUVB 2005 vor.

Leistungskürzung nach Art 18.3. AUVB 2005

Zu Art 18.3. AUVB 2005 hält der OGH ua fest, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer diese Regelung so versteht, dass unfallfremde Krankheiten oder Gebrechen grundsätzlich zu seinen Lasten gehen und zu einer Kürzung des Anspruchs oder einem Abzug von der Gesamtinvalidität führen. Abgestellt werde nach Art 18.3. AUVB 2005 allein auf die Mitwirkung der Krankheiten oder Gebrechen auf die Unfallfolgen, nicht darauf, ob beim Unfallereignis selbst Vorerkrankungen mitgewirkt haben.

Quantifizierung der Leistungskürzung

Hinsichtlich der Quantifizierung der Leistungskürzung bei der Mitwirkung vorhandener Krankheiten und Gebrechen stellt der OGH die bisher vertretenen Ansichten dar und kommt zu folgendem Ergebnis:

„Aus Art 18.3. AUVB 2005 ergibt sich, dass bei der Quantifizierung des Mitwirkungsanteils vom konkreten Versicherungsnehmer und seiner individuellen Körpergestaltung auszugehen ist (so auch zur Ermittlung des Invaliditätsgrades in der Unfallversicherung 7 Ob 47/13g = RIS-Justiz RS0128840 [= LN Rechtsnews 15347 vom 21. 6. 2013]). Zu vergleichen ist die versicherte Person, wie sie ist (also mit vorhandenen Gebrechen und Krankheiten) und wie sie auf das Unfallereignis reagiert hat, mit ihrem Zustand ohne das konkrete Gebrechen oder die konkrete Krankheit und wie sie auf den Unfall dann reagiert hätte. Diese Beurteilung erfolgt rein nach medizinischen Gesichtspunkten. Die Frage des Anteils eines Gebrechens oder einer Krankheit an den Unfallfolgen ist eine - in aller Regel nur mit Hilfe eines ärztlichen Gutachtens zu lösende - Tatfrage (7 Ob 258/04y = RIS-Justiz RS0119522).“

Für den vorliegenden Fall ergibt sich aus den Feststellungen, dass die Unfallfolgen ausschließlich auf die schwere Allergie gegen Wespengift zurückzuführen sind. Der (umschriebene) Mitwirkungsanteil der vorhandenen Unverträglichkeit auf Wespengift an den Unfallfolgen beträgt 100 %, weil der anaphylaktische Schock erst nach einem Erststich auftreten kann und der Verstorbene vor dem Unfall hoch allergisch war. Aufgrund dieses eindeutig feststehenden Ausmaßes der Mitwirkung des Gebrechens an den Unfallfolgen stehen den Kl (Anm d Red: Töchter und je zur Hälfte eingeantwortete Erbinnen des verstorbenen Versicherungsnehmers) die begehrten Versicherungsleistungen nicht zu.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 20434 vom 22.10.2015