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EuGH: Entsendung von überlassenen Arbeitnehmern nach Österreich

Bearbeiter: Bettina Sabara

AEUV: Art 56, Art 57

RL 96/71/EG: Art 1

Im Zusammenhang mit der Entsendung von kroatischen bzw drittstaatsangehörigen Arbeitskräften durch ein italienisches Unternehmen zur Erfüllung eines Auftrags in Österreich (hier: Errichtung eines Drahtwalzwerks) hat der VwGH ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet, mit dem er im Wesentlichen wissen wollte, ob Österreich eine Beschäftigungsbewilligung verlangen darf. Die kroatischen Arbeitskräfte wurden von einer Gesellschaft mit Sitz in Kroatien und die drittstaatsangehörigen Arbeitskräfte von einer anderen italienischen Gesellschaft – alles Gesellschaften innerhalb eines Konzerns – an das italienische Unternehmen überlassen.

Der EuGH beantwortet die Fragen des VwGH dahingehend, dass Österreich grundsätzlich

-eine Beschäftigungsbewilligung für die kroatischen Arbeitnehmer verlangen darf, die bei einem Unternehmen mit Sitz in Kroatien beschäftigt sind und an ein Unternehmen mit Sitz in Italien überlassen werden, das sie zur Erbringung einer Dienstleistung in Österreich einsetzen will;
-keine Beschäftigungsbewilligung für die drittstaatsangehörigen Arbeitnehmer verlangen darf, die rechtmäßig bei einem Unternehmen mit Sitz in Italien beschäftigt sind und an ein zweites in Italien ansässiges Unternehmen überlassen werden, das sie zur Erbringung einer Dienstleistung in Österreich einsetzen will.

EuGH 14. 11. 2018, C-18/17, Danieli & C. Officine Meccaniche ua

Ausgangsfall

Zu den Schlussanträgen des Generalanwalts siehe ARD 6600/10/2018

Zum Vorabentscheidungsersuchen VwGH Ra 2016/09/0082 bis 0087, siehe ARD 6537/11/2017

Der vorliegenden Rechtssache liegt ein Rechtsstreit zwischen der Danieli & C. Officine Meccaniche SpA (im Folgenden: Danieli), vier kroatischen Staatsangehörigen sowie einem russischen und einem weißrussischen Staatsbürger auf der einen Seite und dem österreichischen Arbeitsmarktservice auf der anderen Seite zugrunde. Danieli, ein in Italien ansässiges Unternehmen, übernahm den Auftrag eines österreichischen Unternehmens zur Errichtung eines Drahtwalzwerks in Österreich. Danieli gehört zu einem Konzern, dem auch die DS d.o.o. mit Sitz in Kroatien (im Folgenden: kroatischer Arbeitgeber) und die DA-SpA mit Sitz in Italien (im Folgenden: italienischer Arbeitgeber) angehören.

Zur Abwicklung des Projekts wollte Danieli vier beim kroatischen Arbeitgeber beschäftigte und in Kroatien sozialversicherte kroatische Staatsbürger sowie zwei beim italienischen Arbeitgeber beschäftigte und in Italien sozialversicherte Drittstaatsangehörige (einen russischen und einen weißrussischen Staatsbürger) nach Österreich entsenden. Das AMS lehnte die Anträge der Danieli auf Bestätigung der EU-Entsendung gemäß § 18 Abs 12 AuslBG ab und untersagte die Entsendung.

Im anschließenden Verfahren hatte der VwGH Zweifel hinsichtlich der korrekten Auslegung der einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmungen (zum Wortlaut der Vorlagefragen siehe ARD 6537/11/2017).

Entscheidung

Fall der kroatischen Arbeitnehmer

Nach Ansicht des EuGH kommen die Übergangsbestimmungen der Akte über den Beitritt Kroatiens zur Anwendung, weil die Dienstleistungerbringung durch Danieli in Österreich entsprechend Anhang V Kapitel 2 Nr 1 der Beitrittsakte eine Dienstleistung mit vorübergehender Entsendung von Arbeitskräften iSd Art 1 der RL 96/71/EG darstellt. Die drei Voraussetzungen, die der EuGH in seiner Rsp zur Entsendung von Arbeitnehmern durch ihre Überlassung iSd Art 1 Abs 3 Buchst c RL 96/71/EG entwickelt hat (vgl etwa EuGH 18. 6. 2015, Martin Meat, C‑586/13, ARD 6454/7/2015), werden im vorliegenden Fall nämlich erfüllt:

-Erstens sollen die betreffenden kroatischen Arbeitnehmer durch ein Arbeitsverhältnis an das kroatische Unternehmen gebunden bleiben, ohne dass ein Arbeitsvertrag mit dem italienischen Unternehmen geschlossen würde.
-Zweitens bestand der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung, die zwischen dem kroatischen Unternehmen und Danieli vereinbart wurde, in der Vornahme der Entsendung dieser kroatischen Arbeitnehmer nach Österreich zur Erfüllung des mit dem österreichischen Unternehmen geschlossenen Vertrags über den Bau des Drahtwalzwerks, für die allein Danieli verantwortlich blieb.
-Drittens steht fest, dass die Danieli von dem kroatischen Unternehmen überlassenen kroatischen Arbeitnehmer während ihrer Entsendung nach Österreich ihre Aufgaben unter der Aufsicht und Leitung des verwendenden Unternehmens, dh Danieli, wahrnehmen mussten.

Weiter hält der EuGH fest, dass es als Maßnahme iSd Anhangs V Kapitel 2 Nr 2 der Akte über den Beitritt Kroatiens mit den Art 56 und 57 AEUV vereinbar ist, wenn ein Mitgliedstaat (hier: Österreich) während der dort vorgesehenen Übergangszeit die Entsendung kroatischer Staatsangehöriger iSd Art 1 Abs 3 Buchst c der RL 96/71/EG in sein Hoheitsgebiet weiterhin von der Einholung einer Beschäftigungsbewilligung abhängig macht (vgl EuGH 10. 2. 2011, Vicoplus ua, C-307/09 bis C-309/09, ARD 6122/12/2011).

Fall der Drittstaatsangehörigen

Auch eine Dienstleistung der Überlassung von Arbeitnehmern zwischen zwei in demselben Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen fällt in den Anwendungsbereich der Art 56 und 57 AEUV, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen erbracht wird, in dem das verwendende Unternehmen ansässig ist. Zur Entsendung von drittstaatsangehörigen Arbeitnehmern durch ein Dienstleistungsunternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Union hat der EuGH auch bereits entschieden, dass eine nationale Regelung, die die Erbringung von Dienstleistungen im Inland durch dieses Unternehmen von der Erteilung einer behördlichen Erlaubnis abhängig macht, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs iSv Art 56 AEUV darstellt (EuGH 11. 11. 2014, C-91/13, Essent Energie Productie, ARD 6426/23/2014).

Da der Bereich der Entsendung drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer im Rahmen der Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen auf Unionsebene bisher nicht harmonisiert ist, ist somit zu prüfen, ob die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs, die sich im Ausgangsverfahren aus der nationalen Regelung ergeben, durch ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel gerechtfertigt erscheinen und ob sie gegebenenfalls erforderlich sind, um dieses Ziel effektiv und mit den geeigneten Mitteln zu verfolgen. Der EuGH verneint dies mit den folgenden Argumenten:

-Die entsandten Arbeitnehmer beanspruchen keinen Zugang zum Arbeitsmarkt im Mitgliedstaat, weil sie nach Erfüllung ihrer Aufgabe in ihr Herkunfts- oder Wohnsitzland zurückkehren.
-Wenn ein Mitgliedstaat das Erfordernis einer Beschäftigungsbewilligung für Drittstaatsangehörige, die einem in diesem Mitgliedstaat tätigen Unternehmen von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen überlassen werden, dauerhaft aufrechterhält, geht dies über das hinaus, was notwendig ist, um das Ziel zu erreichen, Störungen auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern.
-Würde ein Dienstleistungsunternehmen insoweit verpflichtet, den österreichischen Behörden Angaben zu machen, aus denen hervorgeht, dass die drittstaatsangehörigen Arbeitnehmer in dem Mitgliedstaat, in dem sie von diesem Unternehmen beschäftigt werden, legalen Status haben, insbesondere, was Aufenthalt, Beschäftigungserlaubnis und soziale Absicherung angeht, so böte dies den genannten Behörden auf weniger einschneidende und ebenso wirksame Art und Weise die Garantie, dass diese Arbeitnehmer legal beschäftigt werden und dass sie ihre Haupttätigkeit in dem Mitgliedstaat ausüben, in dem das Dienstleistungsunternehmen ansässig ist.
-Eine solche Verpflichtung könnte in einer einfachen vorherigen Erklärung bestehen, die es den österreichischen Behörden ermöglichen würde, die Angaben zu überprüfen und – im Fall einer rechtswidrigen Beschäftigung der betreffenden Arbeitnehmer – die gebotenen Maßnahmen zu ergreifen.
-Ebenso wäre die Verpflichtung eines Dienstleistungsunternehmens, den österreichischen Behörden im Voraus die Anwesenheit eines oder mehrerer entsandter Arbeitnehmer, die vorgesehene Dauer dieser Anwesenheit und die die Entsendung rechtfertigende(n) Dienstleistung(en) anzuzeigen, eine gleichermaßen wirksame, aber weniger einschneidende Maßnahme als das Erfordernis einer Beschäftigungsbewilligung. Dadurch würde es diesen Behörden ermöglicht, die Einhaltung der österreichischen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit während der Dauer der Entsendung zu kontrollieren und dabei die Verpflichtungen zu berücksichtigen, denen das Unternehmen bereits nach den Vorschriften des Herkunftsmitgliedstaats auf diesem Gebiet unterliegt.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1.Die Art 56 und 57 AEUV und Anhang V Kapitel 2 Nr 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassungen des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft sind dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat berechtigt ist, die Entsendung von kroatischen Arbeitnehmern, die bei einem Unternehmen mit Sitz in Kroatien beschäftigt sind, durch das Erfordernis einer Beschäftigungsbewilligung einzuschränken, wenn die Entsendung dieser Arbeitnehmer im Wege ihrer Überlassung iSd Art 1 Abs 3 Buchst c der RL 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 12. 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen an ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen zum Zweck der Erbringung einer Dienstleistung durch dieses Unternehmen in dem ersten dieser Mitgliedstaaten erfolgt.
2.Die Art 56 und 57 AEUV sind dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat nicht berechtigt ist, zu verlangen, dass Drittstaatsangehörige, die einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen von einem anderen, ebenfalls in diesem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen zum Zweck der Erbringung einer Dienstleistung im erstgenannten Mitgliedstaat überlassen werden, über eine Beschäftigungsbewilligung verfügen.
Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 26332 vom 16.11.2018