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EuGH: Investitionsschutzabkommen – Schiedsklausel

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

AEUV: Art 267, Art 344

Fragen der Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts iZm Rechtsstreitigkeiten zwischen einem Investor und einem Mitgliedstaat (wie va betr Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit), dürfen nicht dem System von gerichtlichen Rechtsbehelfen des Art 19 EUV entzogen werden. Eine Schiedsklausel in einem Investitionsschutzabkommen zwischen zwei EU-Mitgliedstaaten (hier: zwischen den Niederlanden und der Slowakei beruhend auf dem Abkommen mit der ehemaligen Tschechoslowakei) ist daher unzulässig, wenn dadurch von den beteiligten Mitgliedstaaten ein System eingerichtet wird, das dazu führt, dass solche Rechtsstreitigkeiten zwischen Investor und Mitgliedstaat von einem Schiedsgericht entschieden werden, das nicht Teil des Gerichtssystems der Mitgliedstaaten ist (kein Gericht iSv Art 267 AEUV) – und folglich kein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH richten darf – und dessen Schiedsspruch zwar von einem nationalen Gericht überprüft werden kann, dieses aber nach dem anwendbaren nationalen Recht nur eine derart eingeschränkte Prüfungsbefugnis hat, dass es zu den unionsrechtlichen Fragen ebenfalls nicht mit einem Vorabentscheidungsersuchen den EuGH befassen kann (hier: Schiedsgericht in Deutschland mit bloß eingeschränkter Prüfungsbefugnis nach dem anwendbaren deutschen Recht).

EuGH 6. 3. 2018, C-284/16, Achmea

Zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.

Entscheidung

Der vorliegende Fall betrifft das Abkommen zwischen dem Königreich der Niederlande und der ehemaligen Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik (CSFR) über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen (BIT). Nach der Auflösung der Tschechoslowakei im Jahr 1993 trat die Slowakei in deren Rechte und Pflichten aus dem BIT ein. Das BIT bestimmt, dass Streitigkeiten zwischen einer Vertragspartei und einem Investor der anderen Vertragspartei gütlich oder vor einem Schiedsgericht beizulegen sind. Strittig war hier nun die Gültigkeit der Schiedsklausel.

Das in Art 8 des BIT vorgesehene Schiedsgericht hat gegebenenfalls das Unionsrecht auszulegen oder sogar anzuwenden, insb die Bestimmungen über die Grundfreiheiten, darunter die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit. Das Schiedsgericht ist jedoch kein Teil des in den Niederlanden und in der Slowakei bestehenden Gerichtssystems, sondern hat im Verhältnis zu den Gerichten der beiden Mitgliedstaaten Ausnahmecharakter. Daher kann es nicht als ein „Gericht eines Mitgliedstaats“ iSv Art 267 AEUV angesehen werden und ist folglich nicht befugt, den EuGH mit einem Vorabentscheidungsersuchen anzurufen.

Zu prüfen ist somit, ob der Schiedsspruch eines solchen Gerichts im Einklang insb mit Art 19 EUV der Kontrolle durch ein Gericht eines Mitgliedstaats unterliegt, die gewährleistet, dass die unionsrechtlichen Fragen eventuell im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens dem EuGH vorgelegt werden könnten. Eine solche gerichtliche Überprüfung kann vom nationalen Gericht jedoch nur vorgenommen werden, soweit das nationale Recht sie gestattet.

Im vorliegenden Fall legt das Schiedsgericht sein eigenes Verfahren fest (unter Anwendung der Schiedsordnung der UNCITRAL) und wählt insb seinen Sitz und damit das Recht, das für das Verfahren zur gerichtlichen Überprüfung der Gültigkeit des Schiedsspruchs gilt (hier: Schiedsort Frankfurt am Main – daher Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Überprüfung des Schiedsspruchs). Das nationale deutsche Recht (vgl § 1059 Abs 2 dZPO) sieht nur eine beschränkte Überprüfung vor, die sich ua auf die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung nach dem anwendbaren Recht und auf die Frage bezieht, ob die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs die öffentliche Ordnung wahrt. Damit haben die beteiligten Mitgliedstaaten einen Mechanismus geschaffen, der ausschließen kann, dass über Streitigkeiten zwischen Investor und Mitgliedstaat in einer Weise entschieden wird, die die volle Wirksamkeit des Unionsrechts gewährleistet.

Von der bisherigen Rsp des EuGH zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit (vgl EuGH 1. 6. 1999, Eco Swiss, C-126/97, Rn 35, 36 und 40, und EuGH 26. 10. 2006, Mostaza Claro, C-168/05, Rn 34 bis 39, RdW 2006/703) unterscheidet sich ein Schiedsverfahren wie das vorliegende dadurch, dass Handelsschiedsverfahren auf Parteiautonomie beruhen, während sich ein Schiedsverfahren wie hier aus einem Vertrag herleitet, in dem Mitgliedstaaten übereingekommen sind, Rechtsstreitigkeiten, die die Anwendung und Auslegung des Unionsrechts betreffen können, der Zuständigkeit ihrer eigenen Gerichte zu entziehen – und damit dem System von gerichtlichen Rechtsbehelfen, dessen Schaffung ihnen Art 19 Abs 1 Unterabs 2 EUV in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen vorschreibt.

Der EuGH hat für Recht erkannt

Die Art 267 und 344 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Bestimmung in einer internationalen Übereinkunft zwischen den Mitgliedstaaten wie Art 8 des Abkommens zwischen dem Königreich der Niederlande und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen entgegenstehen, nach der ein Investor eines dieser Mitgliedstaaten im Fall einer Streitigkeit über Investitionen in dem anderen Mitgliedstaat gegen diesen ein Verfahren vor einem Schiedsgericht einleiten darf, dessen Gerichtsbarkeit sich dieser Mitgliedstaat unterworfen hat.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 25082 vom 08.03.2018