News

Lehrlinge: Akzeptierte formwidrige Auflösung in der Probezeit

Bearbeiter: Manfred Lindmayr / Bearbeiter: Barbara Tuma

BAG: § 15

ABGB: § 1162b

Entschließt sich ein Lehrling, eine formwidrige Auflösung des Lehrverhältnisses gegen sich gelten zu lassen, wird die relative Nichtigkeit saniert. Es kommt zu einer rechtswirksamen Beendigung mit Lösungswirkung zu dem Zeitpunkt, der sich aus der Beendigungserklärung ergibt. Damit kann der Lehrling aber allein aus der Formwidrigkeit keine Ansprüche ableiten, sondern nur aus der Unbegründetheit der Auflösungserklärung.

Da während der Probezeit die Auflösung keines Grundes bedarf, besteht in einem solchen Fall kein Schadenersatzanspruch gegen den Lehrberechtigten.

OGH 28. 3. 2019, 9 ObA 135/18w

Sachverhalt

Die Klägerin war von 15. 9. bis 21. 10. 2017 beim beklagten Arbeitgeber als Lehrling beschäftigt. Am 21. 10. 2017 übermittelte der Arbeitgeber der Klägerin während ihres Krankenstandes folgende WhatsApp-Nachricht: „Ich habe mit meinem Steuerberater gesprochen und wir beenden das Lehrverhältnis mit heutigen Tag in der Probezeit.“

In der Folge forderte der Anwalt der Klägerin den Arbeitgeber auf, die Entgeltansprüche der Klägerin abzurechnen. In diesem Schreiben wies er darauf hin, dass eine Nachricht über WhatsApp dem gesetzlichen Schriftformgebot nicht entspreche, die Klägerin sich aber entschlossen habe, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Die Auflösung sei somit rechtswirksam, aber rechtswidrig, weshalb die Schadenersatzansprüche aus der rechtswidrigen Beendigungserklärung geltend gemacht würden.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Kl ua die Zahlung von € 2.840,80 an Sonderzahlungen und Kündigungsentschädigung für den Zeitraum 22. 10. 2017 bis 21. 1. 2018 sowie die Feststellung des Anspruchs auf Kündigungsentschädigung unter Anrechnung des künftigen Verdienstes für den Zeitraum 22. 1. 2018 bis 14. 12. 2021 (Ende der Weiterverwendungszeit).

Die Vorinstanzen wiesen die Klage übereinstimmend ab: Die Klägerin habe sich dazu entschieden, die Rechtsfolgen der Rechtsunwirksamkeit der formwidrigen Auflösungserklärung nicht geltend zu machen, und eine (weitere) Rechtswidrigkeit liege nicht vor, weil ein Lehrverhältnis innerhalb der ersten drei Monate jederzeit einseitig aufgelöst werden könne.

Diese Rechtsansicht wurde nun vom OGH bestätigt:

Entscheidung

Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass eine Auflösung des Lehrverhältnisses per WhatsApp gegen das Schriftformgebot des § 15 Abs 2 BAG verstößt. Dies wird im Revisionsverfahren von keiner der Parteien in Zweifel gezogen und muss daher nicht weiter geprüft werden (vgl dazu aber etwa auch OGH 28. 10. 2015, 9 ObA 110/15i, ARD 6478/6/2015).

Wurde die Auflösung des Lehrverhältnisses nicht wirksam schriftlich erklärt, kommt es grundsätzlich zu keiner Beendigung des Lehrverhältnisses. Der Lehrling kann aber in diesem Fall zwischen der Fortsetzung des Lehrverhältnisses einerseits und dem Akzeptieren der Auflösung des Lehrverhältnisses unter gleichzeitiger Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen dessen unberechtigter Auflösung wählen (vgl OGH 13. 4. 2000, 8 ObA 297/99f, ARD 5152/3/2000). Die Klägerin hat von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht und ausdrücklich erklärt, die Beendigung zu akzeptieren und Schadenersatz geltend zu machen.

Da sich die Klägerin ausdrücklich entschlossen hat, die Rechtsunwirksamkeit der Beendigungserklärung nicht geltend zu machen, kann sie Ansprüche nur daraus ableiten, dass die Beendigung nicht gerechtfertigt war. Während der Probezeit kann das Lehrverhältnis aber ohne Angabe von Gründen jederzeit einseitig aufgelöst werden. Eine „Unbegründetheit“ der Auflösung kann daher in einem solchen Fall nicht zu Schadenersatzansprüchen führen.

Artikel-Nr.
Rechtsnews Nr. 27305 vom 13.05.2019