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VfGH: Fremde – Rechtsberatung und -vertretung durch die BBU GmbH

Bearbeiter: Sabine Kriwanek

BBU-G: § 2, § 13, § 24

BFA-VG: § 52

GRC: Art 47

Der Gesetzgeber hat sich – insb auch vor dem unionsrechtlichen Hintergrund der Verfahrensrichtlinie (vgl insb Art 19 Abs 1, Art 20 Abs 2 und Art 21 Abs 1 Verfahrensrichtlinie) – dafür entschieden, die staatlich zu gewährleistende Durchführung der Rechtsberatung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wie vor dem BVwG ebenso wie diejenige der Rechtsvertretung eines Fremden vor dem BVwG insgesamt der BBU GmbH (die zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes steht) und ihren Rechtsberatern zu übertragen.

In diesem speziellen System der Rechtsberatung und -vertretung durch die BBU GmbH und ihre Rechtsberater bedarf die Stellung des Rechtsberaters einer entsprechenden Unabhängigkeit gegenüber der in den den Fremden betreffenden Verwaltungsverfahren entscheidenden Verwaltungsbehörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, und dem dieser Behörde gegenüber weisungs- und leitungsbefugten BMI. Dies gilt in diesem Regelungssystem für die Rechtsberatung der Fremden vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und (hier umso mehr) für die Rechtsberatung und die Rechtsvertretung des Fremden im Verfahren vor dem BVwG, in dem der Fremde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Partei gegenübersteht. Denn nur so können hier die Anforderungen des Art 47 GRC an eine effektive gerichtliche Durchsetzung ihrer gesetzlichen Rechte durch die Fremden erfüllt werden.

Eine effektive Unabhängigkeit verlangt – über die gesetzliche Statuierung der Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der die Aufgaben der Rechtsberatung und -vertretung für die BBU GmbH wahrnehmenden Rechtsberater hinaus – eine gesetzliche Konkretisierung und Absicherung dieser Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Rechtsberater insb im Hinblick auf ihre Stellung in der Organisation der BBU GmbH (etwa bezüglich Dienst- und Fachaufsicht), ihr Aufgabenfeld (etwa hinsichtlich der Zuweisung und allfälligen Abnahme von Beratungs- und Vertretungsfällen) sowie eine ihre Unabhängigkeit sichernde Ausgestaltung ihres Dienstverhältnisses und einen besonderen Entlassungs- und Kündigungsschutz. Im Übrigen gelten entsprechende Anforderungen, je nach konkreter Aufgabenübertragung, auch, wenn die Durchführung eines solchen Komplementärmechanismus anderen, auch privaten Rechtsträgern übertragen wird.

Die die Aufgabe der Rechtsberatung und -vertretung der BBU GmbH und ihren Rechtsberatern zuweisenden Bestimmungen des BBU-G erweisen sich als verfassungswidrig, weil sie jene konkretisierenden Regelungen, die zu einer im Lichte des Art 47 GRC effektiven Ausgestaltung der gesetzlich statuierten Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Rechtsberater der BBU GmbH, die die Aufgabe der Rechtsberatung und -vertretung gem § 2 Abs 1 Z 2 BBU-G besorgen, erforderlich sind, nicht hinreichend gesetzlich absichern. Für eine effektive Gewährleistung der Unabhängigkeit der Rechtsberater der BBU GmbH ist es nicht ausreichend, wenn diese wesentlich in vertraglichen Regelungen ausgestaltet ist, die zwischen dem (gegenüber dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weisungsberechtigten) obersten Verwaltungsorgan und der BBU GmbH (vertreten durch deren, gesellschaftsrechtlich demselben obersten Verwaltungsorgan weisungsgebundenen Geschäftsführung) abgeschlossen werden.

VfGH 14. 12. 2023, G 328-335/2022

Entscheidung

§ 2 Abs 1 Z 2, die Wort- und Zeichenfolge "2 oder" in § 3 Abs 3 Z 2, die Wort- und Zeichenfolge "Z 2 lit b und" in § 7 Abs 1, die Wort- und Zeichenfolge "Z 2 lit a und" in § 7 Abs 2, die Wort- und Zeichenfolgen "Rechtsberater," und "die Vorgangsweise bei Pflichtverletzungen durch Rechtsberater, die gem § 13 Abs 4 Z 2 sicherzustellende Gewährleistung von regelmäßigen Fortbildungen für Rechtsberater" sowie "Z 2 lit b und" in § 8, § 9 Abs 1 dritter und vierter Satz, die Wort- und Zeichenfolge "Z 2 lit a und b und" in § 10 Abs 2, § 12 Abs 2 dritter Satz, § 12 Abs 4 zweiter Satz, die Wort- und Zeichenfolge "Z 2 lit a und b und" in § 12 Abs 5, § 13, die Wort- und Zeichenfolge ", unbeschadet des § 13 Abs 1," in § 24 Abs 1 und § 28 Abs 2 des Bundesgesetzes über die Errichtung der Bundesagentur für Betreuungs-und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (BBU-Errichtungsgesetz – BBU-G), BGBl I 2019/53 sowie § 52 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 2012/87, idF BGBl I 2019/53 werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. 6. 2025 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Die nicht hoheitliche, privatrechtsförmige Aufgabenwahrnehmung der Rechtsberatung und -vertretung durch die BBU GmbH stellt keine funktionell staatliche Verwaltungsführung iSd Art 20 Abs 1 B-VG dar. Handelt es sich somit bei der Besorgung der Aufgaben der Rechtsberatung und -vertretung durch die BBU-GmbH, entgegen der vorläufigen Annahme des VfGH, nicht um funktionell staatliche Verwaltung iSd Art 20 Abs 1 B-VG, erübrigen sich von vornherein die weiteren Bedenken des VfGH im Hinblick auf Art 20 Abs 2 B-VG. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen verstoßen daher nicht gegen diese Verfassungsbestimmung.

Der VfGH hat im vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahren nicht zu beurteilen, ob in einem derartigen Fall privatwirtschaftlicher Aufgaben übertragung auf einen Rechtsträger außerhalb der (organisatorisch wie funktionell) staatlichen Verwaltung iSd Art 20 Abs 1 B-VG aus anderen Verfassungsbestimmungen, insb dem dem B-VG zugrunde liegenden Demokratieprinzip oder dem Verwaltungsorganisationskonzept der Bundesverfassung, Legitimationsanforderungen im Hinblick auf einen angemessenen Verantwortungs- und Informationszusammenhang (der Tätigkeit) des ausgegliederten Rechtsträgers zu obersten Verwaltungsorganen und damit in der Folge zu dem allgemeinen Vertretungskörper, dem sie verantwortlich sind, oder organisatorische Schranken für eine derartige Aufgabenprivatisierung folgen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 34926 vom 05.01.2024