News

Verfahrenshilfe nach § 8a VwGVG

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

VwGVG: § 8a

Mit der ausdrücklichen Anknüpfung an Art 6 Abs 1 EMRK und Art 47 GRC in § 8a Abs 1 VwGVG (Bewilligung der Verfahrenshilfe, „soweit dies auf Grund“ des Art 6 Abs 1 EMRK oder des Art 47 GRC „geboten ist“) wird anderes angeordnet als in der ZPO. Für die Anordnung des § 8a Abs 2 VwGVG, wonach sich die Voraussetzungen der Verfahrenshilfe grds nach den Vorschriften der ZPO richten, bleibt insofern ein Anwendungsbereich, als die nähere Ausgestaltung des Instituts der Verfahrenshilfe der ZPO entsprechen soll.

Die Unentbehrlichkeit der Beigebung eines Rechtsanwalts für den „effektiven Zugang“ der Partei zum Gericht ist in Übereinstimmung mit der Rsp von EGMR und EuGH zu Art 6 EMRK bzw Art 47 GRC jedenfalls dann zu verneinen, wenn die Partei insb die Kosten eines Rechtsanwalts ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts bestreiten könnte oder die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung offenbar mutwillig oder aussichtslos ist. Selbst wenn nach diesen Kriterien die Voraussetzungen der Verfahrenshilfe erfüllt wären, ist weiters maßgeblich, ob im Verfahren – insb in Hinblick auf die Komplexität des Falles – Schwierigkeiten zu erwarten sind, die es der Partei unmöglich machen, ihre Interessen ohne Unterstützung eines Rechtsanwalts wahrzunehmen. Dabei sind die persönlichen Umstände der Partei zu berücksichtigen (wie ihr allgemeines Verständnis und ihre Fähigkeiten bzw ihre Rechtskenntnisse) sowie die Bedeutung des Rechtsstreits für die Partei.

Vor dem Hintergrund der Manuduktionspflicht, der Einhaltung der Formvorschriften, die auch für nicht rechtskundige Bürger grundsätzlich zu bewältigen ist, und des Amtswegigkeitsprinzips sowie der ausdrücklichen Beschränkung der Verfahrenshilfe auf Fälle, in denen dies nach Art 6 Abs 1 EMRK oder Art 47 GRC geboten ist, kommt der Beigebung eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer im Verfahren der Verwaltungsgerichte Ausnahmecharakter zu. Sie kann jedoch im Einzelfall erforderlich sein, insb wenn schon die Formulierung einer Beschwerde bzw eines Vorlageantrags, eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw die Erstattung weiteren Vorbringens im Verfahren besondere Schwierigkeiten aufwerfen, die die Fähigkeiten der Partei nach ihren persönlichen Umständen überschreiten.

Aus § 8a Abs 2 zweiter Satz VwGVG ergibt sich insoweit eine weitere Einschränkung, als diese Bestimmung iSd Erläuterungen der RV so zu verstehen ist, dass die Bewilligung der Beigebung eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer nicht zwingend für das gesamte Verfahren des VwG erfolgen muss, sondern auch nur auf einzelne Abschnitte des Verfahrens bzw einzelne Verfahrenshandlungen beschränkt werden kann – etwa die Abfassung und Einbringung der Beschwerde oder die Vertretung in der Verhandlung. Voraussetzung einer solchen Einschränkung der Beigebung des Rechtsanwalts auf einzelne Abschnitte des Verfahrens ist aber, dass absehbar ist, dass die Partei im übrigen Verfahren der Unterstützung eines Rechtsanwaltes nicht bedarf.

VwGH 11. 9. 2019, Ro 2018/08/0008

Entscheidung

Voraussetzungen für Verfahrenshilfe

Die Gewährung der Verfahrenshilfe – insb durch Beigebung eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer – hat nach § 8a VwGVG folgende Voraussetzungen:

Aus der Anordnung des § 8a Abs 1 VwGVG, wonach Verfahrenshilfe zu bewilligen ist, soweit dies aufgrund des Art 6 Abs 1 EMRK oder des Art 47 GRC geboten ist, folgt zunächst, dass die Gewährung der Verfahrenshilfe nicht in allen Verfahren der Verwaltungsgerichte in Betracht kommt, sondern erfordert, dass der Anwendungsbereich des Art 6 Abs 1 EMRK oder des Art 47 GRC eröffnet ist (vgl in diesem Sinn VwGH 31. 8. 2017, Ro 2017/21/0004 und 0013, Rn 34).

§ 8a VwGVG ist im Übrigen insofern subsidiär, als die Bestimmung nur dann zur Anwendung gelangt, „soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist“. Wenn in den sogenannten „Materiengesetzen“ somit Regelungen enthalten sind, deren Gegenstand der Verfahrenshilfe entspricht, ist § 8a VwGVG nicht anzuwenden (vgl VwGH 30. 8. 2018, Ra 2018/21/0073; vgl näher in Bezug auf § 52 BFA-VG VwGH 31. 8. 2017, Ro 2017/21/0004 und 0013).

Soweit § 8a Abs 1 VwGVG verlangt, dass die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint, entsprechen diese Voraussetzungen § 63 Abs 1 ZPO. Der nationale Gesetzgeber hat damit von der Möglichkeit nach der Rsp des EGMR Gebrauch gemacht, die Gewährung der Verfahrenshilfe von der finanziellen Situation der Partei bzw deren (mangelnden) Erfolgsaussichten im Verfahren abhängig zu machen.

Als notwendiger Unterhalt nach § 8a VwGVG ist der Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt (vgl VwGH 25. 1. 2018, Ra 2017/21/0205). Dieses Verständnis des Begriffs des „notwendigen Unterhalts“ entsprach auch bereits bisher der Rsp des VwGH zu § 40 VwGVG idF vor BGBl I 2017/24 bzw § 51a Abs 1 VStG idF vor der Novelle BGBl I 2013/33 (vgl VwGH 18. 5. 2016, Ra 2016/04/0041, mwN, Rechtsnews 21971). Bei Prüfung der Frage, ob die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts aufgebracht werden können, ist eine Schätzung der für den Antragstellers voraussichtlich anfallenden Kosten erforderlich, wobei unter Berücksichtigung der Umstände zum Entscheidungszeitpunkt ein durchschnittlicher Verfahrensablauf anzunehmen ist (vgl VwGH 25. 4. 2019, Ra 2017/13/0061, mwN, ARD 6658/16/2019).

Soweit die Beigebung eines Rechtsanwaltes nicht geboten ist, kann Verfahrenshilfe auch lediglich hinsichtlich einzelner anderer Begünstigungen erteilt werden (Teilverfahrenshilfe), etwa durch Befreiung von der Pauschalgebühr für eine Beschwerde gem § 14 TP 6 Abs 5 Z 1 lit b GebG 1957 iVm § 1 und § 2 Abs 1 BuLVwG-EGebV, soweit diese Aufwendungen (€ 30,- für Beschwerden, Wiedereinsetzungsanträge und Wiederaufnahmeanträge bzw € 15,– für Vorlageanträge) von der Partei ohne Beeinträchtigung ihres notwendigen Unterhalts nicht getragen werden können und die Verfahrenshilfe daher insoweit für den effektiven Zugang zum Gericht unentbehrlich ist (vgl nochmals VwGH 31. 8.2017, Ro 2017/21/0004 und 0013).

Zur Beurteilung, ob aufgrund des Art 6 EMRK bzw des Art 47 GRC die Beigebung eines Rechtsanwalts „geboten ist“, kommt es iSd Judikatur des EGMR und des EuGH darauf an, ob dies für den „effektiven Zugang“ der Partei zum Gericht unentbehrlich ist. Dies ist in Übereinstimmung mit dieser Rsp jedenfalls dann zu verneinen, wenn die Voraussetzungen der Verfahrenshilfe nicht erfüllt sind, weil die Partei insb die Kosten eines Rechtsanwalts ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts bestreiten könnte oder die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung offenbar mutwillig oder aussichtslos ist.

Sind diese Voraussetzungen aber erfüllt, ist maßgeblich, ob im Verfahren – insb in Hinblick auf die Komplexität des Falles – Schwierigkeiten zu erwarten sind, die es der Partei verunmöglichen, ihre Interessen ohne Unterstützung eines Rechtsanwaltes wahrzunehmen. Dabei sind die persönlichen Umstände der Partei zu berücksichtigen, wie ihr allgemeines Verständnis und ihre Fähigkeiten bzw ihre Rechtskenntnisse. Ergänzend ist in die Erwägungen auch die Bedeutung des Rechtsstreits für die Partei miteinzubeziehen.

Dies entspricht grundsätzlich auch den Kriterien der Zivilgerichte für die Beigebung eines Verfahrenshelfers in Prozessen ohne Anwaltszwang iSd § 64 Abs 1 Z 3 ZPO (vgl die schon in den ErläutRV genannte Lit M. Bydlinski in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3, II/1 § 64 ZPO Rz 16).

Hinsichtlich der Frage, wann in den Verfahren der Verwaltungsgerichte aufgrund der Schwierigkeiten des Falls die Beigebung eines Verfahrenshelfers erforderlich ist, ist die Ausgestaltung des Verfahrens nach dem VwGVG zu berücksichtigen. Dazu hat bereits der VfGH darauf hingewiesen, dass die Anforderung an eine Beschwerde (§ 9 VwGVG) nach den Gesetzesmaterialien (AB 2112 BlgNR 24. GP, 7) so gestaltet worden sind, dass sie auch „ein durchschnittlicher Bürger (...) ohne Unterstützung durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter erfüllen kann“, und dass auch durch die Manuduktionspflicht gem § 17 VwGVG iVm § 13a AVG dem rechtspolitischen Anliegen eines auch für unvertretene Parteien einfach handhabbaren Verfahrens vor den Verwaltungsgerichten Rechnung getragen wurde. Ergänzend weist der VwGH weiters darauf hin, dass die Verfahren der Verwaltungsgerichte – anders als der Zivilprozess in allgemeinen Streitsachen – gem § 17 VwGVG iVm § 37 und § 39 Abs 2 AVG vom Grundsatz der materiellen Wahrheit (Offizialprinzip, Amtswegigkeitsprinzip) beherrscht werden.

Vor diesem Hintergrund (Manuduktionspflicht, Einhaltung der Formvorschriften, die auch für nicht rechtkundige Bürger grundsätzlich zu bewältigen ist und Amtswegigkeitsprinzip) sowie der ausdrücklichen Beschränkung der Gewährung der Verfahrenshilfe auf Fälle, in denen dies nach Art 6 Abs 1 EMRK oder Art 47 GRC geboten ist, kommt der Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer im Verfahren der Verwaltungsgerichte Ausnahmecharakter zu.

Vorliegender Fall

Bei Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt es sich um „civil rights“ iSd Art 6 EMRK (vgl etwa VwGH 13. 5. 2019, Ra 2019/08/0057, mwN) und das AlVG enthält keine eigenen der Verfahrenshilfe entsprechenden Regelungen. Die Angelegenheit fällt daher in den Anwendungsbereich des § 8a VwGVG.

Dem Antrag auf Verfahrenshilfe liegt hier ein Verfahren zugrunde, in dem das BVwG über Beschwerde des Revisionswerbers gegen einen Bescheid des AMS ein Beweisverfahren durchzuführen haben wird, um die Richtigkeit der Angaben des Revisionswerbers dazu zu überprüfen, warum er am Antritt der ihm zugewiesenen Beschäftigung gehindert gewesen ist. Auf Grundlage der dazu getroffenen Feststellungen wird zu beurteilen sein, ob der Revisionswerber iSd § 10 Abs 1 Z 1 AlVG die Annahme einer ihm zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung verweigert bzw vereitelt hat. Ausgehend vom bisherigen Verfahrensstand liegt zu den dazu maßgeblichen Rechtsfragen Rsp des VwGH vor (vgl etwa VwGH 16. 3. 2016, Ra 2015/08/0100, ARD 6514/14/2016).

Davon ausgehend sind keine rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten zu erkennen, die iSd genannten Kriterien die Unterstützung des rechtsunkundigen Revisionswerbers durch einen Rechtsanwalt erforderlich machen würden, um ihm den effektiven Zugang zum Gericht zu sichern. Auch hinsichtlich der Person des Revisionswerbers sind keine besonderen Umstände hervorgekommen, aus denen sich ein besonderes Bedürfnis nach Unterstützung im Verfahren ergeben könnte. Die Voraussetzungen der Beigebung eines Verfahrenshelfers liegen daher nicht vor.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 28302 vom 26.11.2019