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EuGH: Youtube-Video von der eigenen Vernehmung – Journalismus?

Bearbeiter: Sabine Kriwanek / Bearbeiter: Barbara Tuma

RL 95/46/EG : Art 3, Art 9

In den Anwendungsbereich der RL 95/46/EG [zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr] fällt, wenn jemand seine Aussage vor Polizeibeamten in einer Polizeidienststelle als Video aufzeichnet und dieses Video auf einer Video-Website veröffentlicht, auf der die Nutzer Videos versenden, anschauen und teilen können.

Die in Art 9 RL 95/46/EG vorgesehen Befreiungen und Ausnahmen gelten nicht nur für Medienunternehmen, sondern für jeden, der journalistisch tätig ist. Der geschilderte Sachverhalt kann eine Verarbeitung personenbezogener Daten allein zu journalistischen Zwecken iSd Art 9 RL 95/46/EG darstellen, sofern aus diesem Video hervorgeht, dass die Aufzeichnung und Veröffentlichung ausschließlich zum Ziel hatten, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten.

EuGH 14. 2. 2019, C-345/17, Buivids

Sachverhalt

Zu einem lettischen Vorabentscheidungsersuchen.

Herr Buivids filmte in den Räumlichkeiten einer Dienststelle der lettischen Polizei die Aufnahme seiner Aussage im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens; das Video zeigt Polizeibeamte und deren Tätigkeit in der Polizeidienststelle. Er veröffentlichte dieses Video auf der Website www.youtube.com, wo Nutzer die Möglichkeit haben, Videos zu veröffentlichen, anzuschauen und zu teilen.

Die nationale Datenschutzbehörde stellte daraufhin einen Verstoß gegen das Datenschutzgesetz fest (ua fehlende Information der Polizeibeamten in ihrer Eigenschaft als betroffene Personen über den Zweck der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten) und forderte Herrn Buivids auf, die Löschung des Videos auf Youtube und anderen Websites zu veranlassen.

Herr Buivids beruft sich dagegen darauf, dass er mit der Veröffentlichung des Videos die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf ein seiner Auffassung nach rechtswidriges Handeln der Polizei lenken wollte.

Das vorlegende Gericht hat zum einen Zweifel, ob das Filmen von Polizeibeamten in einer Polizeidienststelle bei der Ausübung ihres Amtes und die Veröffentlichung des so aufgezeichneten Videos im Internet in den Anwendungsbereich der RL 95/46/EG fällt. Zum anderen möchte das vorlegende Gericht wissen, wie der Ausdruck „allein zu journalistischen Zwecken“ in Art 9 RL 95/46/EG auszulegen ist und ob dieser Ausdruck einen Sachverhalt wie hier erfassen kann.

Entscheidung

„Allein zu journalistischen Zwecken“

Da die Entwicklung und Vervielfältigung der Mittel zur Kommunikation und zur Verbreitung von Informationen berücksichtigt werden muss, ist der Träger, mit dem die verarbeiteten Daten übermittelt werden (klassische Träger wie Papier oder Radiowellen oder aber elektronische Träger wie das Internet), nach der Rsp des EuGH nicht ausschlaggebend für die Beurteilung, ob es sich um eine Tätigkeit „allein zu journalistischen Zwecken“ handelt (vgl EuGH 16. 12. 2008, Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia, C-73/07, EU:C:2008:727, Rn 60, Rechtsnews 6263 = RdW 2009/170).

Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass jegliche im Internet veröffentlichte Information, die sich auf personenbezogene Daten bezieht, unter den Begriff der „journalistischen Tätigkeiten“ fiele und daher für sie die Abweichungen und Ausnahmen des Art 9 RL 95/46/EG gälten.

Im vorliegenden Fall muss nun das vorlegende Gericht prüfen, ob aus dem Video hervorgeht, dass die Aufzeichnung und Veröffentlichung dieses Videos ausschließlich zum Ziel hatten, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten (vgl C-73/07, Rn 62). Dabei kann das vorlegende Gericht ua berücksichtigen, dass das Video nach den Angaben von Herrn Buivids auf einer Website veröffentlicht wurde, um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf die angeblich vorschriftswidrigen Praktiken der Polizei zu lenken, die während der Aufnahme seiner Aussage angewandt worden seien. Die Feststellung derartiger vorschriftswidriger Praktiken ist jedoch – so der EuGH – keine Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Art 9 RL 95/46/EG.

Sollte sich hingegen erweisen, dass die Aufzeichnung und Veröffentlichung dieses Videos nicht ausschließlich zum Ziel hatten, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten „allein zu journalistischen Zwecken“ erfolgte.

Absolut notwendiger Eingriff in die Privatsphäre?

Außerdem weist der EuGH darauf hin, dass die Befreiungen und Ausnahmen des Art 9 RL 95/46/EG nur in dem Umfang angewandt werden dürfen, in dem sie notwendig sind, um zwei Grundrechte miteinander in Einklang zu bringen, nämlich das Recht auf Schutz der Privatsphäre und das Recht auf freie Meinungsäußerung (vgl C-73/07, Rn 55). Für die Zwecke der Abwägung zwischen diesen beiden Grundrechten hat der EGMR eine Reihe relevanter Kriterien entwickelt, darunter Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse, Bekanntheitsgrad der betroffenen Person, Gegenstand der Berichterstattung, das vorangegangene Verhalten der betroffenen Person, Inhalt, Form und Auswirkungen der Veröffentlichung, Art und Weise sowie die Umstände, unter denen die Informationen erlangt worden sind, und deren Richtigkeit (vgl in diesem Sinne EGMR, 27. 6. 2017, Satakunnan Markkinapörssi Oy und Satamedia Oy/Finnland, CE:ECHR:2017:0627JUD000093113, § 165). Ebenso muss die Möglichkeit berücksichtigt werden, dass der für die Verarbeitung Verantwortliche Maßnahmen ergreift, die es ermöglichen, das Ausmaß des Eingriffs in das Recht auf Privatsphäre zu verringern.

Im vorliegenden Fall geht aus den Akten hervor, dass die Aufzeichnung und Veröffentlichung des Videos erfolgt sind, ohne die betroffenen Personen (Polizeibeamten) über die Aufzeichnung und deren Zwecke zu informieren, und dass somit nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Eingriff in das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens dieser Personen darstellt.

Sollte es sich erweisen, dass die Aufzeichnung und Veröffentlichung des Videos ausschließlich zum Ziel hatten, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten, muss das vorlegenden Gericht beurteilen, ob die Befreiungen und Ausnahmen des Art 9 RL 95/46/EG sich als notwendig erweisen, um das Recht auf Privatsphäre mit den für die Freiheit der Meinungsäußerung geltenden Vorschriften in Einklang zu bringen, und ob sich diese Befreiungen und Ausnahmen auf das absolut Notwendige beschränken.

Der EuGH hat für Recht erkannt:

1.Art 3 der RL 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 10. 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ist dahin auszulegen, dass die Aufzeichnung von Polizeibeamten in einer Polizeidienststelle auf Video während der Aufnahme einer Aussage und die Veröffentlichung des so aufgezeichneten Videos auf einer Video-Website, auf der die Nutzer Videos versenden, anschauen und teilen können, in den Anwendungsbereich dieser RL fällt.
2.Art 9 der RL 95/46 ist dahin auszulegen, dass ein Sachverhalt wie der des Ausgangsverfahrens, dh die Aufzeichnung von Polizeibeamten in einer Polizeidienststelle auf Video während der Aufnahme einer Aussage und die Veröffentlichung des so aufgezeichneten Videos auf einer Video-Website, auf der die Nutzer Videos versenden, anschauen und teilen können, eine Verarbeitung personenbezogener Daten allein zu journalistischen Zwecken iS dieser Bestimmung darstellen kann, sofern aus diesem Video hervorgeht, dass diese Aufzeichnung und diese Veröffentlichung ausschließlich zum Ziel hatten, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Hinweis:

Die hier noch anwendbare RL 95/46/EG wurde durch die VO (EU) 2016/679 (DSGVO) aufgehoben.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 26816 vom 15.02.2019