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EuGH-GA: ig Lieferung – Steuerhinterziehung erst bei Folgeumsatz

Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 2006/112/EG: Art 138, Art 143

Nach der Rsp des EuGH – zu anders gelagerten Sachverhaltsgestaltungen – ist eine Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung/Verbringung zu versagen, wenn der betreffende Umsatz in eine Steuerhinterziehung einbezogen oder mit einer Steuerhinterziehung verknüpft war. Dem VwGH erschien die Reichweite und die Auslegung dieser Begriffe („einbezogen“ bzw „verknüpft“) noch nicht ausreichend geklärt, weshalb er entsprechende Fragen an den EuGH gerichtet hat. Die Generalanwältin nimmt dazu nun dahingehend Stellung, dass dem Anmelder der Einfuhrumsatzsteuer eine Steuerbefreiung der Einfuhr nicht zu versagen ist, wenn er nicht wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit dem innergemeinschaftlichen Verbringen an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist.

Schlussanträge der Generalanwältin 6. 9. 2018, C-531/17, Vetsch Int. Transporte

Ausgangsfall

Zum Vorabentscheidungsersuchen VwGH 29. 6. 2017, Ra 2016/16/0061 (EU 2017/0004), Rechtsnews 24203.

Die Revisionswerberin (Vetsch Int. Transporte) betreibt eine Spedition und reichte als indirekte Vertreterin des jeweiligen Empfängers, darunter auch in mehreren Fällen zweier bulgarischer Unternehmer (K. und B.), bei einem österreichischen Zollamt Anmeldungen zur Überführung von Waren in den zoll­ und steuerrechtlich freien Verkehr ein und beantragte dabei die Einfuhrumsatzsteuerbefreiung nach Art 6 Abs 3 UStG 1994. Dem entsprechend wurden die Waren ohne buchmäßige Erfassung von Einfuhrumsatzsteuer in den zoll­ und steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt.

In der Folge wurde die Revisionswerberin vom Zollamt Feldkirch Wolfurt als Anmelderin und damit Gesamtschuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer gem § 71a ZollR­DG in Anspruch genommen, weil die geltend gemachte Steuerbefreiungen jeweils nicht gegeben seien.

Auch das BFG stellte fest, dass die bulgarischen Empfänger die Verfügungsmacht über die Waren von der Verkäuferin der Waren in der Schweiz vor der Verzollung in Österreich erhalten haben. Die bulgarischen Empfänger erklärten die innergemeinschaftlichen Erwerbe der betreffenden Waren in Bulgarien, hätten allerdings eine Steuerhinterziehung in Bulgarien zu verantworten, weil sie zum Weiterverkauf der betreffenden Waren fälschlich steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen an die Revisionswerberin erklärten, die allerdings nur als Spedition tätig ist und mit solchen Waren nicht handelt. Aufgrund der Rsp des EuGH sei daher (bereits) die Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung in Österreich zu versagen.

Bei Entscheidung über die Revision hält der VwGH zunächst fest, dass die Revisionswerberin nach § 71a ZollR­DG als Gesamtschuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer herangezogen wurde und die Gutgläubigkeit eines solchen Gesamtschuldners in einem eigenen Verfahren auf Erlass der Einfuhrumsatzsteuer zu prüfen ist (§ 26 Abs 1 UStG iVm Art 239 Zollkodex und § 83 ZollR­DG).

Im Revisionsfall ist (lediglich) zu klären, ob die Einfuhrumsatzsteuerschuld entstanden ist.

Schlussanträge

Zur Tragweite der Vorlagefragen hält die Generalanwältin zunächst fest, dass es im Kern darum geht, ob dem Anmelder als Vertreter des Importeurs die Steuerbefreiung nach Art 143 Abs 1 Buchst d RL 2006/112/EG (MwStRL) zu versagen ist, wenn der Leistungsempfänger nach dem Verbringen des Gegenstandes aus dem Einfuhrstaat in einen anderen Mitgliedstaat (Bestimmungsland) später eine Steuerhinterziehung begeht und der Vorsatz dazu auch erst im Anschluss an das Verbringen gefasst wurde. Da im vorliegenden Fall offensichtlich nicht festgestellt wurde, dass der Vorsatz der bulgarischen Erwerber hinsichtlich einer späteren Steuerhinterziehung bereits im Zeitpunkt des innergemeinschaftlichen Verbringens vorlag, geht die Generalanwältin davon aus, dass im Moment der Einfuhr in Österreich und des Verbringens nach Bulgarien noch kein Betrugsvorsatz vorlag. Dies ist bereits für die erste Frage von Bedeutung, weswegen die zweite Frage bereits im Rahmen der ersten Frage mit beantwortet werden kann.

Weiters geht die Generalanwältin davon aus, dass die objektiven Voraussetzungen der Art 143 und 138 der RL 2006/112/EG für eine Steuerbefreiung alle erfüllt sind und die Nachweise gem Art 143 Abs 2 der RL 2006/112/EG vorliegen (der VwGH hat insoweit keine Zweifel geäußert). Darüber hinaus kann dem Vorabentscheidungsersuchen auch entnommen werden, dass die Waren nach Österreich eingeführt und anschließend nach Bulgarien verbracht wurden.

Für das Gegenteil bestehen bislang keine Anhaltspunkte, sondern nur pauschale Vermutungen. Sollte die Finanzverwaltung hingegen nachweisen können, dass die Waren tatsächlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat gelangt sind, lägen die objektiven Voraussetzungen der Steuerbefreiung des Art 143 der RL 2006/112/EG nicht vor und der VwGH müsst sich mit der Frage beschäftigen, ob Vetsch kraft guten Glaubens von der Steuerfreiheit der Einfuhr ausgehen konnte (dazu hat der VwGH den EuGH aber nicht befragt).

Unter der Prämisse, dass die objektiven Voraussetzungen der Art 143 und 138 der RL 2006/112/EG für eine Steuerbefreiung alle erfüllt sind und die Waren nach Österreich eingeführt und anschließend nach Bulgarien verbracht wurden, könnte man nach Ansicht der Generalanwältin zur Versagung der Steuerbefreiung der Einfuhr hier daher nur auf zweierlei Weise gelangen:

-Vetsch wäre nach der Rsp des EuGH die Befreiung des Art 143 MwStRL „direkt“ zu versagen, wenn er von dem nachfolgenden Mehrwertsteuerbetrug gewusst hätte oder davon hätte wissen müssen.
-Außerdem ist denkbar, dass die Befreiung der Einfuhr nach Art 143 MwStRL derart mit der Befreiung der nachfolgenden innergemeinschaftlichen Lieferung zusammenhängt, dass eine Versagung der Steuerbefreiung bei der innergemeinschaftlichen Lieferung (bzw dem innergemeinschaftlichen Verbringen) auf die Befreiung der Einfuhr durchschlägt, selbst wenn Vetsch von dem nachfolgenden Mehrwertsteuerbetrug nichts hätte wissen müssen. Dafür müsste allerdings der spätere Betrugsvorsatz von B und K die Beurteilung des vorherigen Verbringens irgendwie beeinflussen können.

Mit beiden Möglichkeiten setzt sich die Generalanwältin in der Folge ausführlicher auseinander und schlägt dem EuGH letztlich als Antwort auf die Vorlagefragen vor:

„Art 143 Abs 1 Buchst d iVm Art 138 der RL 2006/112/EG ist so auszulegen, dass sich der Verweis auf die Steuerbefreiung nach Art 138 allein auf deren abstraktes Vorliegen bezieht. Eine Versagung der Steuerbefreiung der Einfuhr für den Anmelder der Einfuhrmehrwertsteuer kommt daher nicht in Betracht, wenn allein der Leistungsempfänger der Ware wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit dem innergemeinschaftlichen Verbringen an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist.“

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 25996 vom 10.09.2018