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Urlaubsvorgriff nur nach Vereinbarung

Bearbeiter: Manfred Lindmayr

UrlG § 4

Durch einen Urlaubsvorgriff soll der Arbeitnehmer die Gelegenheit erhalten, einen Teil des ihm erst im folgenden Jahr gebührenden Urlaubs bereits vorweg zu verbrauchen. Ein solcher Urlaubsvorgriff ist zulässig, bedarf aber einer Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien. Fehlt es an einer (ausdrücklichen oder schlüssigen) Vereinbarung, dann ist mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen über den gesetzlichen Mindestanspruch hinausgehenden zusätzlichen Urlaub ohne Anrechnung auf den dem Arbeitnehmer im nächsten Urlaubsjahr gebührenden Urlaub gewährt hat.

OGH 29. 1. 2015, 9 ObA 135/14i

Sachverhalt

Die Klägerin war beim beklagten Arbeitgeber vom 8. 3. 2010 bis 31. 8. 2012 beschäftigt. Sie verbrauchte im ersten Arbeitsjahr 2010/2011 21 Arbeitstage Urlaub, im zweiten Arbeitsjahr 2011/2012 35 Arbeitstage Urlaub und im dritten (begonnenen) Arbeitsjahr (vom 8. 3. 2012 bis 31. 8. 2012) keinen Urlaub. Der Arbeitgeber rechnete die Urlaubstage nach dem Kalenderjahr ab, beiden Parteien war während des Dienstverhältnisses nicht bekannt, dass das UrlG als Urlaubsjahr grundsätzlich das Arbeitsjahr vorsieht. Bei der Vereinbarung des Urlaubs für insgesamt 12 Arbeitstage im Zeitraum Jänner bis 2. 3. 2012 war den Parteien nicht bewusst, dass sie damit einen „Urlaubsvorgriff“ auf das nächste Urlaubsjahr machen würden. Eine Vereinbarung über den Urlaubsvorgriff wurde nicht getroffen.

Strittig ist die Höhe der von der Klägerin begehrten Urlaubsersatzleistung.

Keine automatische Anrechnung

Nach herrschender Rechtsprechung und Lehre ist ein Urlaubsvorgriff zulässig, bedarf aber einer Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien (vgl OGH 22. 11. 2000, 9 ObA 235/00z, ARD 5227/29/2001; Reissner in ZellKomm² § 4 UrlG Rz 31). Durch den Urlaubsvorgriff soll der Arbeitnehmer die Gelegenheit erhalten, einen Teil des ihm erst im folgenden Jahr gebührenden Urlaubs bereits vorweg zu verbrauchen. Er soll damit im Endergebnis nicht mehr an Urlaub erhalten, als ihm von Gesetzes wegen zusteht; die zeitliche Verteilung soll aber zu seinen Gunsten verändert werden (vgl § 12 UrlG). Ein Arbeitgeber, der vereinbarungsgemäß einen Urlaubsvorgriff gewährt, leistet damit einen Vorschuss auf eine erst künftig entstehende Verpflichtung.

Eine „automatische“ Anrechnung eines „vorgezogenen“ Urlaubs auf den erst im nächsten Urlaubsjahr entstehenden Urlaubsanspruch findet ohne entsprechende Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien aber nicht statt. Das UrlG sieht zwar die Möglichkeit der Übertragung eines nicht verbrauchten Urlaubsanspruchs auf das nächste Urlaubsjahr vor (vgl § 4 Abs 5 UrlG), nicht aber den einseitigen „Übertrag“ von zu viel verbrauchten Urlaubstagen. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den Regelungen über die Urlaubsersatzleistung nach § 10 UrlG. Der Urlaubsverbrauch wird erst durch die besondere Vereinbarung der Parteien zum Urlaubsvorgriff.

Im vorliegenden Fall finden sich allerdings weder Anhaltspunkte für eine ausdrückliche noch schlüssige Vereinbarung eines Urlaubsvorgriffs. Beide Parteien wussten bei Abschluss der Urlaubsvereinbarung im Jahr 2011 für weitere 12 Arbeitstage (die Parteien gehen übereinstimmend von einer Urlaubsberechnung nach Arbeitstagen aus) im Urlaubsjahr 2011/2012 gerade nicht, dass die Arbeitnehmerin in diesem Urlaubsjahr 2011/2012 nur mehr einen offenen Urlaubsrest von 6 Arbeitstagen hatte. Da es dem Arbeitgeber nicht gelungen ist, die Vereinbarung eines Urlaubsvorgriffs nachzuweisen und ihn diesbezüglich die Beweislast trifft, muss daher davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin im Urlaubsjahr 2011 einen über den Mindestanspruch des § 2 Abs 1 UrlG hinausgehenden zusätzlichen Urlaub ohne Vorgriff und Anrechnung auf den der Arbeitnehmerin im nächsten Urlaubsjahr gebührenden Urlaub gewährt hat.

Der Klägerin steht somit gemäß § 10 Abs 1 UrlG für den im dritten (Rumpf-)Arbeitsjahr (8. 3. 2012 bis 31. 8. 2012) neu entstandenen, aber zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht verbrauchten Urlaub von rund 12 Arbeitstagen eine Urlaubsersatzleistung zu.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 19255 vom 02.04.2015