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Verkehrsopfer-Entschädigung nach Arbeitsunfall

Bearbeiter: Wolfgang Kolmasch

VOEG § 6 Abs 3

6. Kfz-Haftpflichtversicherungs-RL: Art 5 Abs 2

AEUV Art 288

Eine nicht umgesetzte Richtlinienbestimmung ist nach Ablauf der Umsetzungsfrist gegen den Staat oder staatsnahe Einrichtungen unmittelbar anwendbar, wenn sie dem Einzelnen Rechte einräumt und ausreichend bestimmt ist. Entgegenstehendes nationales Recht ist dann aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts außer Acht zu lassen.

§ 6 Abs 3 VOEG, der Arbeitsunfälle mit nicht versicherungspflichtigen Fahrzeugen (hier: Hubstapler) von der Verkehrsopfer-Entschädigung ausnimmt, ist nicht mit Art 5 Abs 2 der 6. Kfz-Haftpflichtversicherungs-RL 2009/103/EG vereinbar. Laut dieser Bestimmung müssen nicht versicherungspflichtige Fahrzeuge genauso behandelt werden wie Fahrzeuge, die trotz Versicherungspflicht nicht versichert wurden. Letztere sind jedoch von der Entschädigungspflicht nach dem VOEG erfasst.

Beim Fachverband der Versicherungsunternehmungen, der die Verkehrsopfer-Entschädigung zu erbringen hat, handelt es sich um eine staatsnahe Einrichtung, gegen die die nicht umgesetzte Richtlinienbestimmung unmittelbar angewendet werden kann. Dem Opfer eines Arbeitsunfalls mit einem nicht versicherungspflichtigen Fahrzeug steht daher aufgrund unmittelbarer Anwendung des Art 5 Abs 2 der 6. Kfz-Haftpflichtversicherungs-RL entgegen § 6 Abs 3 VOEG eine Verkehrsopfer-Entschädigung zu.

OGH 17. 3. 2016, 2 Ob 112/15g

Entscheidung

Auf einem Firmengelände kam es zu einem Verkehrsunfall zwischen zwei Mitarbeitern, die in dienstlicher Funktion unterwegs waren, wobei der eine ein Fahrrad benutzte und der andere einen Elektrohubstapler (dh ein nicht versicherungspflichtiges Fahrzeug iSd § 6 Abs 3 Z 2 VOEG; siehe auch 2 Ob 89/12w = Zak 2013/262, 143).

Im vorliegenden Verfahren begehrte der bei dem Unfall verletzte Radfahrer vom Fachverband der Versicherungsunternehmungen Schadenersatz nach dem VOEG. Der Fachverband berief sich auf die mit 1. 1. 2013 eingeführte Ausnahmebestimmung des § 6 Abs 3 VOEG, nach der ihn keine Entschädigungspflicht trifft, wenn sich der Unfall im geschlossenen Bereich mit einem nicht versicherungspflichtigen Fahrzeug zwischen in den Arbeitsbetrieb eingebundenen Personen ereignete. Der Gesetzgeber wollte damit dezidiert Arbeitsunfälle vom Anwendungsbereich des VOEG ausnehmen (RV 2005 BlgNR 24. GP 1, 4 und 9).

Abweichend von den Vorinstanzen gelangte der OGH zur Auffassung, dass diese Ausnahme gegen Art 5 Abs 2 der 6. Kfz-Haftpflichtversicherungs-RL verstößt und diese Bestimmung in unmittelbarer Anwendung zu einer Entschädigungspflicht des Fachverbandes führt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 21741 vom 02.06.2016