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Haftentschädigung nach Verfahrenseinstellung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

StEG 2005: § 3

StPO: § 190

Eine Haftung des Bundes ist nach § 3 Abs 1 Z 2 StEG 2005 ausgeschlossen, soweit im Fall der ungerechtfertigten Haft die geschädigte Person „nur deshalb nicht verfolgt wurde, weil die Ermächtigung zur oder der Antrag auf Strafverfolgung zurückgenommen wurde oder die Strafbarkeit der Tat aus Gründen entfiel, die erst nach der Festnahme oder Anhaltung eintraten“.

Ganz eindeutig sind mit dem Ausschlussgrund des § 3 Abs 1 Z 2 StEG 2005 nicht Sachverhalte angesprochen, bei denen die Ermittlungen ergeben, dass der Täter die Tat gar nicht begangen hat oder der Tatverdacht jedenfalls in einem solchen Ausmaß entkräftet wird, dass die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung für so unwahrscheinlich hält, dass es nicht einmal mehr zu einer Anklage kommt und sie das Verfahren deswegen nach § 190 Z 2 StPO einstellt.

Der Ausschlussgrund nach § 3 Abs 1 Z 2 StEG 2005 betrifft vielmehr Sachverhalte, bei denen eine ursprünglich bestehende Strafbarkeit aus (rechtlichen) Gründen entfällt, die erst nach Festnahme oder Anhaltung eingetreten sind. Diese Regelung hat Fälle im Auge, in denen ein Täter zwar tatbildmäßig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat, aber dennoch freizusprechen oder außer Verfolgung zu setzen ist, idR also bei Vorliegen eines Strafaufhebungsgrundes.

OGH 15. 11. 2017, 1 Ob 141/17t

Sachverhalt

Der Kl war verdächtig, zwei rumänische Staatsbürger beauftragt zu haben, zwei Personen zu töten und eine Person durch Brechen ihrer Beine am Körper zu verletzen. Die zuständige Staatsanwaltschaft ordnete seine Festnahme wegen Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr an und gründete den Tatverdacht auf die Aussage des angeblich mit den Verbrechen beauftragten Zeugen, dessen Angaben zu den potentiellen Opfern verifiziert werden konnten. Der Kl wurde am 18. 4. 2013 aufgrund eines europäischen Haftbefehls in Rumänien verhaftet und nach Österreich ausgeliefert. Am 2. 5. 2013 wurde über ihn die Untersuchungshaft verhängt, am 10. 5. 2013 aber wieder aufgehoben (mangels Dringlichkeit des Tatverdachts nach weiteren Erhebungen und kontradiktorischer Einvernahme der Belastungszeugen). Das Strafverfahren wurde am 24. 7. 2013 gem § 190 Z 2 StPO eingestellt, weil kein tatsächlicher Grund zur Verfolgung bestand.

Der Kl begehrte nun Entschädigung nach StEG 2005 und zwar ua Haftenschädigung und Ersatz der Verteidigungskosten.

Entscheidung

Verteidigerkosten

Ordnet das Gesetz in § 61 Abs 1 Z 1 StPO 1975 die Beiziehung eines Verteidigers während der Dauer der Untersuchungshaft und im gesamten Verfahren an, sind die während dieser Zeit aufgelaufenen zweckmäßigen und notwendigen Verteidigungskosten Folge der Haft und ersatzfähiger Schaden nach dem StEG 2005, soweit sie nicht unabhängig von der Haft auch aus anderen Gründen (etwa durch § 61 Abs 1 Z 4, 5 oder 5a StPO 1975) entstanden wären. § 61 Abs 1 Z 5a StPO zur notwendigen Verteidigung in der kontradiktorischen Vernehmung wurde erst mit der Novelle BGBl I 2016/26 eingefügt (in Kraft seit 1. 11. 2016).

Als sich der Kl in Untersuchungshaft befand, war § 61 StPO 1975 noch idF BGBl I 2004/19 anzuwenden; danach war – soweit hier von Belang – der Kl nach Z 1 leg cit gezwungen, sich im gesamten Verfahren von einem Verteidiger vertreten zu lassen, weil und solange er in Untersuchungshaft war. Die daraus entstandenen Kosten sind im Umfang notwendiger und zweckmäßiger Verteidigungskosten als Folge der ungerechtfertigten Haft nach dem StEG 2005 zu ersetzen, ohne dass es darauf ankommt, ob alle Verteidigungsmaßnahmen darauf gerichtet waren, die Haft abzuwenden.

Höhe der Entschädigung

Nach § 5 Abs 2 StEG 2005 umfasst der Ersatzanspruch wegen des Entzugs der persönlichen Freiheit auch eine „angemessene Entschädigung für die durch die Festnahme oder die Anhaltung erlittene Beeinträchtigung“, und zwar in Höhe von mindestens 20 €, höchstens aber 50 € pro Tag des Freiheitsentzugs. Damit soll die Beeinträchtigung durch das unmittelbare „Haftübel“ abgegolten werden (ErläutRV 618 BlgNR 22. GP 10).

Bei der Ausmessung des Ersatzes für das „seelische Ungemach“ kommt es va auf die persönlichen Verhältnisse der geschädigten Person und deren Änderung durch die Festnahme oder Anhaltung an, ist doch die Dauer der Haft schon in das Tagessatzsystem eingeflossen (§ 5 Abs 2 Satz 2 u 3 StEG 2005 idF BGBl I 2010/111). Neben dem allgemeinen Entzug der Bewegungsfreiheit und dem aufgezwungenen Aufenthalt in ungewohnter und ungemütlicher Umgebung sind mit einer Haft idR die Beschränkung wichtiger sozialer Kontakte, insb zu Familie und Freunden, der Verzicht auf gewohnte Tätigkeiten und Vorlieben, häufig auch Zukunftsängste in Bezug auf persönliche Beziehungen und den Arbeitsplatz verbunden.

Diese Veränderungen können, je nach den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen, aber auch abhängig von seiner konkreten Behandlung in der Haft, von unterschiedlicher Intensität sein.

Die Bekl kann in der Revision zutreffend aufzeigen, dass im vorliegenden Fall Feststellungen noch fehlen, aus denen sich eine so massive Änderung der persönlichen Verhältnisse des Kl ableiten ließe, dass eine höhere Bemessung der Haftentschädigung als in Durchschnittsfällen mit 35 € gerechtfertigt wäre.

Die Vorwürfe, aufgrund deren Untersuchungshaft verhängt wird, sind im Regelfall „massiv“ oder existenzbedrohend. Wenn sich das BerufungsG bei der Festsetzung der Haftentschädigung darauf berufen hat, übersieht es, dass es auf die Schwere des vorgeworfenen Delikts bzw der angenommenen strafbaren Handlung nicht unmittelbar ankommt, weil nicht die Folgen des Strafverfahrens an sich abgegolten werden sollen, sondern (nur) jene der Haft.

Auch die vom ErstG herangezogene Unbescholtenheit ist für sich allein noch kein Grund, die Haftentschädigung höher zu bewerten als bei einer Person, die das Haftübel bereits in der Vergangenheit kennen gelernt hat (vgl RIS-Justiz RS0124097; s auch 1 Ob 43/89, SZ 62/176 mwN), lässt sich doch nur aus der Unbescholtenheit noch kein Schluss über das Ausmaß der Veränderung der persönlichen Verhältnisse ziehen.

Der Kl hat aber unter Anbot seiner Einvernahme vorgebracht, es sei in Rumänien zu wiederholten Misshandlungen bei menschenunwürdigen Haftbedingungen gekommen. Ließen sich seine Behauptungen erweisen, könnte die Festsetzung der Haftentschädigung mit der Höchstgrenze angemessen sein (dazu, dass der gesetzliche Rahmen nicht als sachwidrig angesehen wird, vgl VfGH G 235/2015 = Rechtsnews 22214). Im fortgesetzten Verfahren werden daher dazu Feststellungen zu treffen sein.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 24930 vom 07.02.2018