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Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2018 – BGBl

Bearbeiter: Barbara Tuma

Bundesgesetz, mit dem die Strafprozeßordnung 1975, das Staatsanwaltschaftsgesetz und das Telekommunikationsgesetz 2003 geändert werden (Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2018)

BGBl I 2018/27, ausgegeben am 15. 5. 2018

Zur leicht veränderten RV 17 BlgNR 26. GP siehe Rechtsnews 25024.

Mit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2018 werden va zwei neue Ermittlungsmaßnahmen eingeführt (Überwachung verschlüsselter Nachrichten und Anlassdatenspeicherung „Quickfreeze“) sowie einige bereits bestehende Ermittlungsmaßnahmen ausgeweitet.

Überwiegend treten die Änderungen mit 1. 6. 2018 in Kraft, die Überwachung verschlüsselter Nachrichten allerdings erst mit 1. 4. 2020 (im Hinblick auf die technischen Vorkehrungen) und außerdem nur befristet für 5 Jahre.

Bei der parlamentarischen Behandlung wurde im Justizausschuss ein Abänderungsantrag angenommen, mit dem va einige kleinere Anpassungen zur Beseitigung von Rechtsschutzbedenken vorgenommen wurden.

Insgesamt bringt das Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2018 nun va folgende wichtige Neuerungen:

1. Neue Ermittlungsmaßnahmen

1.1. Überwachung verschlüsselter Nachrichten

Dazu wird – neben einer Begriffsbestimmung in § 134 Z 3a StPO und Anpassungen in andere Regelungen – va der neue § 135a StPO eingeführt („Überwachung verschlüsselter Nachrichten“). Die ErläutRV weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Überwachung von Nachrichten aufgrund der geltenden Rechtslage grds auch im Fall ihrer Verschlüsselung zulässig wäre, aber eben aufgrund dieser Verschlüsselung ins Leere läuft (zB bei Skype und WhatsApp). Mit der neuen Ermittlungsmaßnahme der Überwachung verschlüsselter Nachrichten wird ausdrücklich auf einen Übertragungsvorgang abgestellt, sodass sie systemkonform in die StPO eingebunden werden kann und sich eindeutig von einer Online-Durchsuchung abgrenzt.

Für die Überwachung verschlüsselter Nachrichten ist mangels anderer Alternativen die (remote oder physikalische) Installation eines Programms in dem zu überwachenden Computersystem erforderlich, weil die Verschlüsselung der Kommunikation direkt auf dem Gerät erfolgt und daher auch nicht durch Mitwirkung des Betreibers umgangen werden kann. Dieses Programm soll ausschließlich von einer natürlichen Person gesendete, übermittelte oder empfangene Nachrichten und Informationen entweder vor der Verschlüsselung oder nach Entschlüsselung an die Strafverfolgungsbehörden ausleiten.

Aus Verhältnismäßigkeitserwägungen wird die Ermittlungsmaßnahme an höhere Zulässigkeitsvoraussetzungen gebunden als die Überwachung von Nachrichten nach § 135 Abs 3 StPO. Die Erläut RV verweisen darauf, dass diese Ermittlungsmaßnahme nur in einem konkreten Strafverfahren wegen eines konkreten Verdachts von Straftaten angeordnet werden darf und nicht zur Überwachung einer nicht bestimmten Anzahl von Personen. Im Einzelnen ist stets eine begründete Anordnung der Staatsanwaltschaft erforderlich, die einer gerichtlichen Bewilligung bedarf.

Unabhängige gerichtliche Kontrolle soll weiters gegenüber Rechtsverletzungen bei der Durchführung der Ermittlungsmaßnahme deren Recht- und Verhältnismäßigkeit sichern. Umfassende Verständigungs- und Einsichtsrechte für Beschuldigte und Betroffene ermöglichen Transparenz und Kontrolle. Umgehungs- und Beweisverwendungsverbote dienen dem Schutz von Berufsgeheimnisträgern wie auch der genauen Einhaltung der Einsatzvoraussetzungen. Die engmaschige Einbindung des Rechtsschutzbeauftragten der Justiz soll weiters nicht nur „kommissarischen“ Rechtsschutz gewährleisten, sondern auch die Kontrolle der Durchführung unter Beiziehung von Sachverständigen. Schließlich wird Transparenz und parlamentarische Kontrolle durch Aufnahme dieser Ermittlungsmaßnahme in den jährlichen Bericht des BMJ an den Nationalrat, den Datenschutzrat und die Datenschutzbehörde ermöglicht.

Da die Durchführung einer solchen Ermittlungsmaßnahme nach dem derzeitigen Stand der Technik quantitativ und qualitativ sehr ressourcenintensiv ist, ist eine Legisvakanz bis 1. 4. 2020 vorgesehen. Außerdem soll sich die Ermittlungsmaßnahme bewähren müssen, weshalb sie vorerst nur für einen befristeten Zeitraum von 5 Jahren in Kraft gesetzt wird.

Die Änderungen des StAG stehen im Wesentlichen mit dieser neuen Ermittlungsmaßnahme in Zusammenhang (etwa die Berichtspflicht der Staatsanwaltschaften an die Oberstaatsanwaltschaften über die beabsichtigte Anordnung dieser Maßnahme).

1.2. „Quickfreeze“ (Anlassdatenspeicherung)

Im neuen § 135 Abs 3b StPO wird verankert, dass bei Vorliegen eines Anfangsverdachts bestimmter gerichtlich strafbarer Handlungen eine Anlassdatenspeicherung zulässig ist; dabei sollen Telekommunikationsanbieter aufgrund staatsanwaltschaftlicher Anordnung verpflichtet werden, Telekommunikationsdaten (Verkehrsdaten, Zugangsdaten und Standortdaten) nach Ablauf der Speicherung für Verrechnungszwecke bis zu 12 Monate weiter zu speichern (sog. „Quickfreeze“). Bei dieser Frist handelt es sich um eine nicht verlängerbare Höchstfrist.  Enstprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat die Staatsanwaltschaft die Frist individuell zu bestimmen (bzw das Gericht im Rahmen eines Einspruchs wegen Rechtsverletzung), wodurch nach den ErläutAB sichergestellt werden soll, dass die Höchstfrist nicht regelmäßig ausgeschöpft wird.

Verdichtet sich der Anfangsverdacht, kann die Staatsanwaltschaft wie schon bisher nach § 135 Abs 2 oder § 76a Abs 2 StPO auf diese gespeicherten Daten zugreifen.

Erhärtet sich der Anfangsverdacht nicht, tritt die staatsanwaltschaftliche Anordnung außer Kraft und der Verdächtige ist über den Vorgang zu informieren.

Im TKG werden dazu die notwendigen Folgeanpassungen vorgenommen (inkl Verwaltungsstrafbestimmungen mit Geldstrafen bis zu 37.000 €; § 109 Abs 3 TKG).

3. Erweiterung bestehender Ermittlungsmaßnahmen

-IMSI-Catcher: Diese Ermittlungsmaßnahme dient der Lokalisierung einer technischen Einrichtung ohne Mitwirkung eines Betreibers (IMSI = International Mobile Subscriber Identification) und wird bereits seit Jahren erfolgreich auf der Rechtsgrundlage der § 134 Z 2, § 135 Abs 2 StPO eingesetzt (im Bereich des SPG ist der Einsatz technischer Mittel zur Lokalisierung einer Endeinrichtung im Rahmen der Gefahrenabwehr bereits in § 53 Abs 3b SPG eigenständig geregelt). Um ua die Technologieneutralität der StPO weiterhin zu gewährleisten, wird dafür nun eine ausdrückliche gesetzliche Definition und Regelung in der StPO geschaffen, die von den Bestimmungen des TKG unabhängig ist (vgl dazu die neue Begriffsdefinition „Lokalisierung einer technischen Einrichtung“ in § 134 Z 2a StPO).
Angeordnet werden darf die Maßnahme von der Staatsanwaltschaft nur aufgrund einer gerichtlichen Bewilligung und in § 140 Abs 1 StPO werden weitere flankierende Schutzbestimmungen (Verwendungsverbote) vorgesehen.
-Beschlagnahme von BriefenEntfall des Erfordernisses, dass sich der Beschuldigte in Haft befinden muss (§ 135 Abs 1 StPO); diese Maßnahme soll insb effektive Bekämpfung und Verfolgung des zunehmenden Versands von Briefen mit Suchtmitteln aus dem sog. Darknet ermöglichen.
Im Hinblick auf schriftliche Korrespondenz von und mit Berufsgeheimnisträgern, die grundsätzlich dem Umgehungsverbot des § 157 Abs 2 StPO unterliegt (mit Nichtigkeitssanktion), wird der Rechtsschutz durch Kontroll- und Prüfungsbefugnisse des Rechtsschutzbeauftragten der Justiz systemkonform ausgebaut.
-Optische und akustische Überwachung von Personen: Zur Umsetzung des Art 20 der RL (EU) 2017/541 (RL Terrorismus) wird die Möglichkeit der optischen und akustischen Überwachung von Personen (§ 136 Abs 1 Z 3 StPO) um Straftaten nach §§ 278c bis 278e StGB erweitert, dh zur Aufklärung Terroristischer Straftaten (§ 278c StGB), von Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) und der Ausbildung für terroristische Zwecke (§ 278e StGB).
Hinsichtlich des geltenden Zulässigkeitskriteriums der Aufklärung oder Verhinderung von begangenen oder geplanten Straftaten im Rahmen einer kriminellen Organisation oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278a und § 278b StGB) wird bei dieser Gelegenheit klargestellt, dass es sich bei solchen Straftaten um Verbrechen (§ 17 Abs 1 StGB) handeln muss.

3. Weitere Änderungen

Der Umsetzung der RL (EU) 2016/343 (RL Unschuldsvermutung) dienen folgende Änderungen:

-Die Belehrung eines Angeklagten über die Folgen des Nichterscheinens zur Hauptverhandlung findet nun wieder ausdrücklich Eingang in den Gesetzestext (§ 221 Abs 1 StPO – sie war bis 31. 12. 2007 in der StPO vorgesehen und erfolgt in der Praxis nach wie vor)
-Außerdem wird klargestellt, dass im Verfahren zur Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB Betroffene jedenfalls über die Verhandlung zu unterrichten sind (§ 430 Abs 5 StPO).

Hinweis: Weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit werden mit BGBl I 2018/29 in SPG, StVO und TKG vorgenommen; siehe dazu Rechtsnews 25419.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 25418 vom 16.05.2018