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EuGH-GA: 6. Urlaubswoche und Vordienstzeiten – keine Diskriminierung

Bearbeiter: Bettina Sabara / Bearbeiter: Barbara Tuma

UrlG: § 2, § 3

AEUV: Art 45

VO (EU) 492/2011: Art 7

Gemäß § 2 Abs 1 UrlG steht einem Arbeitnehmer, der 25 Dienstjahre beim selben Arbeitgeber erbracht hat, ein Anspruch auf 6 Wochen Urlaub pro Jahr zu. Für den erhöhten Urlaubsanspruch von 6 Wochen werden Dienstzeiten bei anderen (in- oder ausländischen) Arbeitgebern hingegen nur im Höchstausmaß von insgesamt 5 Jahren angerechnet (§ 3 Abs 2 Z 1 iVm § 3 Abs 3 UrlG).

Zu einem Vorabentscheidungsersuchen des OGH vertritt der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen die Ansicht, dass Art 45 Abs 1 und 2 AEUV und Art 7 Abs 1 der VO (EU) 492/2011 diesen Regelungen des UrlG nicht entgegenstehen: Es liegt weder eine mittelbare Ungleichbehandlung von Wanderarbeitnehmern noch eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit vor.

Schlussanträge des Generalanwalts 25. 7. 2018, C-437/17, Gemeinsamer Betriebsrat EurothermenResort Bad Schallerbach GmbH

Ausgangsfall

Zum Vorabentscheidungsersuchen OGH 8 ObA 33/17m siehe ARD 6559/5/2017.

Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen möchte der OGH vom EuGH wissen, ob die Vorschriften des österreichischen Urlaubsgesetzes mit dem Verbot der Diskriminierung von Arbeitnehmern aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit und dem Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit vereinbar sind.

Nach Ansicht des Gemeinsamen Betriebsrats des EurothermenResort Bad Schallerbach verlangt das Unionsrecht, dass Dienstzeiten bei früheren Arbeitgebern in anderen Mitgliedstaaten im gleichen Umfang berücksichtigt werden wie Dienstzeiten beim derzeitigen Arbeitgeber in Österreich. Die Bestimmungen des UrlG würden insbesondere Wanderarbeitnehmer benachteiligen und es für österreichische Arbeitnehmer weniger attraktiv machen, von ihrer Freizügigkeit Gebrauch zu machen.

Der Generalanwalt teilt diese Ansicht nicht. Seine Ausführungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Begründung der Schlussanträge

1. Keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit

Art 45 Abs 2 AEUV verbietet jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Art 7 Abs 1 der VO (EU) 492/2011 stellt eine besondere Ausprägung dieses Verbots im speziellen Bereich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen dar. Diese beiden Bestimmungen sind folglich gleich auszulegen. Das UrlG fällt in den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen.

Da in § 2 Abs 1 und § 3 Abs 1 bis 3 UrlG hinsichtlich des Ausmaßes der Ansprüche der Arbeitnehmer auf bezahlten Jahresurlaub an das Kriterium der Dienstzeit angeknüpft wird, liegt keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit vor.

Auch eine mittelbare Diskriminierung liegt nach Ansicht des Generalanwalts nicht vor:

Das Kriterium der Dienstzeit von 25 Jahren begünstigt nämlich Arbeitnehmer, die während des dort geforderten Zeitraums ihren Arbeitgeber nicht wechseln. Dementsprechend benachteiligt dieses Kriterium sämtliche Arbeitnehmer, die im Lauf ihres Berufslebens den Arbeitgeber gewechselt haben; ihre Berufserfahrung wird nur bis zur Grenze von fünf Jahren angerechnet. Das UrlG macht dabei keinen Unterschied zwischen der internen Mobilität eines Arbeitnehmers – innerhalb des österreichischen Hoheitsgebiets – und dessen externer Mobilität – ob er in einen anderen Mitgliedstaat geht oder aus diesem kommt. Die Dienstzeiten bei einem oder mehreren früheren Arbeitgebern werden auf identische Weise unabhängig davon berücksichtigt, ob sie im Inland oder einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegt wurden. Das Kriterium der Dienstzeit betrifft somit die Gruppe der inländischen Arbeitnehmer und die Gruppe der Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten in vergleichbarer Weise.

Das UrlG hührt daher zu keiner unmittelbaren oder mittelbaren Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit der Arbeitnehmer. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn wahrscheinlich wäre, dass österreichische Arbeitnehmer deutlich seltener ihren Arbeitgeber wechseln als Angehörige anderer Mitgliedstaaten. Dafür findet sich jedoch keinerlei Anhaltspunkt in den Akten, die dem EuGH vorliegen.

2. Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit?

Art 45 AEUV verbietet weiters nationale Regelungen, die – unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer – deren Freizügigkeit beschränken.

Es muss daher geprüft werden, ob Bestimmungen wie die des UrlG geeignet sind, Arbeitnehmer mit der Staatsangehörigkeit anderer Mitgliedstaaten „beim Zugang“ zum österreichischen Markt oder österreichische Arbeitnehmer „beim Verlassen“ des nationalen Markts in Richtung des Markts anderer Mitgliedstaaten zu beschränken.

2.1. Keine Beschränkung „beim Zugang“ zum österreichischen Markt

Art 45 AEUV steht jeder Maßnahme entgegen, die geeignet ist, die Ausübung der Grundfreiheiten durch die Unionsangehörigen zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.

Da die RL 2003/88 nur Mindestvorschriften über den Anspruch der Arbeitnehmer auf bezahlten Jahresurlaub vorsieht (der bezahlte Jahresurlaub muss demnach vier Wochen betragen), gibt es insoweit zwischen den Mitgliedstaaten weiterhin Unterschiede. Im vorliegenden Fall könnten die Vorschriften des UrlG die Idee, sein Berufsleben in Österreich fortzusetzen, für einen Arbeitnehmer theoretisch weniger attraktiv erscheinen lassen, falls das Arbeitsrecht seines Herkunftsmitgliedstaats ihm mehr Urlaub zugesteht als die Vorschriften des UrlG.

Art 45 AEUV kann einem Arbeitnehmer jedoch nicht garantieren, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat als seinen Herkunftsmitgliedstaat in arbeits- und sozialrechtlicher Hinsicht neutral ist, da ein solcher Umzug für den Betroffenen je nach Einzelfall Vor- oder Nachteile in diesem Bereich haben kann. Art 45 AEUV verschafft einem Arbeitnehmer nicht das Recht, sich im Aufnahmemitgliedstaat auf die Arbeitsbedingungen zu berufen, die ihm im Herkunftsmitgliedstaat nach den dortigen nationalen Rechtsvorschriften zustanden. Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz können ihm grundsätzlich nur die Arbeitsbedingungen zustehen, die für die inländischen Arbeitnehmer gelten. Anderenfalls würde irgendeine Rechtsvorschrift des Aufnahmemitgliedstaats, die weniger günstig ist als die des Mitgliedstaats seiner Herkunft, eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellen. Ein solches Ergebnis hätte weitreichende Folgen für die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts.

Der Generalanwalt ist daher im Ergebnis der Auffassung, dass die Bestimmungen des UrlG keine Beschränkung des Zugangs zum österreichischen Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer mit Staatsangehörigkeit anderer Mitgliedstaaten darstellen können.

2.2. Keine Beschränkung „beim Verlassen“ des nationalen Marktes

Die Vorschriften des UrlG stellen zwangsläufig einen Anreiz für Arbeitnehmer dar, ihren derzeitigen Arbeitgeber nicht zu verlassen. Der Generalanwalt hält diese Vorschriften trotzdem nicht für geeignet, österreichische Arbeitnehmer davon abzuhalten, ihre Freizügigkeit auszuüben.

Wenn ein Arbeitnehmer den Arbeitgeber wechselt, führt dies nicht zum Verlust eines erworbenen Anspruchs, sondern der Arbeitnehmer unterbricht dadurch lediglich die Kontinuität der Dienstzeit und vermindert somit seine Chancen auf Erhalt dieses Vorteils.

Art 45 AEUV kann einem Arbeitnehmer nicht garantieren, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat als seinen Herkunftsmitgliedstaat in arbeits- und sozialrechtlicher Hinsicht neutral ist. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit wird nicht beschränkt, wenn eine Person sich dafür entscheidet, weiter in einem bestimmten Mitgliedstaat zu arbeiten, damit ihr ein sozialer Vorteil zugutekommt, statt zur Ausübung ihrer Tätigkeit in einen Mitgliedstaat zu gehen, in dem die Rechtsvorschriften für sie weniger günstig sind. Das entgegengesetzte Ergebnis hätte auch hier tiefgreifende Auswirkungen für die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts.

3. Objektive Rechtfertigung

Für den Fall, dass der EuGH annehmen sollte, dass § 2 Abs 1 und § 3 Abs 1 bis 3 UrlG zu einer mittelbaren Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit führen oder eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit begründen, legt der Generalanwalt dar, weshalb er diese Bestimmungen für gerechtfertigt und auch verhältnismäßig hält:

Objektiv gerechtfertigt sind die streitigen Bestimmungen des UrlG, weil sie die Treue der Arbeitnehmer zu ihrem Arbeitgeber honorieren sollen. Von den Mitgliedstaaten verfolgte legitime Ziele der Sozial- und Beschäftigungspolitik sind nach Ansicht des Generalanwalts als insoweit zulässige Rechtfertigungen anzusehen. Die Mitgliedstaaten haben nämlich einen weiten Gestaltungsspielraum, ua bei der Wahl der Ziele, die sie im Rahmen dieser Politik verfolgen wollen. Es besteht daher kein Hindernis, die Bindung an den Arbeitgeber als ein solches objektives Ziel anzusehen.

Die Vorschriften des UrlG entgelten im Wesentlichen nur die Dienstzeit bei demselben Arbeitgeber. Die sechste Woche bezahlten Jahresurlaubs nach § 2 Abs 1 UrlG ist somit eine „echte“ Treueprämie.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 25762 vom 27.07.2018