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EMRK: Art 6, Art 8
Im Verwaltungsverfahren bzw im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist das Zugangsrecht zu entscheidungsrelevanten Informationen gegen das Recht anderer Verfahrensparteien auf Schutz ihrer vertraulichen Angaben und ihrer Geschäftsgeheimnisse abzuwägen. Der Grundsatz des Schutzes von vertraulichen Informationen und Geschäftsgeheimnissen muss so ausgestaltet sein, dass er mit den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes und der Wahrung der Verfahrensrechte im Einklang steht und dass sichergestellt ist, dass insgesamt das Recht auf ein faires Verfahren beachtet wird.
Der Umstand, dass einzelne Aktenbestandteile nach § 17 Abs 3 AVG von der Akteneinsicht ausgenommen werden, bedeutet vor diesem Hintergrund daher noch nicht zwingend, dass damit eine Verletzung des Rechts auf Parteiengehör iSd § 45 Abs 3 AVG einhergeht, wenn die Behörde die entsprechenden Aktenbestandteile dennoch heranzieht. Zwar stellt es den Grundsatz jedes rechtsstaatlich geordneten behördlichen Verfahrens dar, dass es keine geheimen Beweismittel geben darf. In bestimmten, außergewöhnlichen Fällen kann es aber zur Wahrung der Grundrechte eines Dritten bzw anderer Verfahrensbeteiligter oder zum Schutz wichtiger Interessen der Allgemeinheit erforderlich sein, den Parteien bestimmte Informationen vorzuenthalten, solange sichergestellt ist, dass sowohl die Behörde als auch das Verwaltungsgericht über alle entscheidungserheblichen Unterlagen vollumfänglich verfügen. Die den Verfahrensparteien vorenthaltenen Informationen sind dabei auf das unbedingt notwendige Ausmaß zu beschränken und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die Entscheidungsgrundlagen so zu begrenzen, dass vorzuenthaltende Informationen zur Entscheidungsfindung nicht herangezogen werden müssen. Die Behörde bzw das VwG haben dabei ihre Abwägung zwischen Geheimhaltungsanspruch und Recht auf Akteneinsicht und damit Transparenz der Entscheidungsgrundlage nachvollziehbar zu begründen, sodass die Verfahrensparteien diese zum Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Kontrolle bzw einer Revision an den VwGH machen können.
VfGH 10. 10. 2019, E 1025/2018
Ausgangsfall
Der Fall betrifft Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des ORF in einem Aufsichtsverfahren, das von einem privaten TV-Veranstalter angestrengt worden war (iZm dem Erwerb von Übertragungsrechten für die Spiele der UEFA Champions League für bestimmte Saisonen durch den ORF).
Entscheidung
Grundsätzlich sind damit auf dem Boden des § 17 AVG effektiver Rechtsschutz (VfSlg 13.699/1994) und wirksame Beschwerde (Art 13 EMRK) gewährleistet.
Zwar entsteht im Fall eines Streits über die Notwendigkeit der Offenlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, der „Schaden“ für die betroffene Partei bereits im Zeitpunkt der Offenlegung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und kann auch im Rechtsschutzweg nicht wieder rückgängig gemacht werden. Dies ist aber in Fällen von Informationsweitergaben unumgänglich (vgl für eine insoweit vergleichbare Konstellation VfSlg 18.747/2009). Der „Schaden“ könnte entweder nur durch einen unbedingten Vorrang des Geheimhaltungsanspruchs oder dadurch vermieden werden, dass mit selbstständig bekämpfbarem verfahrensrechtlichen Bescheid über die Informationsweitergabe im Verfahren entschieden wird, sodass im Rechtsschutzweg geklärt werden kann, ob die Offenlegung der Information rechtmäßig ist. In beiden Fällen ginge der Geheimhaltungsanspruch jedenfalls vor und wäre insoweit absolut. Einen solchen absoluten Vorrang der Geheimhaltungsinteressen gegenüber verfahrensrechtlichen Gewährleistungen begründet Art 8 EMRK aber nicht. Umgekehrt begründet auch Art 6 EMRK keinen absoluten Vorrang verfahrensrechtlicher Gewährleistungen gegenüber Geheimhaltungsinteressen.
Im vorliegenden Fall ist die Offenlegung der einschlägigen Informationen bereits erfolgt und kann durch eine Entscheidung des BVwG in der Sache nicht (mehr) beseitigt werden. Erachtet das BVwG eine einschlägige Rechtsverletzung gegenüber dem ORF für gegeben, hat es sich daher im fortgesetzten Verfahren auf den Ausspruch zu beschränken, dass eine Verletzung der bf P in ihrem Recht aus § 17 Abs 3 AVG stattgefunden hat.
Einer solchen Feststellung durch das BVwG stehen weder die Art 130 und 132 B-VG entgegen, noch Bestimmungen des VwGVG, insb nicht §§ 9, 27 oder 28 VwGVG (vgl zum Verfahren nach Art 144 B-VG VfSlg 13.893/1994, 18.014/2006). In der hier vorliegenden besonderen Konstellation entscheidet das BVwG die Beschwerdesache inhaltlich durch Feststellung (vgl allgemein zur deklaratorischen Sachentscheidung Adamovich/Funk/Holzinger/Frank, Österreichisches Staatsrecht, Bd 2: Staatliche Organisation3, 2014, Rz 37.018).
Hinweis:
Betr die Wahrung der Vertraulichkeit von Geschäftsgeheimnissen im Verlauf von Gerichtsverfahren siehe nun auch § 26h UWG, der mit der UWG-Novelle 2018, BGBl I 2018/109 (= Rechtsnews 26569), eingeführt wurde.
Der Volltext der Entscheidung ist ebenso wie die Presseinformation auf der Homepage des VfGH (www.vfgh.gv.at) abrufbar.