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Vorabentscheidungsersuchen: „Zahnärztevorbehalt“ – Telemedizin

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

AEUV: Art 56 ff

RL 2000/31/EG: Art 1 ff

RL 2005/36/EG: Art 5

RL 2011/24/EU: Art 2, Art 3, Art 4, Art 7

UWG: § 1

ZÄG: §§ 24 ff, § 31

Die Kl (Österreichische Zahnärztekammer) macht einen Unterlassungsanspruch nach dem UWG (Fallgruppe Rechtsbruch) geltend. Sie will (soweit im Provisorialverfahren in dritter Instanz noch von Relevanz), der Bekl (in Ö ansässige Zahnärztin) mit einstweiliger Verfügung verbieten lassen, an zahnärztlichen Tätigkeiten unmittelbar oder mittelbar mitzuwirken, die in Österreich durch ausländische Gesellschaften erbracht werden, die weder eine Befugnis zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs nach dem ZÄG in Österreich noch eine krankenanstaltsrechtliche Betriebsbewilligung nach österreichischem Recht haben (Erst- und Zweitnebenintervenientinnen); die Mitwirkung erfolgt dabei ua dadurch, dass sie Abdrücke bei Zahnfehlstellungen vornimmt (auch auf digitale Weise durch einen Intraoralscanner).

Die Bekl beruft sich darauf, dass ihre Kooperationspartnerin (die Zweitnebenintervenientin) eine nach deutschem Recht zugelassene private Krankenanstalt sei („Zahnklinik“), deren Tätigkeiten unter telemedizinischen Aspekten in Österreich zulässig seien. Dies gelte für die arbeitsteilige Zusammenarbeit mit der Bekl im Rahmen der kieferorthopädischen Behandlung. Die Bekl führe ihre Tätigkeiten unmittelbar und persönlich sowie weisungsunabhängig durch.

Dazu stellen sich für den OGH ua Fragen iZm der PatientenmobilitätsRL und der BerufsqualifikationsRL, die er dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hat.

OGH 25. 1. 2024, 4 Ob 20/23d

Sachverhalt

Die Bekl ist eine in Österreich ansässige Zahnärztin, die unstrittig befugt ist, Patienten im Inland im Rahmen eines Behandlungsvertrags zahnärztlich zu untersuchen und zu behandeln.

Die beiden Nebenintervenientinnen sind Teile eines weltweit tätigen Dentalunternehmens. Die Erstnebenintervenientin ist eine GmbH mit Sitz in Deutschland und dem Unternehmensgegenstand „Erbringung von Dienstleistungen im Bereich von lifestyle-Produkten für Endkunden“. Sie bewirbt ein zahnmedizinisches Kieferregulierungsverfahren mittels transparenter Mundzahnschienen. Über ihre Internetseite können (potentielle) Kunden einen Wunschstandort in Österreich wählen und bei dem entsprechenden sogenannten „Partnerzahnarzt“ (wie der Bekl) einen Termin anfragen. Bei Zustandekommen eines derartigen Termins führt die Bekl in der eigenen Ordination eine Anamnese durch, ein Aufklärungsgespräch, einen 3D-Scan des Gebisses sowie die allenfalls erforderlichen Vorbehandlungen für die Zahnschienentherapie. In der Folge übermittelt die Bekl das Bildmaterial sowie eine Empfehlung hinsichtlich des Kieferregulierungsverfahrens an die Zweitnebenintervenientin. Bei dieser handelt es sich ebenfalls um eine GmbH mit Sitz in Deutschland. Ihre Gesellschafter sind keine Zahnärzte, die GmbH verfügt jedoch über eine Zulassung und die sonstigen notwendigen Genehmigungen nach deutschem Krankenanstaltenrecht, um an einem Standort in Deutschland ein zahnmedizinisches Versorgungszentrum zu betreiben („Zahnklinik“).

Nach dem bescheinigten Sachverhalt ist davon auszugehen, dass (nur) die Zweitnebenintervenientin mit den Patienten einen Behandlungsvertrag abschließt, der alle Leistungen iZm der Zahnregulierung umfasst, und dass die Bekl nur im Rahmen ihrer Vertragsbeziehung zur Zweitnebenintervenientin als deren Erfüllungsgehilfin tätig wird. Die Zahnschienen bezieht die Zweitnebenintervenientin über die Erstnebenintervenientin, die diese wiederum bei Dritten in Auftrag gibt. Die weitere Betreuung erfolgt mittels App der Zweitnebenintervenientin, indem die Patienten regelmäßig Bilder ihrer Zähne an sie übermitteln. Weiters steht die Zweitnebenintervenientin in einer Vertragsbeziehung mit der Bekl und vergütet ihr deren Leistungen.

Vorabentscheidungsersuchen

1.1. Erstreckt sich der Anwendungsbereich des Art 3 lit d der RL 2011/24/EU [über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung] (PatientenmobilitätsRL), wonach im Fall der Telemedizin die Gesundheitsversorgung als in dem Mitgliedstaat erbracht gilt, in dem der Gesundheitsdienstleister ansässig ist, nur auf Zwecke des Kostenersatzes iS ihres Art 7?
1.2.Für den Fall, dass Frage 1.1. verneint wird, ordnet Art 3 lit d der PatientenmobilitätsRL, RL 2011/24/EU, ein allgemeines Herkunftslandprinzip für telemedizinische Leistungen an?
1.3.Ordnet die RL 2000/31/EG [über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insb des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt] (E-CommerceRL) ein Herkunftslandprinzip für telemedizinische Leistungen an?
2.1.Bezieht sich die „Gesundheitsversorgung im Fall der Telemedizin“ iSd Art 3 lit d der PatientenmobilitätsRL, RL 2011/24/EU, ausschließlich auf medizinische Einzelleistungen, die (grenzüberschreitend) mit Unterstützung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) durchgeführt werden, oder auf einen gesamten Behandlungsvertrag, der ebenso körperliche Untersuchungen im Wohnsitzstaat des Patienten umfassen kann?
2.2.Falls körperliche Untersuchungen umfasst sein können, müssen IKT-unterstützte Leistungen überwiegen, damit eine „Gesundheitsversorgung im Fall der Telemedizin“ vorliegt, und bejahendenfalls nach welchen Kriterien ist das Überwiegen zu beurteilen?
2.3.Ist eine medizinische Behandlung insgesamt als grenzüberschreitende Gesundheitsdienstleistung iSd Art 3 lit d und e der PatientenmobilitätsrRL, RL 2011/24/EU, zu sehen, wenn der aus Sicht des Patienten im anderen Mitgliedstaat ansässige Gesundheitsdienstleister, mit dem der Patient einen Behandlungsvertrag abgeschlossen hat (hier: Zahnklinik), einen Teil der Gesamtbehandlung IKT-gestützt erbringt, der andere Teil der Gesamtleistung hingegen von einem im selben Mitgliedstaat wie der Patient ansässigen Gesundheitsdienstleister (niedergelassener Zahnarzt) erbracht wird?
3.1.Ist Art 2 lit n iVm Art 3 lit d und Art 4 lit a der PatientenmobilitätsRL, RL 2011/24/EU, und iVm Art 5 Abs 3 der RL 2005/36/EG [über die Anerkennung von Berufsqualifikationen] (BerufsqualifikationsRL) dahingehend auszulegen, dass eine in Deutschland ansässige Zahnklinik in Fällen von „Gesundheitsversorgung durch Telemedizin“ in Österreich die dort geltenden nationalen berufsständischen, gesetzlichen oder verwaltungsrechtlichen Berufsregeln (insb §§ 24, 26, 31 des österreichischen ZÄG) einzuhalten hat?
3.2.Ist Art 5 Abs 3 der BerufsqualifikationsRL, RL 2005/36/EG, dahin auszulegen, dass sich ein Gesundheitsdienstleister in einen anderen Mitgliedstaat begibt, wenn er rein IKT-unterstützte medizinische Leistungen erbringt? Verneinendenfalls, liegt ein Begeben in einen anderen Mitgliedstaat vor, wenn er durch Erfüllungsgehilfen im Wohnsitzstaat des Patienten körperliche Untersuchungen oder Behandlungen durchführen lässt?
4.Steht die Dienstleistungsfreiheit gem den Art 56 ff AEUV den Vorgaben des österreichischen Zahnärztegesetzes entgegen, das in den §§ 24 ff ZÄG primär eine unmittelbare und persönliche Berufsausübung vorsieht und einen freien Dienstleistungsverkehr nur im Rahmen des § 31 ZÄGvorübergehend“ für „EWR -Staatsangehörige“, und zwar für Konstellationen wie die vorliegende, in der ein ausländischer Zahnarzt – grds dauerhaft – im Rahmen eines einheitlichen Behandlungsvertrags Leistungen teils IKT-unterstützt aus dem Ausland (iS einer grenzüberschreitenden Korrespondenzdienstleistung) und teils im Inland durch Beiziehung eines berufsberechtigten österreichischen Zahnarztes als Erfüllungsgehilfen erbringt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 35090 vom 20.02.2024