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Verhetzung – Verletzung der Menschenwürde, Verächtlichmachung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

StGB § 283

Verhetzung nach § 283 Abs 1 Z 2 StGB (idgF BGBl I 2015/154) begeht, wer „öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird, in der Absicht, die Menschenwürde anderer zu verletzen, eine der in Z 1 bezeichneten Gruppen in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen“.

Die Menschenwürde wird verletzt, wenn durch die Tathandlung den Angehörigen der angegriffenen Gruppe unmittelbar oder mittelbar das Recht auf Menschsein schlechthin abgesprochen wird, indem etwa das Lebensrecht als gleichwertige Bürger bestritten wird oder sie als minderwertige oder wertlose Teile der Gesamtbevölkerung dargestellt werden oder wenn sie sonst einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen werden. Maßgebend ist, dass die Angehörigen der betreffenden Gruppe im unverzichtbaren Kernbereich ihrer Persönlichkeit getroffen werden.

Verächtlich macht derjenige, der den anderen als der Achtung seiner Mitmenschen unwert oder unwürdig hinstellt, ihn also deren Verachtung aussetzt.

OGH 10. 4. 2018, 11 Os 7/18s

Entscheidung

Im Hinblick auf die Änderungen des § 283 StGB zwischen den Tatzeitpunkten (unterschiedliche Postings zwischen 2009 und 2012) und Urteilszeitpunkt war im vorliegenden Fall ein Günstigkeitsvergleich gem § 61 StGB erforderlich. Dafür waren die Feststellungen jedoch nicht ausreichend, sodass der OGH den Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil (teilweise) aufhob und die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LGSt Wien verwies.

Versionen des § 283 StGB

Nach § 283 Abs 2 StGB idF BGBl 1996/762 handelte tatbildlich, wer öffentlich (etwa 10 Personen) gegen eine der in § 283 Abs 1 StGB bezeichneten Gruppen hetzt oder sie „in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft oder verächtlich zu machen sucht“.

Durch BGBl I 2011/103 erfuhr die betreffende Bestimmung insofern eine Änderung, als die Wahrnehmbarkeit für eine breite Öffentlichkeit (etwa 150 Personen) normiert und sowohl für die Variante des Hetzens als auch des Beschimpfens (nun) kumulativ gefordert wurde, dass der Täter dadurch die geschützte Gruppe (überdies) verächtlich zu machen sucht („hetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft und dadurch verächtlich zu machen sucht“).

§ 283 StGB in der im Urteilszeitpunkt geltenden Fassung (BGBl I 2015/154) enthält in Abs 1 Z 1 und Z 2 drei Tatbestandsvarianten, nämlich Auffordern zu Gewalt sowie Aufstacheln zu Hass (Z 1) und das Beschimpfen einer der in Z 1 bezeichneten Gruppen in einer Weise, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen (Z 2). In Betreff der Beschimpfung (Abs 1 Z 2) wurde zudem das Erfordernis der qualifizierten Vorsatzform der Absichtlichkeit (§ 5 Abs 2 StGB) in Bezug auf die Verletzung der Menschenwürde anderer eingefügt („in der Absicht, die Menschenwürde anderer zu verletzen, ... in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen“).

In ihrem Grundtatbestand (§ 283 Abs 1 StGB) pönalisiert die aktuelle Fassung öffentliche Begehung (ab etwa 10 Personen) auf eine Weise, dass es (die Begehung) vielen Menschen zugänglich wird (etwa 30 Personen) und normiert in Abs 2 für den Fall der Begehung auf eine Weise, dass die (in Abs 1 bezeichneten) Handlungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich werden, eine (mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte) Qualifikation.

Getrennte Fragestellung erforderlich

Kurz zusammengefasst ließen die Feststellungen im Wahrspruch der Geschworenen zu den meisten Schuldsprüchen durch eine Verknüpfung mit „oder“ nicht erkennen, ob die Geschworenen nur eine oder beide bzw welche der Varianten als verwirklicht ansahen (zB Feststellung der Tatbegehung „öffentlich oder auf eine Weise, wodurch die Handlung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird“).

Da die Günstigkeitsprüfung für jeden zu beurteilenden Lebenssachverhalt gesondert vorzunehmen ist (RIS-Justiz RS0112939), kann nur durch eine – hier zumindest nach Rechtsschichtengetrennte Fragestellung entsprochen werden, dh zum einen bezogen auf die Postings bis zum 31. 12. 2011 und zum anderen zu den Postings ab 1. 1. 2012.

Auch die Feststellungen betr Verletzung der Menschenwürde bzw Verächtlichmachung waren mit „oder“ verknüpft („in einer die Menschenwürde verletzenden Weise oder in einer Weise, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, beschimpft und dadurch verächtlich zu machen“). Auch dieser Wahrspruch lässt somit nicht erkennen, ob die Geschworenen durch die einzelnen inkriminierten Handlungen beide Tatvarianten als verwirklicht ansahen.

Nur bei tatbestandsmäßigem Handeln sowohl nach alter Rechtslage (BGBl I 2011/103; „in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft und dadurch verächtlich zu machen sucht“) als auch nach aktueller Rechtslage („in der Absicht, die Menschenwürde anderer zu verletzen, ... in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen“) käme aber eine Strafbarkeit nach § 283 StGB (hier aufgrund der geringeren Strafdrohung idF BGBl I 2011/103) in Betracht.

Dazu verweist der OGH ausdrücklich darauf, dass die Begehung in einer die Menschenwürde verletzenden Weise nicht gleichzusetzen ist mit einer Beschimpfung in einer Weise, die geeignet ist, die Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen (arg „und“ in § 283 Abs 2 StGB idF BGBl I 2011/103). Ebensowenig kann aus der Absicht, die Menschenwürde anderer zu verletzen, das Kriterium der Beschimpfung in einer (objektiv) die Menschenwürde verletzenden Weise abgeleitet werden.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 25456 vom 24.05.2018