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EuGH: Anerkennung einer strafrechtlichen Verurteilung

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

AEUV Art 82

Rahmenbeschluss 2008/675/JI: Art 1, Art 3

Es läuft dem Rahmenbeschluss 2008/675/JI [des Rates vom 24. 7. 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren] zuwider, wenn in einem Mitgliedstaat in einem neuen Strafverfahren gegen eine Person die Berücksichtigung ihrer früheren rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats wegen einer anderen Tat von einem besonderen vorherigen Anerkennungsverfahren durch die Gerichte des erstgenannten Mitgliedstaats abhängig gemacht wird.

EuGH 5. 7. 2018, C-390/16, Lada

Ausgangslage

Zu einem ungarischen Vorabentscheidungsverfahren.

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art 82 AEUV und des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI des Rates vom 24. 7. 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren. Es ergeht im Rahmen eines vor einem ungarischen Gericht eingeleiteten Verfahrens zur Anerkennung einer rechtskräftigen Verurteilung von Herrn Lada in Österreich. Das entsprechende ungarische Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen regelt ein besonderes Verfahren zur vorherigen Anerkennung rechtskräftiger Urteile ausländischer Gerichte durch die zuständigen ungarischen Gerichte. Dieses Verfahren impliziert, dass die ausländische Verurteilung zunächst darauf geprüft wird, ob im ausländischen Verfahren die Grundrechte beachtet wurden. Es ist sodann Sache des zuständigen Gerichts, die Straftat gegebenenfalls anhand des ungarischen Strafgesetzbuchs neu zu bewerten und Art oder Umfang der verhängten Strafe oder Maßnahme zu ändern, wenn sie nicht vollständig mit denen vereinbar sind, die das ungarische Recht vorsieht.

Entscheidung

Da das gegenständliche besondere Anerkennungsverfahren für die Berücksichtigung ausländischer Verurteilungen des Beschuldigten in einem neuen Verfahren (wegen einer anderen Tat) in Ungarn unerlässlich ist, erscheint es dem EuGH untrennbar mit der Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/675 verbunden, weshalb er zunächst prüft, ob ein besonderes Anerkennungsverfahren wie hier diesem Rahmenbeschluss nicht jede praktische Wirksamkeit nimmt.

Der EuGH erinnert dabei an seine Rsp, wonach eine Überprüfung der früheren Verurteilungen wie im Ausgangsverfahren nicht nur dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen in Strafsachen (Art 82 Abs 1 AEUV) zuwiderläuft, dessen Umsetzung der Rahmenbeschluss dient, sondern auch von Art 3 Abs 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675 ausdrücklich untersagt wird (vgl EuGH 21. 9. 2017, Beshkov, C-171/16, EU:C:2017:710, Rechtsnews 24238).

Der Mitgliedstaat, der das neue Strafverfahren betreibt, wird durch den Rahmenbeschluss zwar nicht daran gehindert, die Einzelheiten für die Berücksichtigung der früheren Verurteilungen festzulegen; dies dient jedoch nur zur Klärung der Frage, ob es möglich ist, diese Verurteilungen mit gleichwertigen Rechtswirkungen zu versehen wie frühere Verurteilungen im Inland nach innerstaatlichem Recht (vgl 13. Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2008/675). Der Mitgliedstaat darf also nötigenfalls eine Entscheidung erlassen, mit der eine frühere Verurteilung in einem anderen Mitgliedstaat mit gleichwertigen Rechtswirkungen versehen wird, der Erlass einer solchen Entscheidung darf jedoch unter keinen Umständen mit der Durchführung eines besonderen nationalen Verfahrens zur vorherigen Anerkennung wie im Ausgangsverfahren verbunden sein (vgl Rs C-171/16, Beshkov, Rn 38).

Außerdem kann die Möglichkeit einer solchen Entscheidung über die Gleichwertigkeit der Rechtswirkungen nach Ansicht des EuGH nicht die Durchführung eines besonderen Anerkennungsverfahrens von Verurteilungen in einem anderen Mitgliedstaat rechtfertigen, das zur Neubewertung der Straftat und der verhängten Strafe führen kann.

Dass ein besonderes Verfahren für die Anerkennung ausländischer Urteile wie in Ungarn ua die Übermittlung und Übersetzung der Urteile voraussetzt und damit dem automatisierten Übersetzungsmechanismus des Beschlusses 2009/316 seinen Nutzen nehmen, den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten erschweren und daher die Ziele dieses Beschlusses und des Rahmenbeschlusses 2009/315 gefährden kann, hat der EuGH ebenfalls bereits ausgesprochen (EuGH 9. 6. 2016, Balogh, C-25/15, EU:C:2016:423, Rn 53 und 55).

Hierzu hält der EuGH nun fest, dass der Rahmenbeschluss 2009/315 und der Rahmenbeschluss 2008/675 untrennbar miteinander verbunden sind. Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten müssen nämlich sorgfältig und einheitlich Informationen über strafrechtliche Verurteilungen austauschen, um zu vermeiden, dass die nationalen Justizbehörden in einem neuen Strafverfahren gegen eine bereits wegen einer anderen Tat verurteilte Person entscheiden, ohne diese früheren Verurteilungen heranziehen zu können. Innerstaatliche Verfahren, die diesen sorgfältigen Informationsaustausch beeinträchtigen können, verstoßen somit sowohl gegen den Rahmenbeschluss 2009/315 iVm dem Beschluss 2009/316 als auch gegen den Rahmenbeschluss 2008/675.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

Der Rahmenbeschluss 2008/675/JI des Rates vom 24. 7. 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren ist im Licht von Art 82 AEUV dahin auszulegen, dass es ihm zuwiderläuft, wenn in einem Mitgliedstaat in einem neuen Strafverfahren gegen eine Person die Berücksichtigung ihrer früheren rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats wegen einer anderen Tat von einem besonderen vorherigen Anerkennungsverfahren durch die Gerichte des erstgenannten Mitgliedstaats wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden abhängig gemacht wird.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 25670 vom 09.07.2018