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KV-Nahrungs- und Genussmittelindustrie: Sonderzahlung bei einvernehmlicher Auflösung

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

KV-Nahrungs- und Genussmittelindustrie: § 15

Der Rahmenkollektivvertrag für Arbeiter in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie enthält zwar keine ausdrückliche Regelung betr Aliquotierung des Urlaubszuschusses im Falle einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses vor Verbrauch des zustehenden Urlaubs bzw vor dem innerbetrieblich für alle Arbeitnehmer festgelegten Auszahlungszeitpunkt. Da die Kollektivvertragsparteien aber offenkundig in allen Fällen einer vom Arbeitnehmer nicht verschuldeten Lösung des Dienstverhältnisses vor dem angeführten Zeitpunkt eine Aliquotierung des Urlaubszuschusses vorsehen wollten, ist diese Regelung (§ 15 Abschnitt A Abs 6 KV) auch auf den Fall der einvernehmlichen Auflösung anzuwenden.

OGH 30. 1. 2018, 9 ObA 141/17a

Sachverhalt

Zu OLG Linz 12 Ra 54/17y, ARD 6574/8/2017 (Bestätigung)

Das Dienstverhältnis der Klägerin zum beklagten Arbeitgeber wurde am 19. 5. 2016 einvernehmlich zum 30. 9. 2016 aufgelöst. Mit der Juniabrechnung 2016 erhielt die Klägerin den anteiligen Urlaubszuschuss für den Zeitraum bis 30. 9. 2016.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Differenz zum vollen Urlaubszuschuss in der unstrittigen Höhe von € 558,91 brutto. Sie stützt sich auf den Rahmenkollektivvertrag für Arbeiter in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, insbesondere auf § 15 Abschnitt A Abs 9 KV, wonach im Fall der einvernehmlichen Auflösung die Rückzahlungsverpflichtung des aliquoten Urlaubszuschusses entfalle. Daraus ergebe sich, dass mit der Juniabrechnung der gesamte Urlaubszuschuss und nicht nur ein aliquoter Teil fällig gewesen sei.

Dem hielt der Arbeitgeber entgegen, dass der Urlaubszuschuss im Falle einer Arbeitnehmer- und Arbeitgeberkündigung bei Auszahlung vor Urlaubsantritt bzw vor Fälligkeit des Urlaubszuschusses nur aliquot gebühre; dies müsse genauso für den hier vorliegenden Fall der einvernehmlichen Auflösung gelten.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. § 15 Abschnitt A Abs 6 KV sei lückenhaft. Diese Lücke könne aber auf Basis der grundsätzlichen Wertung der KV-Parteien dahin geschlossen werden, dass dem Arbeitnehmer im Fall seines Verschuldens an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gar kein Urlaubszuschuss gebühre, in allen Fällen einer unverschuldeten Auflösung des Arbeitsverhältnisses der aliquote Teil, also auch bei einvernehmlicher Auflösung vor dem Auszahlungszeitpunkt. Nur wenn das Arbeitsverhältnis zum Auszahlungszeitpunkt am 30. Juni in ungekündigtem Zustand aufrecht sei, erwerbe der Arbeitnehmer mit diesem Tag den Anspruch auf den vollen Urlaubszuschuss.

Diese Rechtsansicht wird vom OGH mit folgender (zusammengefassten) Begründung geteilt:

Entscheidung

Eine Gesamtschau des § 15 Abschnitt A des Rahmenkollektivvertrags für Arbeiter in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie (KV) ergibt nach dem erkennbaren Zweck dieser Bestimmungen und ihrem Zusammenhang folgendes Bild für den Fall einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses, die vor Auszahlung des Urlaubszuschusses vereinbart wurde:

Mit den Regelungen in § 15 Abschnitt A KV verfolgen die Kollektivvertragsparteien ua den Zweck, den Urlaubszuschuss grundsätzlich nur aliquot zu gewähren, also entsprechend der zurückgelegten Dienstzeit im Kalenderjahr. Steht bereits vor dem innerbetrieblich für alle Arbeitnehmer festgelegten Zeitpunkt fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht das ganze Kalenderjahr andauern wird, haben Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch eine „verpönte“ Beendigungsart endet (dh durch vorzeitigen Austritt ohne wichtigen Grund oder berechtigte Entlassung), keinen Anspruch auf Urlaubszuschuss (§ 15 Abschnitt A Abs 7 KV). Arbeitnehmer hingegen, deren Arbeitsverhältnis durch eine „neutrale“ Beendigungsart endet (also va bei Kündigung durch Arbeitgeber oder Arbeitnehmer oder berechtigtem vorzeitigem Austritt), haben Anspruch auf den aliquoten Teil des Urlaubszuschusses (§ 15 Abschnitt A Abs 6 KV).

Eine Auslegung dieser Bestimmungen dahin, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einvernehmliche Auflösung gegenüber den „neutralen“ Beendigungsarten von den Kollektivvertragsparteien mit der Gewährung des gesamten Urlaubszuschusses privilegiert werden soll, ist mit dem Zweck der Urlaubszuschussregelungen nicht vereinbar. Es liegt daher eine Lücke im Sinn einer planwidrigen Unvollständigkeit vor, die durch Analogie zu schließen ist.

Die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist unzweifelhaft nicht mit einer der verpönten Beendigungsarten gem § 15 Abschnitt A Abs 7 KV vergleichbar. Vielmehr hat eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Charakter einer „neutralen“ Beendigungsart iSd § 15 Abschnitt A Abs 6 KV. Die Lückenschließung hat daher schon zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einvernehmliche Auflösung einerseits und durch Kündigung des Arbeitnehmers bzw Arbeitgebers andererseits (§ 15 Abschnitt A Abs 6 lit a KV), so zu erfolgen, dass auch im Falle der Vereinbarung der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses vor Auszahlung des Urlaubszuschusses zum innerbetrieblich für alle Arbeitnehmer vereinbarten Auszahlungszeitpunkt die Rechtswirkungen des § 15 Abschnitt A Abs  6 KV eintreten, der Urlaubszuschuss also nur entsprechend der bereits bekannten Dauer des Arbeitsverhältnisses im Kalenderjahr gewährt wird.

Dieses Ergebnis wird auch dem Aspekt des engen Zusammenhangs zwischen dem Urlaubsverbrauch und der Höhe des Urlaubszuschusses (hier beides aliquot) gerecht, der sich aus § 15 Abschnitt A Abs 2, 4 und 6 KV ergibt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 25111 vom 15.03.2018