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EuGH: Internationale Zuständigkeit – Staatsanleihe

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

EuGVVO 2012: Art 1

Die beklagte Hellenische Republik hatte Staatsanleihen begeben, die aufgrund eines späteren griechischen Gesetzes gegen neue Staatsanleihen mit einem niedrigeren Nominalwert umgetauscht wurden. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind die vom Kl behaupteten Ansprüche auf Einhaltung und Erfüllung der Anleihebedingungen bzw auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung. Zu Art 7 Nr 1 lit a VO (EU) 1215/2012 (EuGVVO 2012) wollte der OGH vom EuGH daher nun ua wissen, ob der tatsächliche Erfüllungsort bereits durch die Zahlung von Zinsen aus dieser Staatsanleihe (als bloße Nebenverpflichtung) auf ein Konto des Inhabers eines inländischen Wertpapierdepots begründet wird. Nach Ansicht des EuGH ist jedoch die VO (EU) 1215/2012 (EuGVVO 2012) auf den vorliegenden Fall gar nicht anwendbar, weil er nicht unter die „Zivil- und Handelssachen“ iSv Art 1 Abs 1 VO (EU) 1215/2012 fällt. Der Ausgangsrechtsstreit geht vielmehr auf Handlungen der Hellenischen Republik zurück, die einer Ausübung hoheitlicher Rechte entspringen, auf die die VO (EU) 1215/2012 nicht anwendbar ist.

EuGH 15. 11. 2018, C-308/17, Kuhn

Zu den Schlussanträgen des Generalanwalts siehe Rechtsnews 25652 = RdW 2018/385.

Zum Vorabentscheidungsersuchen OGH 25. 4. 2017, 10 Ob 34/16x, Rechtsnews 23639 = RdW 2017/270.

Entscheidung

Die Ausübung hoheitlicher Rechte ergibt sich nach Ansicht des EuGH im vorliegenden Fall sowohl aus der Natur und den Modalitäten der Änderungen der Vertragsbeziehung zwischen der Hellenischen Republik und den Inhabern der Staatsanleihen als auch aus den außergewöhnlichen Umständen, unter denen diese Änderungen eingetreten sind.

Nachdem der griechische Gesetzgeber rückwirkend eine Umstrukturierungsklausel oder „Collective Action Clause“ (CAC) eingeführt hatte, wurden die Anleihen nämlich durch neue Anleihen mit einem erheblich niedrigeren Nennwert ersetzt. Eine derartige Ersetzung von Anleihen war weder in den ursprünglichen Anleihebedingungen vorgesehen noch in den griechischen Rechtsvorschriften, die zum Zeitpunkt der Emission der nach diesen Bedingungen begebenen Anleihen galten.

Die rückwirkende Einführung einer CAC ermöglichte es der Hellenischen Republik somit, allen Anleiheinhabern eine wesentliche Änderung der finanziellen Bedingungen dieser Anleihen aufzuerlegen, und zwar auch jenen, die mit dieser Änderung nicht einverstanden waren.

Außerdem erfolgte der erstmalige Rückgriff auf die rückwirkende Einführung einer CAC und die daraus resultierende Änderung der finanziellen Bedingungen im außergewöhnlichen Kontext und unter den außergewöhnlichen Umständen einer schweren Finanzkrise. Die Maßnahmen gingen insb auf die im Rahmen eines zwischenstaatlichen Unterstützungsmechanismus bestehende Notwendigkeit zurück, die griechische Staatsschuld umzustrukturieren und die Gefahr des Scheiterns des entsprechenden Umstrukturierungsplans auszuschließen, um den Zahlungsausfall Griechenlands zu verhindern und die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets sicherzustellen. In Erklärungen vom 21. 7. und vom 26. 10. 2011 bekräftigten die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets daher, dass in Bezug auf die Beteiligung des privaten Sektors die Situation der Hellenischen Republik eine außergewöhnliche Lösung erfordere.

Der außergewöhnliche Charakter dieser Situation ergibt sich auch daraus, dass gem Art 12 Abs 3 des ESM-Vertrags ab dem 1. 1. 2013 alle neuen Staatsschuldtitel des Euro-Währungsgebiets mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr Umschuldungsklauseln enthalten, die so ausgestaltet sind, dass gewährleistet wird, dass ihre rechtliche Wirkung in allen Rechtsordnungen des Euro-Währungsgebiets gleich ist.

Somit ist angesichts des außergewöhnlichen Charakters der Bedingungen und der Umstände, unter denen das griechische Gesetz erlassen wurde, mit dem die ursprünglichen Anleihebedingungen der Staatsanleihen durch Einführung einer CAC einseitig und rückwirkend geändert wurden, sowie angesichts des mit diesem Gesetz verfolgten Ziels im Allgemeininteresse festzustellen, dass der Ausgangsrechtsstreit auf eine Wahrnehmung hoheitlicher Rechte zurückgeht und aus Handlungen des griechischen Staates in Ausübung dieser hoheitlichen Rechte resultiert, so dass er nicht unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ iSv Art 1 Abs 1 der VO (EU) 1215/2012 fällt.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

Art 1 Abs 1 der VO (EU) 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass ein Rechtsstreit wie der des Ausgangsverfahrens, den eine natürliche Person, die von einem Mitgliedstaat begebene Anleihen erworben hatte, gegen diesen führt, wobei sich ihre Klage gegen den Austausch der genannten Anleihen gegen Anleihen mit einem niedrigeren Wert richtet, der ihr durch ein vom nationalen Gesetzgeber unter außergewöhnlichen Umständen erlassenes Gesetz auferlegt wurde, mit dem die Anleihebedingungen einseitig und rückwirkend geändert wurden, indem eine Umstrukturierungsklausel eingeführt wurde, die es der Mehrheit der Inhaber der betreffenden Anleihen ermöglicht, der Minderheit diesen Austausch aufzuzwingen, nicht unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ iS dieser Bestimmung fällt.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 26333 vom 16.11.2018